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Tübinger Theologin: »Impfpflicht wäre gerechtfertigt«

Die Theologin Elisabeth Gräb-Schmidt aus Tübingen ist Mitglied im Deutschen Ethikrat. Sie hält den Zeitpunkt für eine strengere Regelung für gekommen.

Elisabeth Gräb-Schmidt plädiert dafür, die Warnungen der Ärzte ernst zu nehmen.
Elisabeth Gräb-Schmidt plädiert dafür, die Warnungen der Ärzte ernst zu nehmen. FOTO: PIETH
Elisabeth Gräb-Schmidt plädiert dafür, die Warnungen der Ärzte ernst zu nehmen. FOTO: PIETH

TÜBINGEN. Darf der Staat den Menschen vorschreiben, ob sie sich gegen Corona impfen lassen oder nicht? Der Deutsche Ethikrat hat sich in dieser Frage noch nicht geäußert. Die Tübinger Theologin Elisabeth Gräb-Schmidt, seit 2018 Mitglied in diesem Gremium, kommt nach gründlicher Abwägung zum Schluss: »Eine Impfpflicht wäre gerechtfertigt«.

Gerade mal zwei Jahre ist es her, da hat der Ethikrat sich gegen eine Impfpflicht ausgesprochen: Doch da ging’s um Masern. Anders als jetzt bei Corona ist bei dieser Erkrankung die allgemeine Impfquote hoch. Für den Schutz der Allgemein-Bevölkerung schienen keine weiteren Maßnahmen zwingend erforderlich.

In der sich zuspitzenden Corona-Lage hingegen sieht die Sache anders aus. Ärzte und Fachleute in der Pflege warnen vor Überlastung. Behandlungen anderer Patienten werden verschoben, betroffen sind auch schwere Fälle wie Krebskranke. Und auch Corona-Infizierte müssen teilweise in weit entfernten Krankenhäusern versorgt werden.

Gräb-Schmidt weiß, die Fragen werden kontrovers diskutiert und auch Rechtsexperten sind sich nicht immer einig. Es gehe darum, die Auswirkungen der Pandemie in den Griff zu bekommen. Für die vierte Welle scheint der Zeitpunkt bereits zu spät, aber weitere Wellen könnte man verhindern – der Leiter des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler warnt ja schon vor der fünften Welle.

Die Tübinger Theologin erinnert daran, dass Corona seit Langem empfindliche Einschränkungen für viele mit sich bringt: Kinder und Jugendliche, die ganze Kultur-Szene von Künstlern bis zu Theatern, ebenso die Gastronomie – »alle leiden«. Bei der Einführung der Impfpflicht in den nächsten Wochen, so sehen es manche Juristen, wäre das Kriterium der Verhältnismäßigkeit erfüllt. Weniger drastische Mittel könnten das Ziel der schnellen Eindämmung des Virus gegenwärtig kaum erreichen.

Spaltung ist schon eingetreten

Auf der anderen Seite ist für die Professorin für systematische Theologie mit Schwerpunkt Ethik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät klar: Parallel muss die Impf-Kampagne verbessert werden. Dazu gehöre auch mehr Aufklärung. Denn viele der noch Umgeimpften hätten Bedenken und trauten sich nicht.

Wer befürchtetet, dass eine Impfpflicht die Gesellschaft spalten könnte, dem entgegnet Gräb-Schmidt: »Die Spaltung ist jetzt schon da«. Für Unentschlossene könnte ein solcher Schritt Signal-Wirkung haben. Manche seien unter Umständen sogar erleichtert, wenn ihnen auf diese Weise die Entscheidung abgenommen werde.

Der Ethikrat als Gremium ist bisher nicht um eine Stellungnahme gebeten worden. Gräb-Schmidt legt Wert auf die Feststellung, dass sie nicht für die 23 weiteren Mitglieder sprechen kann. Vor wenigen Tagen hat der Ethikrat jedoch mit großer Mehrheit für die rasche Prüfung einer berufsbezogenen Impfpflicht plädiert in Bereichen, in denen besonders vulnerable Menschen versorgt werden.

Damals hieß es: »Die Pandemie geht in den zweiten Winter. Nur mit einem Bündel von bekannten Maßnahmen lässt sich das Virus einhegen: von einer effektiven Teststrategie über deutlich bessere Datennutzung bis hin zu verschiedenen Formen von Hygienekonzepten und Kontaktreduzierungen.« (GEA)