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Tübinger Schüler forschen: Galaxien auf Kollisionskurs

Zwei Abiturienten der Gewerblichen Schule Tübingen haben den Landessieg bei »Jugend forscht« errungen. Ihr Forschungsprojekt erfordert einen Großrechner und ist in Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik entstanden.

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Philip Späth (links) und Kimi Sickinger siegten beim Landeswettbewerb von »Jugend forscht« und hoffen nun auf eine Platzierung beim Bundeswettbewerb in Hamburg. Foto: Alexander Thomys
Philip Späth (links) und Kimi Sickinger siegten beim Landeswettbewerb von »Jugend forscht« und hoffen nun auf eine Platzierung beim Bundeswettbewerb in Hamburg.
Foto: Alexander Thomys

TÜBINGEN. Wenn Philip Späth und Kimi Sickinger auf ihren Laptops eine Simulation abspielen, erahnt der Laie, dass da auf dem Bildschirm zwei Lichtansammlungen aufeinander zusteuern, kollidieren und sich nach einer kurzen Chaosphase um ein gemeinsames Zentrum neu sortieren. Was sich auf dem Bildschirm in wenigen Sekunden abspielt, erfasst einen Zeitraum von fünf Milliarden Jahren. Und ist das Ergebnis von monatelanger Forschungsarbeit, mit welcher die beiden 19-Jährigen den Landessieg beim Wettbewerb »Jugend forscht« erreicht haben.

Die beiden Schüler gingen dabei der Frage nach, was nach der Kollision unserer Milchstraße mit der Andromeda-Galaxie geschehen wird. »Wir wollten wissen, ob nach der Verschmelzung der beiden Galaxien ein Gebiet der Sternenentstehung mit vielen jungen, sehr hellen Sternen entstehen wird«, erklärt Philip Späth. Solche besonders hellen Regionen können von Astronomen als Ergebnis anderer Galaxie-Kollisionen beobachtet werden. Wie dies bei der unserer Galaxie bevorstehenden Kollision mit der Andromeda-Galaxie sein wird, lässt sich heute ein Stück weit berechnen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Verteilung von interstellarem Gas, dessen Verdichtung mit der Zeit Sterne entstehen lässt.

Datenblöcke aus je 100 Millionen Sternen

Um nun allerdings die Auswirkungen einer solchen Kollision zu berechnen, sind verschiedene Dinge nötig: etwa die Daten zu Sternen, Massen, den Gravitationskräften und den herrschenden Geschwindigkeiten. Dabei sind die Dimensionen kaum vorstellbar. »Wir haben jeweils 100 Millionen Sterne zusammengefasst«, erklärten Späth und Kimi Sickinger. Was sehr grob klingt, relativiert sich, wenn man bedenkt, dass allein in der Milchstraße zwischen 100 und 200 Milliarden Sterne vorhanden sind. Die Daten allein sind zwar schon aufwändig genug, um zu einer Simulation zu kommen, braucht es aber auch die richtige Software und deren Programmierung. Hierbei fanden die beiden Abiturienten Unterstützung bei der Firma Hetzner. Der Server-Anbieter ermöglichte den beiden Schülern den Zugriff auf die Rechenleistung eines Großrechners. »Unsere Aufgabe bestand nun darin, diese Rechenleistung möglichst effizient zu nutzen«, sagt Kimi Sickinger, der seinen Schwerpunkt in der gemeinsamen Arbeit auf das Programmieren legte. Dann folgte die Auswertung der Daten und die Visualisierungsmodelle.

Philip Späth ist eher in der Astrophysik zu Hause. Der 19-Jährige suchte Beratung durch die Wissenschaft - und stellte das Forschungsprojekt kurzerhand per E-Mail dem Direktor des Max-Planck-Instituts für Astrophysik vor. Erforderte das Mut? »Es kann ja nichts passieren«, antwortet der Nachwuchswissenschaftler pragmatisch. Und doch passierte am Ende viel: der Astrophysiker Dr. Klaus Dolag antwortete und begleitete anschließend die beiden Tübinger Schüler. Videokonferenzen und ein reger E-Mail-Austausch folgten. Dabei lernten sie schnell, dass ihnen nichts geschenkt wurde. »Wenn man nicht fragt, kriegt man auch nichts«, beschreibt Späth eine der Erkenntnisse aus der Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern. Eine gute Vorbereitung, gezielte Fragen und nicht zuletzt Pünktlichkeit waren wichtig, um zur gewünschten wissenschaftlichen Beratung zu kommen.

Das Abitur? Lief eher nebenher

Das Projekt, dass die beiden Schüler erdachten und das durch die Lehrer Michael Hallmann (Informatik) und Kai Marquardt (Physik, Mathematik) begleitet wurde, entwuchs rasch den schulischen Dimensionen. Hauptsächlich Nachmittags beschäftigen sich beiden jungen Leute mit Partikeldichten, Sternenhaufen und dunkler Materie. »Unsere Lehrer stießen da irgendwann auch an ihre Grenzen«, sagen die beiden schmunzelnd. Umso wichtiger war die Beratung durch die Forscher des Max-Planck-Instituts. Fast schon nebenbei lief dabei das, was für viele Schüler in ihrem Alter im Mittelpunkt steht: die Abiturvorbereitung. Ausgerechnet in der Prüfungswoche an der Gewerblichen Schule fand zugleich am Wochenende das Landesfinale von »Jugend forscht« statt. Natürlich waren Späth und Sickinger dabei, hielten ihre Präsentation und hatten eine 15-seitige Ausarbeitung ihres Projekts vorbereitet. Ob das eine gute Entscheidung war? »Noch haben wir die schriftlichen Noten nicht bekommen«, sagt Philip Späth. Aber Sorgen klingen in seiner Stimme keine mit, auch Kimi Sickinger scheint sich seines Abiturs sicher zu sein.

Gelohnt hat sich der Besuch beim Landesfinale auf alle Fälle: Nicht nur siegten die beiden Schüler, die in ihrer Freizeit ansonsten viel Sport treiben, