MÖSSINGEN. Der Herbst ist da. Die versprochenen Reformen lassen aber noch auf sich warten. Zum Beispiel beim Bürokratieabbau. Denn es rauscht im Schilderwald. Es gibt zu viele, überflüssige, widersprüchliche oder gar falsche Verkehrs- und Hinweisschilder. Vor geraumer Zeit ist in der Stadt ein neues Verkehrsschild aufgetaucht, dass wohl die meisten Verkehrsteilnehmer noch nie in der Region gesehen haben. Es sei denn, sie waren einmal auf dem schmalen Verbindungsweg zwischen Weilheim und Kilchberg unterwegs. Oder verbotsweise auf der nicht für den normalen Autoverkehr freigegebenen Mühlstraße in Tübingen. Dort – und mittlerweile auch in der Mössinger Breite Straße – gibt es im Landkreis und der Region überhaupt, nun ein weiteres seltenes Exemplar dieses Schildes. Das ist umso berichtenswerter, weil Mössingen von allen 64 Gemeinden des Landkreises - neben der Radfahrer-Unistadt - die einzige ist, die es für notwendig empfand, es mitten im Ort aufzustellen.
Die Rede ist vom ovalen grau-grünen Schild mit der sperrigen Bezeichnung »Ende des Verbots des Überholens von einspurigen Fahrzeugen für mehrspurige Kraftfahrzeuge und Krafträder mit Beiwagen« (VZ 281.1).
Apropos Ende: Wo ein Ende ist, muss es auch einen Anfang geben. Der liegt rund ein Jahr zurück, als die Verkehrsbehörde zwischen Tunnelkreuzung und Jakob-Stotz-Platz eine 400 Meter lange »30er-Zone« einrichtete. Und gleichzeitig entlang eines neu aufgetragenen Radfahrschutzstreifens Richtung Stadtmitte viermal das bis dato ebenfalls exotische Schild des »Überholverbots einspuriger Fahrzeuge« angebracht hatte.
Das hatte wortbildlich für Aufsehen gesorgt. Wer vor April 2020 seinen Führerschein gemacht hat, kannte dieses neue Verkehrszeichen 277.1 gar nicht: Es sieht aus wie das übliche Pkw-Überholverbotszeichen. Allerdings mit Fahrrad-Symbol und motorisiertem Zweirad, übereinander angeordnet. Mehrspurige Kraftfahrzeuge (auch Krafträder mit Beiwagen) dürfen hier keine Radfahrer oder Roller überholen. Hingegen dürfen Fahrräder und Motorräder andere einrädrige Fahrzeuge nach wie vor überholen.
So weit, so kompliziert. Aber es wurde noch komplexer. Die Antwort, wo das Überholverbot für Zweiräder endet, blieb unklar. Es wurde, wie von der StVO vorgeschrieben, nirgends mit dem eingangs erwähnten Schild der durchgestrichenen fünf parallellaufenden Linien aufgehoben. Nach Unmut in der Bevölkerung und infolge auch im Gemeinderat beschied die Stadtverwaltung im März trotzdem: »Die Anordnung der Beschilderung wurde überprüft«, sie werde so beibehalten, weil »das Ermessen rechtmäßig ausgeübt worden« sei. Insofern sei »eine Rücknahme aus politischen Gründen nicht möglich.«
Konzeptlose Planung
Aufatmen aber dann nach neun Monaten. Eine schwere Geburt sozusagen. »Wir haben die Verkehrssituation nochmals geprüft und die Anordnung auf das, was rechtlich möglich ist, angepasst«, teilt die Stadt auf Anfrage mit. »Da die Fahrbahn nach der Goethestraße breiter ist, wurde die Beschränkung aufgehoben.«
Wenige Meter nach der Kreuzung am Feuerwehrhaus wird das Überholverbot nun also mit dem neuen Schild aufgehoben. Heißt: ab hier dürfen die Zweiräder wieder überholt werden – ebenfalls mit einem Mindestabstand von 1,50 Metern. Und mehr noch: Radfahrer dürfen ab hier außerdem beidseitig zusätzlich noch auf dem kombinierten Geh-Radweg fahren.
Nun ist es so, dass fast niemand auf dem rechten Radschutzstreifen radelt. Denn der gesamte (Schüler-)Radverkehr von und nach Bästenhardt führt durch den Tunnel-Radweg. Und der hat seine Fortsetzung durch die breite Platanenallee. Es gibt für die Schüler keinen Grund, an der Tunnelkreuzung auf den Radfahrstreifen zu wechseln. Man fährt bis zur Feuerwehr-Kreuzung und biegt dann ins Schulzentrum ab.
