NEHREN. »'S Kirchle darf ich ja nicht mehr sagen«, ermahnt sich der Nehrener Bürgermeister selbst. Denn die einstige neuapostolische Kirche an der Ecke Bubengasse/Lotschackerstraße heißt jetzt »S'Kultursäle«. Diesen Namen hatte der Gemeinderat aus den eingegangenen Vorschlägen nach einer Bürgerbefragung gewählt, erklärt Egon Betz.
Nachdem sich die Nehrener neuapostolischen Christen mit jenen von der Nachbargemeinde in Dußlingen zusammengeschlossen hatten und Ende Februar 2020 ihr rein über Spenden finanziertes Gotteshaus seiner geistlichen Funktion entbunden worden war, hat vor etwas mehr als zwei Jahren die weltliche Gemeinde das Kirchengebäude gekauft. Mit dem Ziel, daraus einen Veranstaltungsort zu machen.

Der ist jetzt weitgehend fertig und wird zum Teil schon genutzt. »Es war alles da, was man braucht«, freut sich Betz: Das Haus mit dem kleinen spitzen Turm auf dem Giebel, einem geteerten Parkplatz und großzügiger Rasenfläche drumherum verfügt nicht nur über »viele schöne Details und Charme«, sondern zudem über eine funktionierende Heizung sowie Toiletten auf beiden Ebenen - und war so »mit relativ geringfügigen Mitteln« für die neue Nutzung bereit. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart - »es war ein sehr anständiger Preis«, verrät Betz lediglich - und die Ausstattung werde übers Landessanierungsprogramm 2024 mit 50 Prozent Zuschuss gefördert.
Mit einzigartigem Kunstwerk von Winand Victor
Neu installiert wurde lediglich eine Induktionsschleife für Hörbeeinträchtigte und eine Bühne im vorherigen Altarraum. Wichtig für lokale und regionale Kunstkenner: Das große Betonglasfenster dahinter bleibt erhalten.
Auf die Bedeutung des beeindruckenden raumhohen Werks von Winand Victor (1918-2014) war die Gemeinde als neue Inhaberin unter anderem von der Reutlinger Galerie Reinhold Maas aufmerksam gemacht worden. Der Reutlinger Künstler, dessen Arbeiten sich unter anderem in Sammlungen der Albertina in Wien, der Staatsgalerie Stuttgart und des Kupferstichkabinetts in Berlin finden, hatte den stilisierten Kelch, durch dessen gelbe, violette und blaue Glasquader von Süden her das Licht einfällt, unter dem Titel »Farben des Schmerzes und der Trauer, Farben der Freude und des göttlichen Glanzes« 1966 zum Bau des Kirchleins geschaffen. Victor hat zudem die Fensterbänder der östlichen Seitenwand gestaltet.

Da es für manche jedoch befremdlich wirken könnte, wenn in einem - wenngleich profanisierten - Sakralbau vor dem im Kunstwerk integrierten Kreuz gewissermaßen »Lumpenlieder« gesungen werden, hat die Gemeinde davor eine unauffällige Vorhangstange installiert. Den dichten daran befestigten schwarzen Vorhang »kann jeder innerhalb von einer halben Minute« zuziehen, erläutert Betz. So blieb das Glasfenster erhalten - kann aber ohne großen Aufwand aus dem Blick verschwinden.
Was noch fehlt: Neue Lampen, Küche, Rampe
Die Lampen sollen noch ersetzt werden. Weder ästhetisch noch technisch erfüllen die »alten Funzeln« die aktuellen Ansprüche, erklärt Betz. Um den Charakter des Raums zu unterstreichen, schwebt ihm »etwas Zeitloses« vor, runde Lampen oder LEDs. Auch die restliche Technik sei in die Jahre gekommen, die Tonanlage jedoch »einfach, aber von guter Qualität«. Allein die Akustik lässt zu wünschen übrig: »Es hallt ziemlich«, stellt der Bürgermeister fest. Dennoch funktioniere der Raum im Rahmen seiner neuen Funktion - bis hin zu mittelgroßen Veranstaltungen. Dafür ist dieses »Kultursäle« - das schwäbische Diminutiv legt es nah - auch gedacht.
Eine kleine Küche soll noch eingebaut werden, in der vormaligen Amtsstube, kündigt Egon Betz an. Wobei sich die Räumlichkeiten wegen des Teppichbodens nicht für eine gastronomische Nutzung eignen. Außen soll eine fest installierte Rampe bald den Zugang auch für Menschen, die auf Rollator oder Rollstuhl angewiesen sind, ermöglichen.
Bereits zu Corona-Zeiten hatte in der Bubengasse 41 der Gemeinderat getagt. Auch Konzerte erklangen schon in dem hohen Saal mit Empore, zudem wurden politische Podiumsdiskussionen und das Forum für Demokratie abgehalten. Die Mikro-Anlage eigne sich auch für Lesungen und Gute-Nacht-Geschichten, sagt Betz. »Im Prinzip kann man hier jetzt alles machen«, ist der Bürgermeister überzeugt. Abgesehen vielleicht von einer Jugenddisko oder einer Heavy-Metal-Nacht. Die Ausstattung halte einen »guten kleinen Standard« vor. »Wer mehr braucht, muss es mitbringen.« Aus seiner Sicht ist das nun »genau der Veranstaltungssaal geworden, der noch gefehlt hat«. Er liegt mitten im Ort und ergänzt von der Größe her das bisherige Angebot zwischen der Turnhalle, dem nicht barrierefrei zugänglichen Feuerwehr- und dem Bürgerhaus.
Was die Gemeinde Nehren für »S'Kultursäle« nicht will: Dauerbelegung mit festen wöchentlichen Terminen. Abgesehen davon können Vereine entsprechend der kommunalen Förderrichtlinie die einstige Kirche jederzeit kostenlos nutzen. Für Institutionen und Privatleute stehen die Räume zur Vermietung bereit. Die Empore ist fest mit Holzbänken bestuhlt, unten können Stühle nach Belieben aufgestellt werden, Platz ist auf 1.600 Quadratmetern für etwa 100 Personen. (GEA)