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Von Wagenknecht bis zur lokalen SPD: Politiker äußern sich zum Palmer-Skandal

Die einen fordern sein Aus als Oberbürgermeister, von anderer Seite erhält er Kritik auf Meta-Ebene wie auch Rückendeckung: Auch vier Tage nach seinem umstrittenen Facebook-Kommentar wird weiter über Boris Palmer diskutiert.

Boris Palmer
Boris Palmer Foto: Markus Niethammer
Boris Palmer
Foto: Markus Niethammer

TÜBINGEN. Die Aufregung um einen umstrittenen Facebook-Kommentar von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer legt sich nicht: Nun haben sich mit der SPD und der Tübinger Liste auch zwei Gemeinderatsfraktionen öffentlich geäußert, bei denen Palmer schon länger in der Kritik steht. Zum wiederholten Male müsse man sich mit ausgrenzenden, diskriminierenden und nunmehr auch noch geschmacklosen Aussagen des eigenen Oberbürgermeisters befassen, so die SPD-Fraktion. Und weiter: Oberbürgermeister Boris Palmer müsste sich eigentlich selbst die Frage aufdrängen, ob er noch der Richtige für dieses Amt sei. 

Die Tübinger Liste bezeichnet Palmers Kommentar als weiteren »Tiefpunkt einer Reihe ähnlicher Vorfälle«. Diese würden immer nach dem selben Verlauf funktionieren: Tabubruch und Provokation, dann die mediale Empörung und am Ende die Relativierung und Umdeutung. Die Vorfälle hätten mit Tübingen nichts zu tun, würden aber immer dem Ruf der Stadt schaden. Mitglieder der Gemeinderatsfraktion wollen daher in den kommenden Wochen an einzelnen Sitzungen nicht teilnehmen, die von OB Palmer geleitet werden. Außerdem werde die Fraktion beim Regierungspräsidium die Prüfung der Voraussetzung für ein Disziplinarverfahren beantragen. Dazu wolle man auch die anderen Fraktionen des Gemeinderats um Unterstützung bitten. 

Neustes Palmer-Skandal: Was ist passiert?

Seinen Ursprung hatte der Skandal in zwei verbalen Fouls aus der Welt des Fußballs. Zunächst hatte Ex-Nationalspieler Jens Lehmann an den ebenfalls Ex-Nationalspieler Dennis Aogo einen Post mit dem Begriff »Quotenschwarzer« weitergeleitet. Lehmann verlor daraufhin seinen Aufsichtsratsposten bei Hertha BSC und darf nicht mehr Studiogast bei Sky und Sport 1 sein. Dennis Aogo wiederum sprach auf Sky von »Trainieren bis zum Vergasen« und war daraufhin ebenfalls vom Bildschirm verbannt worden. Palmer erklärte auf Facebook, so etwas müsse mit einer Entschuldigung erledigt sein und fügte hinzu: »Ich will nicht in einem solchen Sprachjakobinat leben.« In der Kommentarspalte tauchte daraufhin ein Text von der Seite Aogos auf. Dort soll eine junge Frau behauptet haben, Aogo hätte ihrer Freundin einst seinen »dicken Negerschwanz« angeboten. In einer Antwort schreibt Palmer schließlich: »Dennis ist ein schlimmer Rassist. Hat Frauen seinen Negerschwanz angeboten.« (sel)

Obszöne Begriffe gehören nicht zum Sprachgebrauch des Reutlinger General-Anzeigers. Wir haben uns aber dennoch entschieden, den Facebook-Post von Boris Palmer im Wortlaut zu nennen, um die strittigen Passagen dokumentieren zu können.

Die Tübinger Liste liegt auch bezüglich anderer Themen immer wieder mit OB Palmer im Clinch, beispielsweise wenn es um die Innenstadtstrecke der Regionalstadtbahn geht. Immer wieder sind sich Palmer und der Facebook-Account der Tübinger Liste in der Vergangenheit auf Social Media gegenseitig harsch angegangen. 

FDPler Gohl wendet sich mit einem Offenen Brief an Palmer

Ausführlicher und mit weniger radikalen Forderungen meldete sich der Tübinger FDP-Bundestagsabgeordnete Christopher Gohl in einem Offenen Brief an Palmer zu Wort. Palmer und er seien sich in vielem einig, so Gohl. Und genau deshalb verstehe er umso weniger, warum Palmer »schon wieder einen völlig sinnlosen und kontraproduktiven Skandal provoziert« habe. Als Vater wisse er - wie auch Palmer - dass Sprache Selbstbilder und Weltbewusstsein präge. Die Wirkung der eigenen Worte zu verantworten sei das »ursprüngliche und ehrenwerte Anliegen politischer Korrektheit«. Deshalb sollte man sich doch »öffentlich um eine inklusive, nicht verletzende Sprache bemühen« - was Palmer ja häufig mühelos gelinge in anderem Kontext. 

Bundes-Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht hat den umstrittenen Tübinger Bürgermeister Boris Palmer dagegen gegen den Vorwurf in Schutz genommen, ein Rassist zu sein. Wagenknecht sagte der »Neuen Osnabrücker Zeitung«, Palmer habe mit einem Post bei Facebook provoziert, den man nicht gut finden müsse. »Aber er hat ihn klar als Satire kenntlich gemacht.« Im Übrigen, so Wagenknecht weiter, habe Boris Palmer als Politiker in der Corona-Krise mit dem Tübinger Modell einen Erfolg versprechenden Weg aufgezeigt, mehr Freiheiten zu ermöglichen und zugleich das Virus einzudämmen. »Das war beispielhaft. Und ich finde, ein Oberbürgermeister sollte mehr daran gemessen werden, was er real leistet, als an der Makellosigkeit seiner Tweets.«

OB Palmer hatte in den vergangenen Wochen auf Facebook immer wieder aus Wagenknechts neuem Buch »Die Selbstgerechten« zitiert und vor allem ihre Thesen zu Cancel Culture unterstützt. FDPler Gohl nahm genau darauf Bezug: Wenn Palmer Kritiker der »Generation Beleidigt« mit Sahra Wagenknecht pauschal als »selbstgerechte Lifestyle-Linke« abstempele, bediene er dann nicht selbst den »Furor einer entfesselten Identitätspolitik«?

Bereits am Montag meldete sich die Tübinger Sozialbürgermeisterin Daniela Harsch mit einem längeren Facebook-Posting mit dem Titel »Das macht man nicht« zu Wort. Sie thematisierte darin Grenzen im persönlichen Umgang miteinander sowie in der Politik. Eine klare Reaktion auf die Palmer-Debatte - jedoch ohne diese einmal beim Namen zu nennen. Harschs Text wurde heute in einer etwas längeren Form in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht. Palmer dazu auf Facebook: »Ja, Daniela, so wie Du es formulierst, stimme ich zu.« 

Auf der GEA-Homepage hatten wir bereits am Samstag, nachdem bekannt geworden war, dass die Südwest-Grünen ein Ausschlussverfahren gegen den Tübinger OB einleiten, gefragt: »Sollte Boris Palmer aus der Grünen-Partei ausgeschlossen werden?« 2.056 Menschen hatten abgestimmt. 398 hatten sich für »Ja, das Maß ist voll« ausgesprochen, 1.364 Menschen hatten mit »Nein, das wäre übertrieben« abgestimmt, 294 klickten »Das ist mir egal« an. (GEA)