TÜBINGEN. Hat ein griechisches Heer vor schätzungsweise 3 200 Jahren Troia belagert und zerstört? Was hat Heinrich Schliemann entdeckt? Welche Erkenntnisse haben die Tübinger Grabungen in jüngerer Zeit erbracht? Und was stimmt überein mit den Schilderungen Homers von Helena und Paris, Achill und Hektor, Odysseus und Agamemnon?
Mit den Rätseln um Troia, dem Mythos, den tatsächlichen Gegebenheiten und späteren Auseinandersetzungen befasst sich eine Ausstellung im Tübinger Schloss. Erstmals gezeigt werden auch 200 Originale aus den Funden Schliemanns, die in Tübingen aufbewahrt werden.
An neun Stationen haben die Macher im Rittersaal des Schlosses dargestellt, was so finanzierend ist an Troia. Ein Zeitstrahl gibt erste Orientierung über die Spanne der Besiedlung von Troia I bis IX. Es beginnt um 3 000 vor Christus und macht deutlich, dass der Ort in der Antike nie verlassen und vergessen wurde. Hethiter und Babylonier errichteten Großreiche, die wieder zerfielen. Der Ort an der Ägäis-Küste blieb weiter bewohnt.
Mit Purpur gefärbt
Ernst Pernicka, Grabungsleiter von 2005 bis 2012, gibt beim Rundgang zur Eröffnung eine grobe Einordnung. In der Bronzezeit muss Troia eine reiche Stadt gewesen sein. Mit einem Areal von 35 Hektar und einigen Tausend Einwohnern. Die Troianer haben damals mit Purpur gefärbt – ein Zeichen, dass man es zu beachtlichem Wohlstand gebracht hatte.
Eine der ersten Stationen macht vertraut mit der abenteuerlichen Geschichte des Entdeckers Schliemann. Der Kaufmann, der seinen Kindern die Namen Andromache und Agamemnon gab, hatte Mykene ausgegraben und ist in Verkleidung bis nach Mekka gereist. Nach heutigen Maßstäben war seine Form der Grabung auf dem Hügel von Hisarlik eher eine Zerstörung.
Tübinger Forscher sind seit vielen Jahren in Troia zugange. Manfred Korfmann begann 1987 mit den Vorarbeiten. Rüstem Aslan, der die Grabungen heute leitet, hat in Tübingen promoviert.
Streit der Wissenschaftler
Nicht ausgespart wird in der Ausstellung der Tübinger Gelehrtenstreit mit dem Aufeinandertreffen der Kontrahenten bei einem großen Symposion 2002. Nicht mit Schwert und Helm, sondern mit Stift und Doktorhut zogen die Gegner los. Archäologe Korfmann beschrieb den Ort der Ausgrabungen als blühende Metropole, Althistoriker Frank Kolb tat ihn als »unbedeutendes Kleinfürstentum« ab – kein Vergleich mit den damaligen vorderasiatischen Residenzstädten. Beide hatten zahlreiche Anhänger mobilisiert, beließen es aber beim Wortgefecht und gingen unversöhnt auseinander. Kolb riet noch 2009 Zuhörern bei einem Vortrag: »Sparen Sie sich die Reise, wenn Sie das homerische Ilios besuchen wollen, denn ein homerisches Troia gab es nicht. Bleiben Sie zu Hause und lesen Sie die Ilias.«
In der jetzigen Ausstellung sind Modelle, Übersichtspläne und Grundrisse zu sehen. Eine Fülle von Funden – vom Kochtopf über Teller und Becher bis zur Grab-Urne – gibt einen Einblick in Alltag und Handwerk. Wer den »Schatz des Priamos sucht«, wird allerdings nicht fündig. Ein goldener Ohrring in einer Vitrine steht stellvertretend für den Goldschmuck. Der Großteil dieser Funde befindet sich in Moskau. Nach Putins Angriff auf die Ukraine haben die Tübinger auf Leihgaben von dort verzichtet.
Auch an anderer Stelle fehlt noch was – »aber das kommt noch«, verspricht Museumsleiter Ernst Seidl: Die Lieferung von Bettwäsche mit Troia-Motiven war bis zur Eröffnung noch nicht eingetroffen. Die Ausstellungsmacher haben sich umgesehen und neben Kuriositäten auch Geschmacklosigkeiten wie moderne Sex-Toys entdeckt. (GEA)
TROIA – TÜBINGEN – SCHLIEMANN
Ausstellung, Vorträge, Führungen und ein Buch
Die Austellung auf Schloss Hohentübingen läuft bis 16. April 2023. Öffnungszeiten sind mittwochs bis sonntags von 10 bis 17 Uhr, donnerstags bis 19 Uhr. Für Gruppen nach Vereinbarung. Dazu gibt’s ein umfangreiches Begleitprogramm mit Vorträgen, Führungen und Workshops. Die Veranstaltungen der internationalen Vortragsreihe sind donnerstags um 19 Uhr im Rittersaal. Jeden Sonntag um 16 Uhr startet eine Sonderführung durch die Ausstellung. Das Buch »Troia, Schliemann und Tübingen« hat 340 Seiten und kostet 39,90 Euro (farbige Abbildungen, Schriften des MUT, Band 25). 07071 2977579 www.unimuseum.de