MÖSSINGEN-TALHEIM. Wasser? Wer macht sich heute schon Gedanken ums Wasser? Hahn aufdrehen, und das lebenswichtige Nass sprudelt in unbegrenzter Menge. Zumindest jetzt noch, aber wer weiß, was der Klimawandel noch bringt. Schließlich gibt es Regionen in Deutschland, in denen heute schon der private Wasserverbrauch rationiert ist. Vielleicht kommt die Zeit wieder, in der man sich Sorgen ums Wasser machen muss. Was vor wenigen Generationen noch ganz normal war. Wie mühsam etwa der Aufbau einer sicheren Wasserversorgung für ein kleines Dorf wie Talheim war, schilderte der frühere Ortsvorsteher Albrecht Schuhmacher bei einer Führung.
Dabei wären die Voraussetzungen theoretisch nicht einmal schlecht. Schließlich liegt Talheim am Fuß der Alb im rund 10 mal 15 Kilometer großen Quellgebiet der Steinlach. Aber viel Wasser versickert ohne jeden Speicher noch im Karstgebiet der Alb. Und laut Schumacher ein noch größeres Problem: Die Albhochfläche ist flach und weist nach Süden hin einige Senken auf, die das Wasser in die andere Richtung fließen lassen. So bestand die Wasserversorgung vor hundert Jahren ausschließlich aus einigen Brunnen im Dorf. »Wer Wasser wollte, musste es sich dort im Eimer holen.«
Früher Rosen, heute Bitze
Ende der 20er-Jahre reichte das nicht mehr. Die Bevölkerung war gewachsen, und die Gemeinde musste neue Quellen erschließen. Auf dem Weg aus dem Dorf heraus weist Schumacher Richtung Albtrauf. »Grabungen bei den Rosen«, zitiert er aus einem Gemeinderatsprotokoll von 1928, wobei der Flurname Rosen heute nicht mehr gebräuchlich ist: »Wir sagen heute Bitze.«
Tatsächlich stieß man am Fuß des Albabhangs auf eine Quelle, die ergiebig genug war. Von dort wurde eine Leitung zu einem Pumphäusle ins Dorf gebaut, von wo aus das Wasser in den alten, 100 Kubikmeter fassenden Hochbehälter Rietshalde gepumpt wurde. Für die Gemeinde war das ein finanzieller Kraftakt. Um die Gesamtkosten von 20.000 Reichsmark – heute etwa 50.000 Euro – aufbringen zu können, musste sie einen Kredit über 14.000 Reichsmark aufnehmen zu 9,25 Prozent Zinsen.
Nach dem Krieg wiederholte sich dasselbe Spiel. Die Bevölkerung wuchs und ebenso der Viehbestand. »Eine Kuh trinkt hundert Liter am Tag«, erklärte Schumacher. Da kommt schon ein ganz schöner Bedarf an Wasser zusammen. Klar war aber: Allein kann Talheim das Problem nicht mehr lösen. Schumachers Vater, damals Bürgermeister von Talheim, sah sich nach Partnern um. »Er wollte erst den Anschluss an Mössingen, aber da sind wir abgeblitzt.«
Talheim wollte Teil der Erpfgruppe werden
Mit Öschingen zusammen Wasser aus Hausen an der Lauchert zu beziehen, hätte einen Riesenaufwand mit den Leitungen bedeutet – auch das war keine Lösung. 1951 begann Talheim deshalb, über die Aufnahme in die Erpfgruppe zu verhandeln, der neben den heutigen Sonnenbühler Gemeinden auch einige Teilorte von Burladingen angehören. Zehn Jahre später war es geschafft: Talheim war für eine Anschlussgebühr von 50.000 Mark bei Baukosten von 640.000 Mark über Salmendingen an die Erpfgruppe angeschlossen, was mit einem großen Fest gefeiert wurde.
Bot die Erpfgruppe schon genug Sicherheit, den Talheimer Tagesbedarf an Wasser von etwa 150 Kubikmeter zu sichern, kam in den folgenden Jahren noch ein ganz großer Partner dazu: die Bodensee-Wasserversorgung (BWV). Die hatte bereits 1958 eine erste Wasserleitung über Tuttlingen am Nordrand der Alb entlang in den Großraum Stuttgart gebaut. Das Problem: Wegen der Topografie waren viele Pumpstationen erforderlich. »Die verbrauchten jährlich 700 Millionen Kilowattstunden Strom«, erklärte Schumacher.
Auf der Suche nach einer direkteren Verbindung wurde die Idee mit dem Stollen durch die Alb geboren, der von Süden her kommt und in Talheim wieder die Alb verlässt. Vom Sipplinger Berg durch die Alb über Talheim bis zum Hochbehälter am Firstberg sorgt das natürliche Gefälle dafür, dass wenig gepumpt werden muss. Dreieinhalb Jahre Bauzeit, Gesamtkosten 100 Millionen Mark: 1971 war das Mammutprojekt fertig. Beteiligt waren Mineure aus der ganzen Welt, von denen der eine oder andere in Talheim hängen geblieben ist. Die Bohrmaschine, berichtete Schumacher vor dem Gebäude oberhalb des Dorfs, steht heute in Wuppertal im Museum. Der Vorteil für Talheim und die Erpfgruppe: Sie sind damit auch an das Bodensee-Wasser angeschlossen.
Mit Wasser aus dem Bach
Letzte Station der Führung war das Talheimer Freibad. Ja, Talheim hatte schon in der 20er-Jahren ein Freibad. Zunächst wurde nur der Wangenbach aufgestaut, bevor ein zehn mal zwanzig Meter großes Becken gebaut wurde. Das wurde mit Wasser aus dem Bach gefüllt und war eine erfrischende Sache. »Wenn das Wasser mal 18 Grad hatte, dann war das schon viel«, erinnerte sich Schumacher, was etliche der rund 25 Teilnehmer bestätigten, die hier schwimmen gelernt hatten.
1927 wurde ein offener Schuppen zur Kleiderablage gebaut, 1933 pachtete die Gemeinde eine Liegewiese dazu. Montags und freitags durften die Männer baden, mittwochs und samstags die Frauen, wurde 1928 festgelegt. Nach dem Krieg kamen 1953 Umkleidekabinen dazu – und 1963 Auflagen in Sachen Hygiene. Eine Umwälzpumpe wurde gefordert und die Chlorierung des Wassers. Zu viel Aufwand: 1968 war Schluss. Zwischenzeitlich wurde das Becken für eine Forellenzucht genutzt, aber auch das ist Vergangenheit. (GEA)
DIE NÄCHSTEN FÜHRUNGEN
In der Reihe der Mössinger Ortsführungen geht es am 13. Oktober nach Belsen und am 20. Oktober nach Öschingen. In Belsen heißt das Thema »Lehrer, Tomba, Lädle« mit Berthold Rath und Matthias Schlegel. Treffpunkt ist um 14 Uhr an der Oberdorfschule. In Öschingen geht es mit Hans Martin Schneider um »Kirche, Schule, Käppelle«. Treffpunkt hier ist ebenfalls um 14 Uhr am Feuerwehrhaus. (GEA)