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Aktuell Urteil

Verpackungssteuer bleibt: Die Folgen des Tübinger Triumphs

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer sieht sich bestätigt: McDonald's Klage gegen die Verpackungssteuer scheiterte vor dem Verfassungsgericht. Was das für die Unistadt bedeutet.

McDonald's hat mit seiner Verfassungsklage gegen die Tübinger Verpackungssteuer vor dem Karlsruher Gericht verloren.
McDonald's hat mit seiner Verfassungsklage gegen die Tübinger Verpackungssteuer vor dem Karlsruher Gericht verloren. Foto: Bernd Weißbrod/dpa
McDonald's hat mit seiner Verfassungsklage gegen die Tübinger Verpackungssteuer vor dem Karlsruher Gericht verloren.
Foto: Bernd Weißbrod/dpa

TÜBINGEN. Partystimmung in der Tübinger Steuerabteilung: »Wir schreiben hier Rechtsgeschichte«, sagt Claudia Patzwahl, Projektleiterin der Verpackungssteuer. Dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe haben viele in der Unistadt entgegengefiebert. Jetzt ist es gesprochen. Danach darf Tübingen die Steuer erheben. In der Verwaltung haben sie darauf mit alkoholfreiem Sekt angestoßen, berichtet Oberbürgermeister Boris Palmer. »Dieses Urteil des höchsten Gerichts in Deutschland bestätigt, dass sich unsere Hartnäckigkeit gelohnt hat. Jetzt ist auch rechtlich endgültig anerkannt, was wir in Tübingen seit drei Jahren sehen: Die Verpackungssteuer wirkt, bringt Mehrweg-Lösungen voran und drängt die Müllflut im Stadtbild ganz wesentlich zurück«, so Palmer.

Für die Stadt ist die Steuer ein voller Erfolg. Rund 800.000 Euro nimmt Tübingen jährlich dadurch ein. Geld, das Tübingen derzeit gut brauchen kann. »Wir nehmen das Geld gerne«, sagt der OB. Aber in erster Linie war die Steuer gedacht, um den Müll in der Stadt zu reduzieren. Auch das ist wohl gelungen. Die Angebote an Mehrwegbehältnissen gingen mit der Einführung der Steuer im Januar 2022 sprunghaft nach oben. Dann reichte McDonald's eine Normenkontrollklage ein. Der Mannheimer Verwaltungsgerichtshof erklärte die Steuer für unwirksam, Tübingen ging in die Revision und bekam in Leipzig Recht gesprochen. McDonald's zog anschließend vors Bundesverfassungsgericht.

»Unsere Hartnäckigkeit hat sich gelohnt - Oberbürgermeister Boris Palmer«

Patzwahl war bei den Prozessen immer dabei. Dass in Karlsruhe ein ganz anderer Wind weht als in Mannheim, habe sie gleich zu Beginn gemerkt, erzählt die Projektleiterin. Die vorsitzende Richterin in Karlsruhe habe sich sehr detailliert auf die Verhandlung vorbereitet. Mit der Verlesung von genauen Daten zum anfallenden Müll, dem Klima- und Umweltschutz eröffnete sie die Sitzung. Im Urteil argumentierte der Karlsruher Senat schließlich, dass die Steuer zwar in die vom Grundgesetz geschützte Berufsfreiheit eingreife, sie aber »nicht unzumutbar« beeinträchtige. Es habe keine Anhaltspunkte für verstärkte Geschäftsaufgaben betroffener Unternehmen gegeben. Die Universitätsstadt könne sich auf die Steuergesetzgebungskompetenz der Länder berufen. Es handle sich hier um eine örtliche Verbrauchssteuer.

Patzwahl und Tobias Staufenberg von der Stabsstelle für Umwelt- und Klimaschutz können diese Einschätzung des Senats nur bestätigen. Von Geschäftsaufgaben in Tübingen ist auch ihnen nichts bekannt. Selbst Beschwerden von Betrieben gehen nur vereinzelt bei der Verwaltung ein. In der Unistadt haben sich die Mehrwegbehältnisse offensichtlich etabliert. Anfänglich gewährte die Stadt noch einen Zuschuss für die Anschaffung des Mehrweggeschirrs. Das wurde rege in Anspruch genommen: 90 Anträge für 110 Betriebsstätte wurden gestellt. Die Förderung ist mittlerweile eingestellt. Beides zusammen, Förderung und Steuer, haben viel Schwung in das Mehrwegangebot gebracht: Vor der Steuer boten 35 Betriebe in Tübingen Mehrweg an, mittlerweile sind es 140 von knapp 200.

