TÜBINGEN. Es dürfte einige Zeit dauern, bis die Ammertalbahn das verlorene Vertrauen der Pendler zurückgewinnen kann. Schließlich wurde der Bahnbetrieb Ende August von einem Tag auf den anderen eingestellt - die Nutzer der Strecke zwischen der Unistadt und Herrenberg mussten sich erst mit einem Notfall-Busverkehr arrangieren, später folgte ein planmäßiger Schienenersatzverkehr. Der Grund für das plötzliche Aus: Bei regulären Wartungen der eingesetzten Züge in Ulm war ein erhöhter Verschleiß an den Radreifen festgestellt worden. Bei der Ursachensuche wurde dann entdeckt, dass auch mehrere Gleisabschnitte übermäßige Abnutzungsschäden aufwiesen. Ausgerechnet in einer Phase, in der sich die Ammertalbahn mit starken Pünktlichkeitswerten auszeichnete.
Die DB Regio, die im Auftrag des Zweckverbands die Züge betreibt, versuchte gegenzusteuern: In Ulm wurden die Züge gedreht, um einseitige Belastungen zu reduzieren. Die Schmierung der Radreifen wurde erhöht, Inspektionszeiträume verkürzt, die Gleise abgeschliffen - ohne durchschlagenden Erfolg. »Am 27. August ging nichts mehr. Die Radsätze fuhren sich so runter, dass Kapazitätsengpässe entstanden sind«, erklärt Zweckverbands-Geschäftsführerin Sarah Wüstenhöfer. Die logische Konsequenz: der Bahnverkehr wurde eingestellt. Während der Bahnverkehr ruhte, machten sich Experten um den Eisenbahnbetriebsleiter Bernd Schlesier von der DB Regio an die Ursachenforschung. Messfahrten wurden unternommen, kritische Stellen an der Strecke kontrolliert.
Erhöhte anhaltende Trockenheit den Reibungswiderstand?
Und ein Verdacht kristallisierte sich heraus: Löste niedrige Luftfeuchtigkeit und damit verbundene höhere Reibung den Verschleiß aus? »Wir haben Wetterdaten des DWD mit unseren Messwerten von den Wartungen verglichen«, erklärt Wüstenhöfer. Dabei zeigte sich: 2024, als der »Inselbetrieb« auf der Ammertalbahn erfolgreich gestartet war, fuhren die Züge ohne höheren Verschleiß - bei höherer Luftfeuchtigkeit. 2025 war es demnach trockener - und plötzlich zeigten sich die unerwarteten Schäden. Tatsächlich gab es nach Angaben des DWD im Juni und August längere Phasen von Trockenheit - mit teils sehr hohen Temperaturen.
So gab es im Sommer Rekordwerte - in Andernach am Mittelrhein stiegen die Temperaturen im Juni auf 39,3 Grad Celsius, in Baden-Württemberg kletterte das Thermometer am 2. Juli in Waghäusel-Kirrlach auf 38,7 Grad. Doch der DWD sagt auch: Das Ländle war im Sommer 2025 das »nasseste Bundesland«, die Landesanstalt für Umwelt (LUBW) bilanziert steigende Grundwasserspiegel, im Wiesaztal bei Gönningen wird dieser derzeit als »hoch« eingestuft - Tendenz steigend.
Liegt es nun also an der Trockenheit, oder nicht? Das aktuelle Herbstwetter kam der Antwort dazwischen. Zuvor hatten es die Bahnexperten mit einem besonderen Verfahren versucht: die Schienenstränge selbst wurden mit einer speziellen Holzkonstruktion geschmiert, zusätzlich zu den automatischen Schmierungen der Züge geschah dies per Hand. Als der Bahnbetrieb dann wieder schrittweise aufgenommen wurde, stimmten die Messwerte.

Doch dann zeigte sich das feuchte Herbstwetter - und somit bleibt die Frage offen, ob die neuen Maßnahmen Wirkung zeigen, oder ob die Feuchtigkeit ihren Teil dazu beiträgt, dass alles »wie geschmiert« läuft. Ob der Klimawandel seinen Teil dazu beiträgt, bleibt offen. Tatsache ist aber, dass sich in den vergangenen Jahren stabile Wetterphasen immer häufiger zeigten, in denen es entweder garnicht oder eben sehr viel regnet - so wie in diesem Sommer.
Mehrkosten für Gleispflege sind unklar
Die Mehrkosten für die intensive Pflege der Gleisanlagen kann Wüstenhöfer aktuell noch nicht benennen. Derzeit fahren die Züge in den meisten Fällen im Normalbetrieb, bis auf einzelne Ausfälle, die jeder Bahnkunde kennt. Die Techniker prüfen indes mit Argusaugen den Zustand der Radreifen, während sich die staunenden Pendlern an den Bahn-Song der »Wise Guys« erinnert fühlen, in dem es über die Bahn heißt: »Wir ham' 'ne Theorie, doch es fehlt noch der Beweis: Im Winter wird es kalt und im Sommer wird es heiß.«
Indes war die Ammertalbahn jüngst auch Thema im Tübinger Kreisrat, als Kreisrätin Tanja Leinweber (SGF) von einer »ganz schwierigen Situation auf der Ammertalbahn« berichtete. »Der Betrieb kann jederzeit wieder eingestellt werden - es liegt wohl am Klimawandel und an zu viel Trockenheit.« Leinwebers Erwähnung der Ammertalbahn in einer Diskussion über das Pendeln mit Bus und Bahn macht einmal mehr deutlich: Das Vertrauen in die Ammertalbahn ist bei vielen Pendlern dahin. (GEA)

