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Aktuell Theatersport

Wettbewerb um Worte, Silben und Reime am Landestheater Tübingen

Vor 35 Jahren gründete Volker Quandt das Harlekin-Theater und brachte damit den Theatersport nach Tübingen. Das Format, siehe die ausverkaufte Vorstellung am Samstag, zieht noch immer.

Wohin führt die Improvisation von Mirjam Woggon und Jakob Nacken? Wohin auch immer, die Band reagiert angemessen.
Wohin führt die Improvisation von Mirjam Woggon und Jakob Nacken? Wohin auch immer, die Band reagiert angemessen. Foto: Foto: Michael Sturm
Wohin führt die Improvisation von Mirjam Woggon und Jakob Nacken? Wohin auch immer, die Band reagiert angemessen.
Foto: Foto: Michael Sturm

TÜBINGEN. Die große Mehrheit der Besucher im ausverkauften LTT-Saal kannte die Abläufe: Je drei Akteure der immer gleichen Mannschaften »Coole Rampe« und »Fortuna Faust« laufen zur Musik der Liveband ein (am Samstag intonierten die Musiker Richard Strauss‘ »Also sprach Zarathustra«), danach erhebt sich das Publikum, um der ersten Improvisation des Abends zu lauschen, einer eher gesummten, als gesungenen »Nationalhymne« – es geht ja um einen Wettkampf.

Beide Teams setzten auf über Jahre, ja Jahrzehnte bewährte Spieler: Für »Coole Rampe« traten Jakob Nacken, Mirjam Woggon und Johann Theisen an. Das Trikot von Fortuna Faust trugen Tobias Rockenfeld, Samuel Zehendner und Harry Kienzler. Spielleiterin Felixa Dollinger zählte mit dem Publikum runter: »Fünf, vier, drei, zwei eins – los geht’s!« Dann lieferten sich die sechs Routiniers ein hart umkämpftes Match um Worte, Silben und Reime.

Sechs Routiniers mit Wortwitz, eine Spielleiterin, dazu eine Band samt Chor

Ein fortlaufendes Lied in dem die Buchstaben-Kombination -ch- nicht vorkommt? Es dauerte eine Weile, bis Fortuna-Faust-Recke Samuel Zehendner in die Falle tappte. Cheise. Punkterückstand. Teamkamerad Tobias Rockenfeld sprang in die Bresche: Das Publikum liebte seinen »Tier-Techno-Song« über einen Ameisenbär, der die A-A-Ameisenstraße sucht, und applaudierte lautstark.

Ein großartiges Impro-Format: Der Dutch Square. Vier Akteure als Quadrat formiert, auf Kommando eine Drehung, so dass je ein neuer Mitspieler, je ein neues Impro-Thema dazu kamen. Großartig auch die Improvisation zum Plattenladen, welcher der sechsköpfigen Band und den dreien vom Chor eine rasche Reaktion abforderte: Das Stück »Wir bauen auf den Trümmern auf« des imaginierten Künstlers Dirk klang irgendwie nach Wolfgang Petry.

Gelbe Karte für einen Kraftausdruck

Was wird improvisiert, wenn das Publikum zum Spielort U-Boot eine musikalische Mischung aus Rap und Oper fordert? Da kommt plötzlich ein Marineoffizier namens Paulsen ins Spiel, der sich zu Karrierezwecken hochgeschlafen hat. Für einen ziemlich kräftigen Kraftausdruck zeigte Schiedsrichterin Felixa Dollinger die gelbe Karte.

Nach der Pause schaltete das Ensemble noch einen Gang höher. Nun rückte die Schnelligkeit in den Hintergrund, jetzt war möglichst präzise Assoziationsfähigkeit gefragt: Man wolle nun ein Musical improvisieren. In welcher Umgebung soll es spielen? Auf einer Ritterburg in der Nähe eines Moors. Titel? »Das grüne Zimmer« – in Ordnung.

Im zweiten Teil improvisierte das Ensemble ein Musical

Jakob Nacken wuchs in die Rolle des Prinzen Konstantin, Felixa Dollinger in die der bürgerlichen Angebeteten. Samuel Zehendner erst intriganter Onkel Robin, später der König. Tobias Rockenfeld gab den Hofnarr. Oder war er eher ein Schwein im Tutu, das da durchs Dorf getrieben wurde? So schien es »Königin« Mirjam Woggon aufzufassen: »Das Schwein macht mich fertig!«

Im Vorfeld, so Nacken später, habe sich das Ensemble etwas mit Choreografie beschäftigt, um durch das improvisierte Musical Energie zu erzeugen, komplexe Songs zu erschaffen und eine große Show zu kreieren. In »Willkommen auf der Ritterburg«, schufen die Darsteller ein Lied für den Anfang und den Schluss. Stark: »Zu Höherem geboren«, Samuel Zehendners Improvisation. Band und Chor improvisierten in Hochform mit.

Volker Quandt spekulierte über Weltrekord an Impro-Aufführungen

Das Publikum goutierte alles. Mittendrin: Volker Quandt, bis letztes Jahr Spielleiter der Truppe. »Man fiebert ganz anders« mit, gestand der 79-jährige Pionier des Theatersports in Deutschland hinterher. Der in Schweden geborene Quandt lernte Schauspiel und Regie in seinem Geburtsland von der Pike auf. Über einen Workshop im Jahr 1981 beim mittlerweile verstorbenen Briten Keith Johnstone kam Quandt erstmals mit Theatersport als Mischung aus Improvisationskunst und spielerischem Wettkampf in Kontakt.

Acht Jahre später, gerade zum Leiter des Kinder- und Jugendtheaters am LTT berufen, gründete er das erste professionelle Theatersport-Team Tübingens, das Anfang 1990, vor 35 Jahren, erstmals auftrat. Zwei Jahre später machten sich Quandt und seine Akteure als Harlekin-Theater selbständig. Damals kam Mirjam Woggon dazu, zunächst als Assistentin des Spielleiters, bald jedoch als Akteurin auf der Bühne.

Am Samstag überlegte Quandt laut, ob es irgendwo auf der Welt ein Theater geben könne, das mehr improvisierte Vorstellungen aufgeführt haben könne, als seine Tübinger Truppe. Die bringe es mittlerweile auf über 3.000. Das könnte Weltrekord sein. (GEA)

Er brachte Theatersport nach Tübingen: Volker Quandt.
Er brachte Theatersport nach Tübingen: Volker Quandt. Foto: Foto: Michael Sturm
Er brachte Theatersport nach Tübingen: Volker Quandt.
Foto: Foto: Michael Sturm