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Was die Tischler aus der Region meistern müssen

Für die zukünftigen Tischlermeister geht es in dieser Woche ums Ganze: Die Abschlussprüfung steht an und am Sonntag werden ihre Meisterstücke an der Gewerblichen Schule in Tübingen der Öffentlichkeit präsentiert. Doch die Handwerker müssen deutlich mehr leisten, als ein funktionales und ästhetisches Möbelstück zu tischlern.

Der Tischlermeister-Anwärter Manuel Sazinger hat für seine praktische Meisterprüfung ein Küchen- und Schlafmodul für seinen Merc
Der Tischlermeister-Anwärter Manuel Sazinger hat für seine praktische Meisterprüfung ein Küchen- und Schlafmodul für seinen Mercedes Vito gebaut. Ein kleines Modell auf der Arbeitsfläche zeigt die Miniatur-Ausgabe seines Stücks. Foto: Paul Runge
Der Tischlermeister-Anwärter Manuel Sazinger hat für seine praktische Meisterprüfung ein Küchen- und Schlafmodul für seinen Mercedes Vito gebaut. Ein kleines Modell auf der Arbeitsfläche zeigt die Miniatur-Ausgabe seines Stücks.
Foto: Paul Runge

TÜBINGEN. »Sowas macht man einmal im Leben«, sagt Hugo Löhr und streicht liebevoll über die Anrichte aus Eiche und Nussbaum. »Die Hölzer sind gerade wieder in.« Jedes Fach, jede Tür, jeder Schließbolzen sitzt perfekt und schmiegt sich elegant in das Möbelstück ein. Das Highlight: Ein Zahlenschloss aus Holz, das ein geheimes Fach hinter einer dezent beleuchteten Weltkarte öffnet. »An jedem Stück muss was Besonderes dabei sein, es muss sich abheben«, erklärt Löhr. Erdacht und gebaut hat's der Meister-Anwärter Jonas Ott. Ob es für den Abschluss reicht, das entscheidet sich dieser Tage.

Man merkt, wie stolz der Klassenlehrer Löhr auf seine angehenden Tischlermeister ist - oder wie man in Süddeutschland auch sagt, Schreinermeister. Seit einem Jahr werden über ein Dutzend Noch-Gesellen an 40 Stunden in der Woche an der Gewerblichen Schule in Tübingen zum Meister ihres Fachs ausgebildet. In den vergangenen 18 Tagen haben die Schüler ihre Meisterstücke gefertigt, die sie jetzt mithilfe von Arbeitskollegen, Freunden und Verwandten in den Räumen der Schule aufbauen - zur Begutachtung und Bewertung durch ein achtköpfiges Prüfungskomitee der Handwerkskammer Reutlingen. Die Stücke, die es erfolgreich durch die Prüfung geschafft haben, werden am Sonntag, 15. September, von 10 bis 16 Uhr in der Schule ausgestellt. Die, die es nicht geschafft haben, sind dann nicht mehr da. Behalten dürfen die Meisterschüler ihre Stücke trotzdem - schließlich haben sie das Material bezahlt und »viel Herzblut reingesteckt«, wie Löhr weiß.

Noch-Geselle Jonas Ott hat in seine Anrichte einen tresorartigen Schließmechanismus aus Holz gebaut.
Noch-Geselle Jonas Ott hat in seine Anrichte einen tresorartigen Schließmechanismus aus Holz gebaut. Foto: Paul Runge
Noch-Geselle Jonas Ott hat in seine Anrichte einen tresorartigen Schließmechanismus aus Holz gebaut.
Foto: Paul Runge

Den drei Wochen Bauzeit geht ein nicht zu unterschätzender Planungsaufwand voraus. Rund zwei Monate sind die Gesellen konkret damit beschäftigt. Die Ideenfindung, was sie eigentlich erschaffen wollen, begleitet sie das ganze Jahr. »Das Stück muss Teil eines Raumkonzepts sein«, erklärt Löhr. Blaupausen, finanzielle Kalkulation, Auftragsabwicklung - all das sind Faktoren, ob es das Meisterstück durch das fiktive Kundenfachgespräch schafft, das Teil der Prüfung ist. Dabei werden Beratungs- und auch Verkaufsfähigkeiten getestet. Passgenau auf den Wunsch des erdachten Kunden muss es gefertigt sein.

