Sie sei »zum ersten Mal nachdenklich geworden über Corona, als der junge Arzt in China starb«, erzählte Lisa Federle. Dann hätten sie »die Berichte von Kollegen und die Bilder aus Bergamo entsetzt«. Sogleich habe sie als Vorsitzende beim DRK eine Sitzung einberufen, »um zu überlegen: Was können wir tun?« Und schon zwei Tage später sei es auch hier »richtig losgegangen«. Man habe »sofort eine Struktur finden müssen«. Über die Dauer der Epidemie und die nötigen Maßnahmen habe sie sich damals noch keine Gedanken gemacht, die Infektion aber »ganz schnell sehr ernst genommen«.
Hand in Hand sei die Abstimmung mit allen Ehrenamtlichen, aber auch mit Oberbürgermeister Boris Palmer und seinem Rathaus-Team, mit Landrat Joachim Walter und dem Gesundheitsamt sowie die enge Zusammenarbeit mit dem Tübinger Virologen Professor Thomas Iftner angelaufen und bis jetzt fortgeführt worden. Bei allen wolle sie sich bedanken.
Von Lisa Federle, häufig im Heim auf der Wanne, sei sie gefragt worden, ob sie schon einen Plan für die Senioren am Herbstenhof hätte, berichtete Heike Merz. Bei der Evangelischen Heimstiftung als Träger habe es in der Tat schon Ende Februar erste Corona-Konzepte gegeben, im März den Mundschutz für die Pflegekräfte und Ende des Monats die Zusage für erste Reihentests. Die hätten dann am 2. April – zunächst ohne Positiv-Ergebnisse – begonnen. Dann aber, so die Direktorin, sei eine betagte Bewohnerin mit schlechtem Allgemeinzustand in die Klinik gekommen und dort positiv getestet worden. Für die sofort in Einzelzimmern isolierten Bewohner des Bereichs sei am Sonntag drauf der Anruf vom Gesundheitsamt gekommen: 16 Infizierte.
»Das war natürlich ein Schock für uns alle. Da stand die Welt erst mal still«, erinnerte sich Heike Merz. Trotz mehrfacher Erfahrungen mit dem Norovirus habe man Corona nicht einschätzen können. Aber man sei zusammengerückt, habe sich gegenseitig gestützt und ausgetauscht, »schon Ängste gehabt und auch mal geweint«. Anfangs habe es kaum Schutzausrüstung gegeben. Die habe man dann »zu horrenden Preisen eingekauft«, erzählt die Stifts-Leiterin. Das Landratsamt habe das dann organisiert.
Die Angehörigen anzurufen, sei schwer gewesen, aber man habe bei aller Sorge viel Verständnis erfahren, auch Mut gemacht bekommen. »Sie haben uns vertraut«, so Heike Merz. Zu den Schwerkranken hätten die Angehörigen schon im Frühjahr dürfen – mit Maske und Abstand. Trotz eines weiteren kleinen Ausbruchs nach zwei Wochen und am Ende zwölf infizierten Mitarbeitern habe man Erfolg gehabt: »Auch Hochbetagte haben’s überstanden«, bilanzierte sie.
Während ständig neue Anweisungen von der Landesregierung das Stifts-Personal »vor große Herausforderungen gestellt« haben, sei »viel Rückendeckung von der Stadt gekommen«. Die hätte zum Beispiel Masken an die Senioren verschickt. Aber »die Schließung im Frühjahr war ganz schlimm«. Das wolle sie auf keinen Fall wiederholen. Auch jetzt, im neuen Lockdown, gebe es Besuche. Mit strengen Regeln. Und die Bewohner dürften nach draußen.
Die Probleme vor allem mit dem Sozialministerium – »Mit denen habe ich mich mehrfach massiv angelegt« – haben auch Lisa Federle zu schaffen gemacht. Weder bei forcierten Tests noch bei besonderem Schutz für die Alten habe es von dieser Seite Unterstützung gegeben. Dabei müsse man gerade bei den alten Menschen unbedingt »Einsamkeit und Isolierung verhindern«. Auch jetzt, bei ihrer Initiative für Schnelltests bei Heimbesuchern, sei es wieder dasselbe, regt sich die Notärztin auf: »Die hätten ein Krisenmanagement aufstellen müssen über den Sommer.«
Vor Ort hingegen sei es gut gelaufen. Spenden habe es gegeben, etwa von den Kommunen im Landkreis, Kreisbrandmeister Marco Buess habe Schutzkleidung besorgt. Nach dem Rückgang der Infektionen über den Sommer gehe es jetzt wieder nach oben: »Schulen und Kindergärten im Kreis sind jetzt wieder regelmäßig befallen«, berichtete die Notärztin, die Lehrer seien »sehr verunsichert«.
Marco Krüger lobte zwischendurch die »gute Vorbereitung«, den hohen Einsatz von Freiwilligen etwa für einen Ersatz der »Tafel«, auch eine »hohe Anerkennungskultur«. Die sei allerdings »nach dem Beifall von den Balkonen ziemlich folgenlos geblieben«. Die Folgen der Lockdown-Maßnahmen seien auch noch nicht absehbar. So hätten etwa viele Patienten die häusliche Pflege aus Angst verweigert.
Das ethische Problem der Verteilung, das sich stellt, sobald ein Impfstoff verfügbar ist, sei auch für ihn noch nicht gelöst, so Krüger. So geht es auch Lisa Federle und Heimdirektorin Heike Merz. Schließlich sei ein Impfstoff gerade für Alte möglicherweise riskanter als für gesunde junge Menschen. Man solle aber »versöhnlich diskutieren«, wünscht sich Krüger, »Es darf keine weitere Spaltung der Gesellschaft geben«, pflichtete Lisa Federle ihm bei. Der wichtigste Wunsch von Heike Merz ist: »Keine Schließung der Heime mehr.« (GEA)