»Wir wissen von vielen Städten, dass sie nur auf das Urteil gewartet haben - Boris Palmer«

Palmer freut es aber nicht nur, dass nun Rechtssicherheit herrscht. Eine besondere Genugtuung ist ihm, dass die Karlsruher Richter das Mannheimer Urteil revidiert haben: Kommunen sei es nicht erlaubt, ein Bundesgesetz zu verbessern, hatten die Mannheimer argumentiert. »Das hat mich wirklich geärgert«, sagte Palmer. Kommunen dürfen nun sehr wohl ein Bundesgesetz verbessern. »Deshalb ist heute ein guter Tag für den Umweltschutz, aber auch für innovative Ideen der Kommunen in Deutschland.«

Mit der Rechtssicherheit wird sich die Verpackungssteuer in Deutschland verbreiten, davon ist der Oberbürgermeister überzeugt. »Wir wissen von vielen Städten, dass sie nur auf das Urteil gewartet haben. Dafür ist jetzt der Weg frei.« Trochtelfingen werde sicher nicht dabei sein, dazu sei es zu klein, aber Konstanz habe schon nachgezogen. Dass das Interesse groß ist, bestätigt auch Patzwahl. Die Tübinger sind in Kontakt mit rund 110 bundesdeutschen Städten. Köln und München haben ganz aktuell angefragt. Auch international ist man schon auf die Steuer aufmerksam geworden, berichtet Staufenberg. So hat eine Anfrage aus Katalonien die Tübinger erreicht.

Kein Wunder, dass sich Patzwahl mittlerweile in erster Linie als Marketing-Frau in Sachen Verpackungssteuer versteht. Eines kann sie allerdings nicht bieten: »Zahlen, Daten, Fakten sind extrem schwer zu bekommen«. So kann sie weder beantworten, in welchem Umfang Müll in Tübingen gespart wird, noch wie oft Mehrwegbehältnisse im Umlauf sind. Für beides gibt es schlicht keine Daten. Der städtische Müll wird in Tonnen erhoben, Einwegbecher, die nur wenige Gramm wiegen, fallen da kaum ins Gewicht. Es bleibt der Augenschein. Und der bestätigt den Sinn der Steuer, sagt Patzwahl. Die Mülleimer in der Altstadt quellen längst nicht mehr so über wie vor der Steuer. Das hat sie selbst fotografiert. Auch ein Problem hat sich in Luft aufgelöst: Eine Zeitlang gingen in Tübingen die Mehrwegbehältnisse aus. Sie stapelten sich in WG-Küchen und Büros. Jetzt sind wieder genug da. Und es werden noch mehr werden, kündigen Patzwahl und Staufenberg an. Noch im Frühjahr soll eine Mehrweglösung für Pizzas kommen.

»Zahlen, Daten, Fakten sind extrem schwer zu bekommen - Claudia Patzwahl, Projektleiterin für die Verpackungssteuer«

Von vielen Kommunen bekommen die Tübinger für ihre Pioniertat Respekt bezeugt. Auch für Patzwahl und Staufenberg ist es nicht selbstverständlich, wie hartnäckig sowohl Oberbürgermeister als auch Gemeinderat die Einführung der Steuer verfolgt haben. Der Erfolg vor Gericht hat ihnen nun Recht gegeben. Aber was wäre gewesen, wenn die Karlsruher anders geurteilt hätten? Dann hätte die Stadt mit sofortiger Wirkung die Verpackungssteuer eingestellt, sagt Patzwahl. Rückzahlungen wären allerdings nur in vergleichsweise geringem Ausmaß angefallen. Nur bei Betrieben, die Widerspruch gegen den Steuerbescheid eingelegt haben und diesen außerdem mit der Rechtsunsicherheit aufgrund des fehlenden Gerichtsurteils begründet haben, hätte die Stadt zahlen müssen. Insgesamt 14 derartige Widersprüche sind eingegangen. Der Schaden wäre dennoch groß gewesen. Rund 800.000 Euro würden in der Haushaltskasse fehlen. Nicht wenig bei einem 40-Millionen-Loch im städtischen Etat. (GEA)

Chronik

Seit Anfang Januar 2022 gilt die Verpackungssteuer in Tübingen. Gegen diese Regelung reichte Mc Donald's eine Normenkontrollklage ein. Gut drei Monate nach Inkrafttreten erklärte der Verwaltungsgerichtshof Mannheim die Tübinger Regelung für unwirksam. Nur der Bund dürfe solch eine Maßnahme treffen. Tübingen ging in Revision. Im Mai 2023 urteilten die Leipziger Richter: Die Verpackungsteuer bleibt. Jetzt haben das auch die Richter des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe bestätigt. (GEA)