Unbeantwortet bleibt die Frage, warum das Überholverbot nur stadteinwärts gilt. Auf der Gegenfahrbahn, also in westlicher Richtung Tunnel, wo Radler sowohl auf der Platanenallee wie auch auf der Breite Straße fahren dürfen, darf man Zweiräder weiterhin überholen. Und das, obwohl das Landes-Verkehrsministerium per Erlass vom 20.12.2023 anweist, dass »unterhalb von 6,60 Meter (Fahrbahnbreite) die Anordnung des Überholverbots erforderlich« ist.

Keine Antwort gibt es auch auf die Frage, warum diese Anordnung einzig in der Breite Straße vollzogen wurde. Auf dem Südring und der ebenfalls viel befahrenen innerörtlichen Route, die in Ofterdingen 750 Meter entlang der Steinlach führt, hat die zuständige Mössinger Straßenverkehrsbehörde das Aufstellen der Überholverbotsschilder am Schutzstreifen unterlassen. Wenn auf beiden Straßen zusätzlich Fahrzeuge am Rande abgestellt sind, ist ein Überholen von Zweirädern ein Himmelfahrtskommando für alle Beteiligten.

Die Fahrbahnbreite in der Mössinger Straße liegt mit 5,80 bis 6,20 Meter deutlich in einem Bereich, wo Fahrzeuge keine Radfahrer überholen können, ohne auf die Gegenfahrbahn ausweichen zu müssen – wo auch noch geparkt wird. Zitat aus dem Erlass: »Der Überholabstand von 1,5 Metern muss stets eingehalten werden können, andernfalls ist bei zu schmalen Fahrbahnen das enge Überholen wirksam zu unterbinden.«
Weitere Beschilderungs-Streiche
Doch zurück zum Schilderwald. Er gehört, wenn nicht stark gelichtet, dann doch wenigstens gepflegt. Die Übersichtstafel für das Schulzentrum – in der mit den zwei Aulen die »Visitenkarte« der Stadt bei Veranstaltungen für auswärtige Gäste liegen – hat bereits historischen Wert. Es fehlt der Neubau des Integrierten Schulgebäudes von 2014; seither ist die Flattich-Schule Geschichte. Sie wurde 2019 abgerissen, im selben Jahr, wo die Friedrich-List-Realschule zur Gemeinschaftsschule wurde. Mit der Umbennung der Gottlieb-Rühle- in Farrenberg-Schule wäre jetzt nach elf Jahren ein Update möglich.
Apropos Schule: Auch in Nachbargemeinden gibt es Schildbürgerstreiche. Über zwei Wochen lang hing in Dußlingen das vom Bauhof aufgehängte Spannband »Tempo runter, bitte! Schulanfang«. Der Hinweis war direkt an der Hauptstraße aufgehängt, allerdings spiegelverkehrt - bis es bemerkt wurde.
Apropos Laufen: Mit dem Beginn der Krötenwanderung stellt die Stadt wieder ihre Sperr-Beschilderung rund um die Olgahöhe auf. Unter dem Verkehrszeichen »Gefahrenstelle« mit Zusatzschild »Amphibienwanderung« steht: »Keine Durchfahrt in 2 km«. Da Kommunen »der deutschen Rechtschreibung durch die Verbindlichkeit des amtlichen Regelwerks für die öffentliche Verwaltung verpflichtet« sin, kann ann der Hinweis nur heißen: keine Durchfahrt in(nerhalb von) 2 km. Demnach wären in einem Radius von 2 Kilometern alle Wege blockiert. Vielleicht ist aber gemeint »in 2 km Entfernung«. Das wirft die Frage auf, wie kommt man dann zu Kilometerpunkt 2,1? Vermutlich ist die Präposition »in« einfach falsch gewählt und sollte durch das Verhältniswort »nach« ersetzt werden.
Es sei denn, das Englische hat sich bei den Ämtern eingeschlichen und wird »in 2026« allmählich zur Normalität. Wobei Mössingen beim Anglizismus tapfer mit behördlicher Fachsprache dagegen hält. Dank des unermesslichen Vokabulars des Bau- und Verkehrsrechts – wie bei der Beschriftung der städtischen Wanderpfade. Warum die Hauptworte »Fortführung« oder »Verbindung« verwenden, wenn es doch so schöne Substantive wie »Zuwegung« gibt. (GEA)





