TÜBINGEN. Hat der Patient Krebs? Welche Therapie ist sinnvoll? 60.000 Gewebeproben und eine halbe Million hochauflösende mikroskopische Schnittbilder werden in den Laboren des Tübinger Uni-Klinikums jedes Jahr untersucht. Um Antworten zu finden, mussten die Fachärzte bisher die Zell- und Gewebeveränderungen erkrankter Menschen am Mikroskop begutachten. Das geht jetzt einfacher und schneller.
Die Digitalisierung erlaubt es, dass jede Woche 25.000 Schnitte abgerufen und analysiert werden können. Der manuelle Arbeitsaufwand wird kleiner, die Fallüberprüfung zügiger. 80 Ärzte können sich zeitgleich in dem System anmelden und die Schnitte begutachten. Dabei untersuchen 14 Fachärzte in der Pathologie, fünf in der Neuropathologie und drei in der Dermatopathologie nicht nur Schnitte von Patienten des eigenen Klinikums. Die Gewebeproben aus Krankenhäusern in Freudenstadt, Albstadt und Balingen kommen noch dazu. Außerdem ist Tübingen Referenzzentrum für Hämatopathologie sowie ein überregionales Zentrum für Kardiopathologie und erhält Einsendungen aus ganz Deutschland und dem Ausland.
Damit ist Tübingen nach Göttingen das zweite Universitätsklinikum in Deutschland, das seine Prozesse in der Pathologie vollständig umgestellt und den Weg einer Gewebeprobe vom Eingangslabor bis zum Befund digitalisiert hat. »Die Umstellung vom Mikroskop auf dem Bildschirm bedeutet viel mehr als nur einen Wechsel des Arbeitsgeräts«, sagt Prof. Dr. Falko Fend von der Abteilung für Allgemeine und Molekulare Pathologie und Pathologische Anatomie am Universitätsklinikum.
Mehr Informationen als durchs Mikroskop
Digitale Bilder ermöglichten durch Künstliche Intelligenz unterstützte Analysealgorithmen die präzisere Bestimmung von therapierelevanten Biomarkern. Sie können, so Fend, Informationen über die Biologie einer Erkrankung liefern, die durch konventionelle Mikroskopie nicht erfasst werden. »Damit eröffnen sich auch neue Perspektiven für die Forschung, Einsatzmöglichkeiten in der Lehre und in der interdisziplinären Zusammenarbeit, beispielsweise durch die direkte Demonstration von Schnittbildern in Tumorkonferenzen.«
Wie läuft die Digitalisierung ab? Der erste Schritt ist das Scannen der Objektträger. Dieser Prozess geht vollautomatisch, die Proben können mit einem hohen Durchsatz digitalisiert werden. Die klinisch validierten Scanner erzeugen hochauflösende Bilder. »Die sind die Voraussetzung für eine digitale Pathologie und machen den Einsatz von Algorithmen in der Bildanalyse möglich«, sagte Dr. Christian Tank, verantwortlich für die Digitale Pathologie bei der Herstellerfirma Philips, bei der Eröffnung.

»Durch den Einsatz innovativer Technologien werden Diagnosen schneller, präziser und effizienter erstellt«, meint Sebastian Janik vom Taiwanesischen Unternehmen AetherAI. Dieses ist für die Integration von Künstlicher Intelligenz in das System verantwortlich. Automatisch werden die Objektträgerbilder aus den Scannern importiert und verwaltet, sodass die Pathologinnen und Pathologen die Bilder direkt betrachten und analysieren können.
Einsatz bei Brustkrebs
KI-gestützte Tools, die anhand klinischer Daten des Uniklinikums validiert wurden, unterstützen insbesondere bei Brustkrebs und bei der Identifikation von Lymphknotenmetastasen bei Magenkrebs. Zusätzlich verbessert eine KI-gestützte Tumorsegmentierung die IHC-Analyse, indem sie mit hoher Genauigkeit zwischen Tumor- und Nicht-Tumorregionen unterscheidet.
Finanziert wurde die »Digitale Pathologie« mit Geldern aus dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG). Ein Großteil des drei Millionen Euro schweren Projektes wurde auf Basis finanzieller Mittel der Europäischen Union (NextGenerationEU), des Bundesamts für Soziale Sicherung und des Landes Baden-Württemberg umgesetzt. Anfang 2027 wird das Institut für Pathologie und Neuropathologie gemeinsam mit dem Institut für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik einen Neubau auf dem Schnarrenberg beziehen. (GEA)