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Wie Bürger den Schwanen in Nehren gerettet haben

325 Jahre alt und an der Deutschen Fachwerkstraße: Der Schwanen.  FOTO: FÖRDER
325 Jahre alt und an der Deutschen Fachwerkstraße: Der Schwanen. FOTO: FÖRDER
325 Jahre alt und an der Deutschen Fachwerkstraße: Der Schwanen. FOTO: FÖRDER

NEHREN. Das passiert in vielen Orten: Wirt und Wirtin des letzten verbliebenen Dorfgasthauses hören altershalber auf. Das Gebäude steht leer. Neue Interessenten sind nicht zu finden. Im Ort beginnt die Debatte, was nun mit der Ruine geschehen soll. Meist tut sich nichts, das Haus beginnt zu verrotten.

In Nehren war man vor Jahren in einer ähnlichen Situation. Nach häufigem Pächterwechsel stand der Schwanen leer. Keiner wusste, wie’s weitergehen könnte. Eine Gruppe von Kulturinteressierten fragte 2014 bei der Gemeinde nach, ob sie das Gebäude für Veranstaltungen nutzen dürften. Die Schwanenabende mit Kulturkuriosa und Musik brachten wieder Leben ins Gemäuer. Und eine Gruppe begann sich zu formieren, die nichts Geringeres im Sinn hatte als die Rettung des Schwanen.

»Das Gasthaus bleibt im Dorf«, wurde als Parole ausgegeben. Eine Genossenschaft sollte das nötige Geld bringen und einem größeren Kreis erlauben, sich zu beteiligen. Das begann sich rumzusprechen und stieß auf großes Interesse. 220 Mitglieder erwarben mehr als 300 Anteile à 500 Euro. Die meisten sind Nehrener, doch einige wohnen auch ganz schön weit weg in Großbritannien und sogar auf der Ile de Réunion, die zu Frankreich gehört.

»Die beste Werbung für ein Dorfgasthaus ist immer noch Mundpropaganda«

Bürgermeister Egon Betz erkannte früh: »Das sind keine Sozialträumer, die Kneipe spielen. Das ist professionell.« Die Gemeinde war ihrerseits bereit, ihren Part zu übernehmen, ohne den das ganze nicht machbar gewesen wäre. Ihr gehört der Schwanen und das umliegende Gelände. Für 2,5 Millionen Euro wurden das Gasthaus samt der sechs Fremdenzimmer, das Rot-Kreuz-Häusle und der angrenzenden Rathausplatz hergerichtet. Ungefähr die Hälfte der Kosten musste die Gemeinde selbst tragen. Der andere Teil kam als Zuschuss aus dem Landessanierungsprogramm.

Die Schwanen-Retter standen nicht vornehm abseits, sondern packten mit an. Schon zum Entrümpeln kamen 30 Leute mit Arbeitshandschuhen statt Agendamappen, mit Schutzmasken statt Schreibgriffeln. Viele Arbeitseinsätze folgten, bis 2017 die Wieder-Eröffnung gefeiert werden konnte.

Der Bürgermeister sieht den Schwanen nicht als x-beliebigen Gasthof. Das Gebäude steht an vergleichsweise prominenter Stelle mitten im Dorf, es ist ortsbildprägend und ein Kulturdenkmal. Und das Ehrenamt spielt eine wichtige Rolle. »Das ist nicht bloß eine Kneipe.«

Für die Mitglieder der Genossenschaft ist es umgekehrt kein Investitions-Objekt, das gefälligst Rendite bringen soll. Dividenden wurden bisher nicht ausgeschüttet. Dafür verfügt man über eine stabile finanzielle Basis. »Auch in der Pandemie kamen wir nicht in Zahlungsschwierigkeiten«, sagt der Vorsitzende des Aufsichtsrats, Tilmann Rossow, der von Anfang an dabei war. Und die Sache mit den zusätzlichen Arbeitseinsätzen geht weiter. Zweimal im Jahr rücken freiwillige Genossen an – um die Fenster zu putzen oder den Biergarten abzubauen.

Von Anfang an gab’s eine klare Absprache. Die Gemeinde ist Eigentümer und verpachtet das Haus. Die Genossenschaft führt die Geschäfte, der Förderverein »Freunde des Schwanen« kümmert sich um kulturelle Belange wie Ausstellungen und Veranstaltungen. Beides geschieht ehrenamtlich. Und für den Gastronomiebetrieb sind der Restaurantleiter Mehmet Söylemez und das professionelle Personal zuständig.

HISTORIE UND AUSBLICK

Erbaut wurde der Schwanen1698. Er gehört zu den ältesten Häusern im Dorf. Ausgrabungen während des Umbaus lassen darauf schließen, dass dort schon im 13. Jahrhundert ein Gebäude stand – und damit zwischen Nehren und Hauchlingen, die später zusammenwuchsen. Der Schwanen wurde von 2015 bis 2017 saniert. Die historische Substanz blieb erhalten. Die Gasthaus-Serie erscheint wieder am Dienstag, 31. Oktober, mit dem Gasthaus Adler in Eglingen: Ein Alb-Gasthaus, das seit vielen Generationen im Familienbesitz ist. (-jk)

Söylemez sagt lächelnd »ich habe 220 Chefs«, findet dies aber durchaus positiv. Zumal nicht wenige dieser Chefs zupacken, wenn sie gebraucht werden, und auch einmal einen Tipp geben (»es ist immer gut, wenn man mal einen Rechtsanwalt fragen kann«). Zudem leisten einige einen nicht zu verachtenden Beitrag zur Speisekarte. »Vier davon sind Jäger. Bei uns gibt’s oft Reh.«

