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Warum werden Kinder immer dicker?

Fernsehen, zocken oder chillen statt Fußball spielen, Fahrrad fahren oder mit Freunden toben. Aktuelle Studien zeigen, dass Kinder und Jugendliche immer dicker werden. Der Sündenbock ist schnell ausfindig gemacht: Heranwachsende Stubenhocker sitzen zu viel und bewegen sich wenig. Doch stimmt das überhaupt? Der GEA hat den Tübinger Sportwissenschaftler Ansgar Thiel und die Psychotherapeutin Katrin Ziser vom Universitätsklinikum gefragt

FOTO: AFRICA STUDIO/ADOBE STOCK
FOTO: AFRICA STUDIO/ADOBE STOCK Foto: Adobe Stock
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TÜBINGEN. Pummel-Alarm! Kinder und Jugendliche bewegen sich immer weniger und werden dicker und dicker. Das zeigen die Ergebnisse einer repräsentativen Forsa-Umfrage aus diesem Jahr. Besonders die Zeit während der Corona-Pandemie hat die Entwicklung sogar noch verschärft. Doch schon davor gab es die Tendenz, dass der Nachwuchs weniger aktiv ist, immer mehr Kinder an Übergewicht und Co. leiden. Das bestätigen Sportsoziologe Professor Dr. Ansgar Thiel und Dr. Katrin Ziser, Psychotherapeutin am Uni-Klinikum, beide aus Tübingen. Dem GEA erklären sie, warum immer weniger Kinder aktiv sind und zur Trägheit neigen – und was Eltern dagegen tun können.

Alleine in der Coronazeit sind 16 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen drei und 17 Jahren dicker geworden, zeigen die Forsa-Ergebnisse. »Besonders Kinder zwischen zehn und 12 Jahren sind betroffen«, präzisiert Katrin Ziser. Hier haben sogar 32 Prozent zugenommen. Was aus Sicht von Ansgar Thiel noch bedenklicher ist: 44 Prozent der jungen Leute bewegen sich weniger. Bei den Zehn- bis Zwölfjährigen sind es sogar 57 Prozent. Ein Drittel schwächelt bei der Fitness, bei Kindern zwischen zehn und 12 Jahren sind es sogar 48 Prozent, die sich verschlechtert haben.

Die aktuelle Umfrage dokumentiert laut Expertise aber nur die halbe Wahrheit. Denn auf der einen Seite gibt es zwar die deutlich steigende Zahl an Kindern und Jugendlichen, die weniger auf Trab sind. Andererseits gibt es jedoch auch einige »echte Bewegungsexperten, die sich deutlich mehr bewegen und deren motorische Fähigkeiten immer besser werden«, erklärt Thiel den Trend. Aber Fakt ist eben auch: »Die gesunde Mitte der normalgewichtigen Kinder und Jugendlichen wird immer kleiner.«

Für den Sportwissenschaftler ist klar: »Die Digitalisierung spielt eine zentrale Rolle. Kinder müssen heute zum Freunde treffen und spielen nicht mehr rausgehen, sondern können sich einfach in einer virtuellen Umgebung verabreden. Bewegung im Alltag ist nicht mehr so wichtig wie früher.« Trotzdem »lässt sich die Rolle der Videospiele nicht per se verteufeln«. Gleiches gelte für alle anderen Medien.

»Die gesunde Mitte der normalgewichtigen Kinder wird immer kleiner«

»Es gibt durchaus sportliche und normalgewichtige Kinder, die regelmäßig Medien nutzen«, sagt der Experte. Übergewicht sei meist ein Ergebnis mehrerer Faktoren. Erst wenn die Mediennutzung dazu führe, dass nicht genügend Zeit für andere Aktivitäten bleibe oder Treffen mit Freunden vermehrt in virtuelle Welten verlagert würden und weitere Verhaltensmuster, wie etwa eine ungesunde Ernährung auch noch hinzukämen, dann werde es problematisch.

Genau diesen Mix aus Risikofaktoren belegen die Forsa-Zahlen. Zusätzlich zu weniger körperlicher Aktivität kommt, dass 70 Prozent der Heranwachsenden mehr Medien als vor der Pandemie nutzen. Mehr als ein Viertel greift zudem häufiger zu Süßwaren und ernährt sich ungesünder als vor der Coronakrise. Auch das soziale Umfeld hat einen erheblichen Einfluss: »Wir sehen in den Kinderarztpraxen, dass die jungen Patienten aus einkommensschwachen Familien häufiger Probleme haben«, berichtet Katrin Ziser. Die Gründe dafür seien vielfältig: Weniger Wohnraum und Möglichkeiten, sich in den eigenen vier Wänden zu bewegen, kein eigener Garten oder auch der fehlende soziale Anschluss. »Häufig fehlt es auch am Bewusstsein der Eltern, wie wichtig Bewegung und ein gesunder Lebensstil für die Kinder ist«, so Thiel.

Elementar sei daher die Frage: »Wie bringt man Eltern dazu, dass sie Bewegung als wichtig erachten und Vorbild für ihre Kinder sind.« Das beste Mittel, Kinder zu motivieren sei, selbst aktiv zu sein. Als Ratschläge gibt Thiel mit: Möglichst wenig unnötige Strecken mit dem Auto zurücklegen, gemeinsam an der frischen Luft spazieren gehen, zusammen Sport treiben oder die Kinder motivieren, mit dem Rad zur Schule zu fahren. Auch Kleinigkeiten wie die Treppen statt der Rolltreppe zu nehmen oder die Kinder in den Haushalt einzubinden, sind gute Möglichkeiten, im Alltag aktiver zu sein.

»Wenn sich Kinder in jungen Jahren regelmäßig bewegen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie als Heranwachsende später bis ins hohe Lebensalter immer weiter aktiv bleiben«, sagt Thiel. Ist das aber nicht der Fall, folgen häufig bereits im Kinder- und Jugendalter gesundheitliche Probleme, die sich mit der Zeit verschlimmern. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Störungen des Hormonhaushalts und Leberverfettung, aber auch psychische Erkrankungen sind Beispiele dafür, erklärt Katrin Ziser. Umso bedenklicher sei es, dass es kaum Beratungsangebote für übergewichtige Kinder gäbe.

»Die Rolle der Videospiele lässt sich nicht per se verteufeln«

Um das zu vermeiden, »spielen Schulen eine entscheidende Rolle«, sagt Thiel und nimmt die Politik in die Pflicht: »Das Land muss Rahmenbedingungen wie neue Lehrpläne und ausreichend Personal schaffen.« Unterricht, wie er heute angeboten werde, sei nicht mehr zeitgemäß. »Die Kinder werden im Klassenzimmer eingepfercht.« Auch Sport als Fach müsse anders gestaltet werden: »Sportunterricht darf nicht nur Bewegungsangebot sein. Er muss Wissen über Bewegung und Gesundheit vermitteln.« Nur so ließen sich die erreichen, bei denen das von Haus nicht so ausgeprägt sei.(GEA)