OFTERDINGEN. Nach seiner Wahl zum Ofterdinger Gemeinderat übernahm Martin Schüler (Grüne) das Amt des kommunalen Behindertenbeauftragten. Er führte durch einen Nachmittag, in welchem die Gemeinde darauf durchleuchtet wurde, inwieweit Menschen mit Handicaps dort im Alltag auf Barrieren stoßen. Unter den zwölf Teilnehmern waren Ofterdinger Bürger, Schultes Simon Wagner und die Kreisbehindertenbeauftragte Silvia Pflumm.
Laut ihren Zahlen waren im März dieses Jahres Schwerbehindertenausweise für 660 Menschen aus Ofterdingen ausgestellt. Das heißt, dass gut zwölf Prozent der Ortsbevölkerung mit einem Behinderungsgrad von mindestens 30 Prozent leben müssen. Martin Schüler verwies auf die verschiedenen Formen der Einschränkung: Manche sehen, hören oder lesen schlecht. Andere sind motorisch oder sprachlich eingeschränkt. Autisten kommen mit bestimmten Reizen nicht zurecht. Sie alle brauchen einen individuellen Zugang zur Teilhabe im Ort, jede(r) hat andere Bedürfnisse.
660 Menschen aus Ofterdingen haben einen Schwerbehindertenausweis
Zu Beginn dieses Barriere- und Teilhabe-Checks gleich das Positivste: Für die Homepage der Gemeinde Ofterdingen gab es viel Lob. Carolin Ohler, die stellvertretende Leiterin des Hauptamts, führte einige Anwendungen vor, die den Zugang zur Verwaltung vom heimischen Computer aus leicht machen: Die Texte sind in einfacher Sprache gehalten, die Navigation wird durch leicht zu bedienende Tasten-Kombinationen reibungsloser und Piktogramme vereinfachen das Verständnis des Inhalts.
Elvira Martin, bis vor eineinhalb Jahren Leiterin des Forums Integration in Tübingen, hat einen geschulten Blick für die Nöte von Menschen mit Behinderungen. Sie brachte einen Aspekt in die Diskussion, den wohl niemand anderes im Raum so auf dem Schirm hatte: Der Lichtschein von Straßenlaternen kann für manche Menschen extrem unangenehm sein.
Lichtschein von Straßenlaternen kann unangenehm sein
»Dieser Impuls kommt stark von autistischen Menschen«, sagte Elvira Martin. Sie selbst fühle sich von mancher Laterne in ihrer Ofterdinger Nachbarschaft geblendet. Als Beispiel, wie man es besser machen könnte, zeigte sie ein Bild des neuen Tübinger Busbahnhofs. Dort wird das Licht der Lampen auf eine Weise abgeschirmt, dass es in erster Linie den Boden erhellt. Zudem habe man dort Licht mit einer gewissen Wärme angebracht. Das beruhigt.
Stella Metzger, Fachberaterin für Kinderbetreuung innerhalb der Ofterdinger Verwaltung, berichtete, die räumlichen Gegebenheiten für behinderte Kinder seien ausbaufähig. Vor allem fehle es an genügend geschultem Personal: »Die Stundenzahl der verfügbaren Mitarbeiter wird den Anforderungen der Kinder nicht gerecht.« Darüber sei man mit den Kostenträgern der Einrichtungen im Austausch. Das neue Kinderhaus Weiherrain bekomme im Übrigen einen reizarmen Raum, der auf Kinder ausgerichtet sind, die Probleme mit äußeren Reizen wie Licht oder Lärm haben.
Es sollte noch mehr abgesenkte Bordsteine im Ort geben
Auf ins Treppenhaus des Ofterdinger Rathauses: Silvia Pflumm war mit den Maßen des Aufzugs und dessen gut erreichbaren Bedienungselementen zufrieden. Mit den Markierungen an der Treppe nicht: Zu weit weg von der Kante! Im Foyer lobte sie die auch für Rollstuhlfahrer bedienerfreundliche Höhe der Theke. Draußen kritisierte sie, dass der Behindertenparkplatz zu weit vom Haus weg sei: »Da bin ich pragmatisch – ich habe keine Chance einen Regenschirm zu nutzen.«
Gemeinderätin Kerstin Klipp-Röcker setzte sich in einen Rollstuhl und kam nach wenigen Metern an ihre Grenzen: Gegenüber der Apotheke schaffte sie es nicht, sich samt ihrem Fahrgerät von der Straße auf den Bürgersteig zu wuchten. Später, vor der Arztpraxis, machte ihr das Kopfsteinpflaster zu schaffen. Für die Straße in Richtung Dettingen ist der Landkreis zuständig. Dort, so waren sich alle einig, müsse es mehr abgesenkte Bordsteine geben.
»Das war ein produktiver Nachmittag«, sagte Gemeinderat Peter Müller am Ende, »mir hat es die Augen geöffnet.« Martin Schüler will nun Vorschläge zu Verbesserungen angehen und umsetzen. (GEA)