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Wie die heutige B27 im Mittelalter verlief

Der Verlauf der mittelalterlichen »B27« war nur vage bekannt. Nun ist die Trasse wiederentdeckt worden.

Die mittelalterliche Vorläuferin der B 27 führte über das Butzenbad (heute Trinkpavillion an der Schwefelquelle; roter Pfeil), d
Die mittelalterliche Vorläuferin der B 27 führte über das Butzenbad (heute Trinkpavillion an der Schwefelquelle; roter Pfeil), dann durch den Randbereich des heutigen Bästenhardt, hinab über die Halde nach Ofterdingen. Das Foto an der Tannbach-Brücke zeigt, dass die Trasse identisch mit der heutigen Kreisstraße zwischen Bad Sebastiansweiler und Bästenhardt ist. FOTO: MEYER; KARTE: WINTERMANTEL/QUELLE: LGL
Die mittelalterliche Vorläuferin der B 27 führte über das Butzenbad (heute Trinkpavillion an der Schwefelquelle; roter Pfeil), dann durch den Randbereich des heutigen Bästenhardt, hinab über die Halde nach Ofterdingen. Das Foto an der Tannbach-Brücke zeigt, dass die Trasse identisch mit der heutigen Kreisstraße zwischen Bad Sebastiansweiler und Bästenhardt ist. FOTO: MEYER; KARTE: WINTERMANTEL/QUELLE: LGL

MÖSSINGEN/OFTERDINGEN. Die Naturschutzverbände sind mit der Führung der neuen Bundesstraße 27 um den Ofterdinger Endelberg herum nicht einverstanden. Sie wollen gegen die Planfeststellung juristisch vorgehen.

Gegner und Befürworter von Trassen hat die wichtige Nord-Süd-Verkehrsverbindung zu allen Zeiten gehabt. Die »Schweizer Straße« – von Frankfurt über Ofterdingen nach Schaffhausen – war seit dem Mittelalter von großer Bedeutung. Spätestens als der Staufer-Kaiser Friedrich II. um 1230 die Alpenquerung von Deutschland nach Italien nun auch über den Gotthard-Pass ermöglichte, wurde das Steinlachtal zum Teilstück einer bedeutenden Fernstraße.

Zwischen 1750 und 1757 trassierte Württemberg diese alte Wegstrecke neu, die bislang noch direkt durch die Dörfer Dußlingen, Ofterdingen und Bodelshausen an den drei Kirchen und Ortsburgen entlangführte. Der Bau der »Schweizer Chaussee« war ein Meisterwerk der damaligen Tiefbautechnik. Die bisherigen Fahrlinien oft »über grundlosem Morast und Sumpf« waren mangels Unterbau in einem desolaten Zustand. Reisende nannten die Krebsbachtal-Gemeinde abschätzig »Bodloshausen«. Wenn ein Weg unpassierbar wurde, suchten die Fuhrleute nach Alternativen – ohne Rücksicht auf Acker-, Weide- oder Waldflächen.

Nun also erhielt die neue Chaussee nach französischem Vorbild einen festen Straßenkörper aus Steinen. Die rund viereinhalb Meter breite Straße ermöglichte das aneinander Vorbeifahren von zwei Gespannen. Gräben beidseits der Fahrbahn leiteten das Regenwasser ab.

Umgehungsstraße unbeliebt

Diese neue Umgehungsstraße stieß auf viel Kritik: Frachtfuhrleute wetterten gegen die Kunststraßen, »weil nunmehr die echten Lehr- und Meistergeheimnisse überflüssig geworden« seien. Es sei »noch eine Kunst gewesen, auf einer schlechten buckeligen Straße voller Löcher und Pfützen zu fahren.« Auf einer »ebenen Chaussee dagegen könne jeder Schneider sein Fuhrwerk lenken.«

Gastwirte, Schmiede und Wagner verloren ihre Kundschaft, ebenso Bauern, die ihre Ochsen und Pferde für den Vorspann-Dienst an Steigungen oder durch schlammige Strecken anboten.

Wie vor rund 250 Jahren: Wandergesellen auf der alten Trasse bei Bad Sebastiansweiler. Im Hintergrund ist der Hohenzollern zu se
Wie vor rund 250 Jahren: Wandergesellen auf der alten Trasse bei Bad Sebastiansweiler. Im Hintergrund ist der Hohenzollern zu sehen. FOTOS: MEYER
Wie vor rund 250 Jahren: Wandergesellen auf der alten Trasse bei Bad Sebastiansweiler. Im Hintergrund ist der Hohenzollern zu sehen. FOTOS: MEYER

Das führte zu der aus heutiger Sicht grotesken Situation, dass die Dußlinger und Ofterdinger, aber auch Dettenhäu-sener und Lustnauer ihre Siedlungen offensiv beidseits entlang der Umgehungsstraße vor allem mit Gasthäusern erweiterten und sie so wieder zur Durchgangsstraße machten.

Auf Mössinger Markung errichtete der geschäftstüchtige Belsener Wirt Sebastian Streib 1790 sogar auf freier Flur eine Gaststätte, sein Schwiegersohn folgte 1830 mit einem Schwefelwasser-Heilbadebetrieb. Die Keimzelle des späteren Bad Sebastiansweiler.