Für den in einem Balinger Teilort geborenen 52-Jährigen steht fest: Jeder, der ein Restaurant führt, muss viele Dinge im Blick haben. Und die Preise spielen eine große Rolle. »Bist du zu billig, kostet dich das Kopf und Kragen. Setzt du die Preise zu hoch an, kommen die Gäste nicht wieder.«

Im Schwanen war von vornherein klar: Regional soll es sein, und gute Qualität muss stets garantiert werden. Maultaschen, Wurstsalat und Schnitzel mit Pommes sind Pflicht, bestätigt auch Küchenchef Peter Feiler, der gerne noch viel mehr Fisch anbieten würde, wenn’s entsprechend nachgefragt würde.

Den Rostbraten, den ein vorbildliches Dorfgasthaus laut Arbeitskreis Heimatpflege in Schwaben unbedingt anbieten muss, gibt’s für 27,50 Euro. Das ist zufällig exakt der Wert, den die Kenner von der Heimatpflege als Durchschnittspreis im Ländle ermittelt haben.

Natürlich wird saisonal für Abwechslung auf der Karte gesorgt. Vegetarisch und vegan darf nicht bedeuten, dass man nur ein paar Beilagen mischt. Und der Gast, der unbedingt ein Kalbsbries haben wollte und das frühzeitig bei der Reservierung wissen ließ, bekam den Sonderwunsch erfüllt und sein Lieblingsgericht serviert.

Küchenchef Peter Feiler und Restaurantleiter Mehmet Söylemez erfüllen gelegentlich auch ganz besondere Kundenwünsche. FOTO: KREI
Küchenchef Peter Feiler und Restaurantleiter Mehmet Söylemez erfüllen gelegentlich auch ganz besondere Kundenwünsche. FOTO: KREIBICH
Küchenchef Peter Feiler und Restaurantleiter Mehmet Söylemez erfüllen gelegentlich auch ganz besondere Kundenwünsche. FOTO: KREIBICH

Vor einiger Zeit hatte man zudem eine Wunschzettel-Box aufgestellt, um herauszufinden, wonach den Leuten sonst noch so der Sinn steht. »Die Gäste hat’s gefreut, dass sie mitreden durften«. Und die Karte hat man deswegen nicht völlig umkrempeln müssen.

Die beste Werbung in Zeiten des Internets? »Für ein Dorfgasthaus ist es immer noch die Mundpropaganda«, hat Söylemez beobachtet. Wer zufrieden ist, kommt wieder und erzählt es Freunden und Bekannten. Mit Laufkundschaft wie in einer Stadt kann man in Nehren nicht rechnen. Deswegen sagt der Wirt: »Wir müssen so gut sein, dass die Leute auch zwanzig Minuten fahren, um zu uns zu kommen.« Wer aufmerksam die Karte studiert, kriegt aber auch mit, dass sie im Schwanen einen gelegentlichen frechen Spruch nicht scheuen: »Bei uns bekommt der Gaumen Gänsehaut vor Glück«, ist da als Fazit zu lesen.

»Die Gäste hat es gefreut, dass sie bei der Speisekarte mitreden durften«

Hochzeiten, Familienfeiern und Geburtstage werden nach wie vor gerne im Schwanen gefeiert. Und bei Gesprächs-Abenden mit Prominenten inklusive Vier-Gänge-Menü stellen Küche und Service zuverlässig unter Beweis, was sie können. Bei den vier Abenden der Reihe des Forums Nachhaltigkeit Nehren mit Gregor Gysi, Jürgen Resch, Peer Steinbrück und Lisa Fitz in diesem Jahr lief alles wie am Schnürchen.

Söylemez betont, dass solche Angebote dazu führen, dass man noch einmal besser wahrgenommen wird. Auch die drei Schwanen-Abende im Jahr mit Musik und Ausstellungen meist lokaler Künstler haben einen solchen Effekt. Von Vorteil sind auch die Übernachtungsmöglichkeiten: Der Schwanen hat sechs Gästezimmer, jedes wurde mit Gespür fürs Detail nach einem Motto gestaltet (unter anderem ein Dicke-Eiche-Zimmer sowie ein Fachwerkzimmer).

Tilmann Rossow von der Genossenschaft sieht die Rettungsaktion als sehr geglückt an. »Ich bin froh, dass wir es gemacht haben.« Er und seine Mitstreiter glauben, dass das Modell durchaus zur Nachahmung empfohlen werden kann – wenn die Bedingungen stimmen. Vor Kurzem sei ein Bürgermeister einer Gemeinde aus dem Landkreis Heidenheim da gewesen, die ihr Bahnhofs-Lokal retten will. Demnächst wollen sich auch die Gemeinderäte anschauen, wie man das in Nehren gemacht hat. Von ihren Gesprächspartnern bekommen sie vermittelt, dass immer wieder Engagement nötig ist. »Ein Selbstläufer ist das nicht.«

Bürgermeister Egon Betz findet, dass man beim Schwanen die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Für ein Dorf mit 4.600 Einwohnern habe Nehren viel zu bieten. Der Rathauschef nennt Hotel und Gasthof Nehrener Hof, das Punjabi Rutba, einen Inder, italienische Küche bei Da Papi im Schützenhaus, deutsche im Sportheim. Dazu kommen Stankas Café und das Café Eisvogel. (GEA)