TÜBINGEN. An einigen Szenen im Film kann sich Palmer selbst nicht mehr erinnern, andere haben ihn betroffen gemacht: »Wie mein Vater relativ anlassfrei abgeführt wird, das macht schon was mit mir.« Drei Jahre lang hat Filmemacher Frank Marten Pfeiffer den Tübinger Oberbürgermeister begleitet. Er war bei den Momenten seines Triumphes mit dabei, aber auch bei denen seines Scheiterns. Pfeiffer blickt mit seiner Dokumentation auch in die familiäre Vergangenheit, zeigt den streitbaren Vater Helmut Palmer, der bei knapp 300 Bürgermeisterwahlen antrat. Herauskam die 90-minütige Dokumentation »Der Palmer-Komplex«. Der Film war am Dienstagabend als Preview im Tübinger Kino Museum zu sehen und füllte locker den größten Kinosaal. Zur anschließenden Diskussion ließen sich Pfeiffer, Palmer, der Tübinger Rhetoriker Olaf Kramer und Sandra Müller vom SWR Studio Tübingen von der SWR-Moderatorin Nicole Köster befragen.
April 2023: Palmer fährt mit dem Zug zu einer Migrationskonferenz an die Uni Frankfurt. Empfangen wird er vor dem Eingang von wütenden Studenten, die ihn als Nazi und Rassisten beschimpfen. Der OB lässt sich auf einen Streit ein, vergleicht die Vorwürfe gegen ihn mit dem Tragen des Judensterns. Es kommt zum Eklat. Im Film dient die Szene als Klammer. Mit ihr beginnt die Dokumentation und endet sie. Im Leben Palmers ist sie eine Zäsur: In der Folge tritt er bei den Grünen aus und nimmt sich eine Auszeit von zwei Monaten von seinen Amtsgeschäften.
»Du sagst genau das Richtige, aber mit der falschen Körperhaltung«
Es ist der zweite Film, den Pfeiffer über den streitbaren Politiker gedreht hat. Der erste war noch unter gänzlich anderen Vorzeichen: Das »Palmer-Prinzip« zeigte den jungen Oberbürgermeister in seinem ersten Jahr als unermüdlichen Kämpfer für den Klimaschutz. Seitdem ist viel geschehen. Immer wieder sorgte Palmer für bundesweite Schlagzeilen, immer wieder eckte er an. An ihm scheiden sich bis heute die Geister. Auch sein Wahlkampfteam hält mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg: »Du sagst genau das Richtige, aber mit der falschen Körperhaltung. Du musst Schwäche zeigen. Die Leute kotzt Deine Rechthaberei an.« Vorsichtiger hat es Cem Özdemir in einem Ratschlag für Facebook-Posts an Palmer formuliert: »Im Zorn zu reagieren, ist oft nicht richtig. Schlaf drüber. Wenn Du dann den Zorn immer noch spürst, dann schick es mir.«
Leerstelle in der Dokumentation
Derlei Ratschläge hat Palmer in aller Regel in den Wind geschrieben. Die Tübinger haben ihn trotzdem gewählt. Warum, das bleibt die Leerstelle in der Dokumentation. Auch der Oberbürgermeister bedauert, dass von seinen eigentlichen Amtsgeschäften nur wenig bis fast nichts zu sehen ist. Der Schwerpunkt des Films liegt auf dem medienwirksamen Palmer. Auf dem Mensch, der keiner Diskussion aus dem Weg geht und die Konfrontation sucht. »Es ist Mode, achtsam zu sein. Das ist nicht mein Ding.«
»Ich habe noch nie erlebt, dass mein Vater mit mir zufrieden war«
Der streitbare Rathauschef ist seinem Vater durchaus ähnlich. Auch das zeigt die Dokumentation. Einfach kann das Verhältnis aber kaum gewesen sein. »Ich habe noch nie erlebt, dass mein Vater mit mir zufrieden war«, sagt Palmer im Film und das macht einen als Zuschauer schon etwas betroffen. »Wäre Ihr Vater stolz auf den Film?«, war die Frage aus dem Publikum in der anschließenden Diskussion. »Er würde kritisieren, dass seine Rolle nicht angemessen berücksichtig worden ist, « antwortete Palmer.
Den Kämpfergeist der beiden Palmers beschreibt der Rhetoriker Krämer als große Stärke. Allerdings sei auch »aktives Zuhören« Teil der Kommunikation, gibt er dem OB mit auf den Weg. Ein vernünftiges Argument sei zwar wichtig, aber »es verfängt nicht automatisch.«
Aktiv zugehört hat der OB als Kinozuschauer am Dienstagabend. In der Dokumentation kommen immer wieder zwei Vertreter von Fridays for Future zu Wort: Franca Leutloff und Benedikt Döllmann. Beide sind mittlerweile im Tübinger Gemeinderat. Ganz unaufgeregt erklärt Leutloff, weshalb sie eine Sprache einfordert, die nicht diskriminiert. »Im Film habe ich wirklich verstanden, um was es ihr geht«, sagte Palmer. Bisher habe er sich nicht getraut, mit der jungen AL-Gemeinderätin zu reden. Das könnte sich nach dieser Ansage vielleicht ändern. (GEA)