»Der fachpraktische Bereich, unter den das Meisterstück fällt, ist aber nur ein Abschnitt der vierteiligen Meisterprüfung«, sagt Löhr. Da die zukünftigen Meister auch einen Betrieb leiten und Nachwuchs ausbilden, pauken sie pädagogischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Stoff. Insgesamt neun Lehrer haben die Schüler im vergangenen Jahr gehabt. »Die auch zufällig alle - wie ich auch - eine Lehre als Schreiner gemacht haben. Voraussetzung ist das aber nicht«, erläutert Löhr, der von Haus aus Holzingenieur ist. Gut sei das natürlich trotzdem, denn so wisse jeder, wie der Hase läuft.

Passgenaue Camping-Ausrüstung

Nach den eher fachfremden Themenblöcken geht es für die Noch-Gesellen dann in den theoretischen Bereich ihrer Profession: Gestalten, Konstruktion, Fertigungstechnik. Auch Montage und Instandhaltung sind Teil des Stoffs, ebenso wie ganz konkrete Betriebsführung und -organisation. Zusätzlich muss ein Semesterprojekt für die Vorbereitung aufs Meisterstück gefertigt werden. Grundkenntnisse bringen die meisten Anwärter natürlich mit, ihre Ausbildung zum Gesellen haben sie ja alle absolviert. »Es funktioniert mit der Meisterschulung deutlich besser, wenn man schon ein paar Gesellenjahre auf dem Buckel hat. Zwischen zwei bis zehn Jahren ist da alles dabei«, sagt Löhr. Und es gebe auch die, die aus den elterlichen Betrieben kommen und das Handwerk mit der Muttermilch aufgesogen haben. »Die hängen auch schon mal den Meister direkt an den Gesellen.« Üblich sei das aber nicht.

Wie frei die Meister-Anwärter in ihren Gestaltungsmöglichkeiten sind, beweist Manuel Sazinger. Seinen Mercedes Vito mit stolzen 300.000 Kilometern hat der Noch-Geselle für Campingreisen ausgebaut. »Mit einem elektrischen Heber kann ich die 250-Kilogramm-Konstruktion über den Laderaum reinschieben«, erklärt Sazinger. Die augenscheinlich simple Schrankwand, die wie maßgeschneidert in den Laderaum passt, hat es in sich: Der untere Teil lässt sich ausziehen und bietet eine Arbeitsfläche, ein Induktionskochfeld und einen funktionierenden Wasserhahn. »Der Tank liegt unter der Konstruktion im Wagen«, sagt Sazinger. Der Abwasserkanister ist mit einem Handgriff ebenfalls leicht herauszunehmen, ebenso die installierten Mülleimer. Eine dezente Beleuchtung sorgt auch zu später Stunde für ausreichend Licht. Betrieben werden Lichtleiste und Kochfeld mit einer Batterie, die von einem Solarpanel-Tisch aufgeladen werden kann. »Das ist praktisch, so habe ich dazu noch eine extra Arbeitsfläche.«

Die Schranktüren sind wie jedes Element des Stücks handgefertigt und mit einem speziell für diesen Zweck entwickeltem Schließsystem gesichert. »Der Bolzen, der die Schranktür beim Fahren ruckelfrei in der Konstruktion hält, funktioniert magnetisch.« Zerbrechliches wie Gläser, Teller und Tassen sitzen in festen Halterungen: »Damit beim Fahren auch nichts kaputtgeht.« Die Lagerelemente sind einzeln und praktisch herausnehmbar. Um den restlichen Laderaum sinnvoll zu nutzen, lässt sich die Rückwand des Stücks zu einem Bett ausfahren - oder zu einer Couch umfunktionieren, je nach Wunsch. Ob es nun mit dem Meister in diesem Jahr klappt oder nicht - der nächste Segelurlaub wird für Sazinger mehr als komfortabel sein. (GEA)