ROTTENBURG. Der Rottenburger Oberbürgermeister Stephan Neher gehört zu den Erstunterzeichnern eines CDU-Appells, der gegen eine einseitig konservative Positionierung der Partei eintritt. »Es bedarf einer Kurskorrektur, damit die CDU mit 40 Prozent wieder die Ergebnisse einer Volkspartei erreicht«, heißt es in einer Erklärung der Initiative namens »Compass Mitte«. Die von der Union bei der Bundestagswahl erreichten 28,6 Prozent dürften nicht zufriedenstellen. »Deshalb muss der soziale und liberale Teil der Union sichtbarer werden, um mehr Menschen anzusprechen.«
Neher begründete seine Unterstützung der Gruppe zum jetzigen Zeitpunkt damit, dass die CDU sich vor den Wahlen im Osten klar positionieren müsse, nicht gemeinsam mit der AfD zu regieren oder sonstwie zusammenzuarbeiten. »Es gibt da ja den einen oder anderen in der Partei, der das anders sieht«, sagt Neher dem GEA. Die Erinnerung an die Fehler des von den Nationalsozialisten ermordeten Rottenburger Ehrenbürgers und Widerstandskämpfers Eugen Bolz lehre, dass man mit Extremisten nicht zusammenarbeiten dürfe. »Bolz hat dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt und es hat sich gezeigt, dass das zu nichts führt«, so Neher.
Die CDU müsse zwar Problempunkte ansprechen, dürfe dabei aber nicht ins Populistische abrutschen, so Neher. Gegen die »Ansammlungen von jungen Männern«, die in Großstädten sicher ein größeres Problem seien als in Kleinstädten wie Rottenburg, brauche es »klare Konzepte« statt »Untertöne, die ins Rassistische abgleiten«. Neher deutete an, dass man Probleme wie Alkoholismus, die dabei eine Rolle spielten, »unabhängig von der Hautfarbe« angehen müsse. »Solche Probleme am Äußeren festzumachen, ist ganz klar rassistisch«, so Neher. Mit einem Seitenhieb auf Boris Palmer fügt er hinzu, dass »der Kollege aus Tübingen« auch »gleich wieder auf den Zug aufgesprungen« sei. Die Stadtbild-Äußerung des Bundeskanzlers sei deshalb unglücklich gewesen. »Er hat das ja dann auch im zweiten Anlauf korrigiert«, sagt Neher. »Zum Stadtbild gehören auch die zahlreichen Geschäftsleute und Gastronomen mit Migrationshintergrund, ohne die es in den Innenstädten noch düsterer aussehen würde.«
»Solche Probleme am Äußeren festzumachen, ist ganz klar rassistisch«
Zur Gruppe »Compass Mitte« sei er gekommen, weil ihn das Bundesvorstandsmitglied Monica Wüllner aus Stuttgart angesprochen habe, die er bereits aus gemeinsamen Zeiten in der Jungen Union kenne. »Ich habe mir die Erklärung durchgelesen, und das entspricht genau meiner Haltung«, sagt Neher. Mit weiteren CDU-Bürgermeistern habe er sich noch nicht ausgetauscht, er glaube aber, dass die Mehrheit seiner Amtskollegen im Großen und Ganzen ähnlich denken.
Zu den rund 30 Erstunterzeichnern gehören der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz, der Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter und weitere CDU-Mitglieder meist aus der Kommunalpolitik. In der ersten Präsentation heißt es, es handele sich um keine neue Bewegung neben der CDU, sondern eine Plattform in der CDU, die helfen wolle, das Profil zu schärfen und ihre Mitte sichtbar zu machen.
»Der Kollege aus Tübingen ist auf den Zug aufgesprungen«
Konkret fordert die Gruppe unter anderem eine harte Abgrenzung zur AfD auf allen Ebenen, mit der es keinerlei politische Zusammenarbeit geben dürfe. »Die CDU darf deshalb auch keine Anträge stellen, die nur mit Stimmen der AfD eine Mehrheit bekommen können.« In der Erklärung betont die Gruppe außerdem: »Wir stehen für Empathie, Inklusion, Integration und gegen Ausgrenzung. Es darf keine Politik auf dem Rücken von Minderheiten geben.«
Die CDU-Bundeszentrale in Berlin äußerte sich auf Anfrage nicht zu der Initiative. Die CDU hatte 2024 ein neues Grundsatzprogramm beschlossen. (GEA)