Vorgängerstraße wird zur Nebenstraße

Mit der Fertigstellung des Abschnitts durch das Steinlachtal um 1757 wurde die Vorgängerstraße zur Nebenroute. Genauer gesagt waren es zwischen Ofterdingen und Hechingen zwei Hauptstränge der Schweizer Straße. Die älteste Linie, die mittelalterliche Reichsstraße, entspricht dem heutigen »Promilleweg« von und nach Bodelshausen. Die zweite Linie nahm zwischen dem Butzensee und Bad Sebastiansweiler im Wesentlichen die heutige Führung der B 27 vorweg. Man muss sich das jedoch als einen regelrechten Fächer von Wegmöglichkeiten denken. Die genaue Trassenführung war bislang nicht bekannt.

Nun hat der neue ehrenamtliche Beauftragte des Landesamts für Denkmalpflege für das Gebiet Mössingen, Dr. Stefan Wintermantel, den Verlauf dieser historisch »Butzenstraße« genannten Trasse größtenteils rekonstruieren können. Er konnte den Straßenverlauf aus historischen Karten erschließen und mithilfe des LiDAR-Höhenreliefs (light detection and ranging) belegen. Diese Daten werden durch Abtasten der Erdoberfläche aus der Luft gewonnen und zu einem digitalen Geländemodell verarbeitet, Vegetation wird dabei herausgerechnet.

Demnach lässt sich die Jahrhunderte alte B 27-Vorgängerroute auf Mössinger Markung auf rund 3,5 Kilometer Länge noch gut im Gelände nachvollziehen.

Ausgehend von den Parkbuchten an der B 27 im Wäldchen beim Waldhof verlief sie bis vor 250 Jahren rund 50 Meter südlich und parallel der heutigen B 27. Die mittelalterliche Straße entspricht dem geteerten Feldweg. Das Wohnhaus Stett-äcker 1, an der B 27-Abzweigung nach Belsen, liegt direkt an dem Altweg, der heute identisch mit der Kreisstraße 6933 ist. Die bei den Verkehrsteilnehmern stets große Vorsicht abverlangende s-kurvige Abfahrt ins Tannbachtal folgt erstaunlicherweise noch der Originaltrasse. Sie wurde in all den Jahrhunderten offenbar nie entschärft, die Brücke jedoch verlagert. Ihre bereits für das Spätmittelalter unübliche Serpentinen-Führung hängt mit der dort zu unbestimmter Zeit entdeckten Schwefelquelle in der Senke des Tannbachtals zusammen – seit 2022 ein Geopoint des Geoparks Schwäbische Alb. Hier befand sich eine mittelalterliche Badstube, die zuletzt 1565 erwähnt wird. Bei Renovierungsarbeiten am heutigen Trinkpavillon war man 2004 auf zahlreiches Fundmaterial von Ofenkacheln und Glaskeramik des 15./16. Jahrhunderts gestoßen. Was auf einen Weinschank hindeutet.

Schwenker zur Raststube

Die Trasse der alten Schweizer Straße muss demnach auf diese nicht unbedeutende Rast-Einrichtung ausgerichtet ge-wesen sein. Die Fernstraße mied in ihrer Fortsetzung das unkalkulierbare feuchte Tannbachtal und stieg stattdessen moderat auf die Anhöhe. Hier wurde ihre Spur auf den ersten Hunderten Metern durch das in den 1980er-Jahren entstandene Neubaugebiet zerstört. Aber oberhalb der Stralsunder/Kohlberger Straße hat sie sich am Hang über dem Tannbachtal als Geländedenkmal konserviert. Der Tilsiter Weg am östlichen Ortsrand folgt in etwa der alten Landstraße. Dieser führt, entgegen der üblichen Praxis bei Straßennamen, nicht mittelbar nach Tilsit. Dafür liegt die ehemals zweitgrößte Stadt Ostpreußens mit 1.290 Kilometern dann doch zu weit weg. Aber die Richtung stimmt schon, sie weist nach Nordosten, müsste demnach eigentlich Ofterdinger Weg heißen. Denn von dort führt die insgesamt heute 673 Kilometer lange B 27 bis nach Blankenburg im Harz.

Straße im Gelände erhalten

Der Tilsiter Weg mündet in einen Feldweg, der der mittelalterlichen Straßenführung entspricht. Er quert einen Acker im Gewann Halde, einer Anhöhe über dem Tannbachtal. Direkt daneben klaffte bis in den 1980er-Jahren ein riesiges Loch – der zwischenzeitlich mit Bauaushub zugeschüttete Schieferbruch. Ganze Schüler-Generationen von Glücksrittern haben hier nach Katzengold geschürft. Ein tiefer Hohlweg, tunnelartig mit Gestrüpp zugewachsen, führt wie vor Hunderten Jahren hinab in die Untere Halde. Hier, auf dem an »Lost Places« erinnernden Gelände des einstigen Schieferwerks, hat sich die Recyclingfirma Saier ausgebreitet.

Am Fuß der Steige lässt sich im westlichen abfallenden Uferbereich des von Belsen fließenden Ernbachs eine Wegzuführung erkennen. Die vergessene Straße querte hier das Gewässer und führte auf Ofterdingen zu. Nicht weit von der Mündung des aus dem Butzental kommenden Tannbachs entfernt. In einer historischen Karte ist ein Wegstück weiter östlich jenseits des Bachs eingezeichnet. (GEA)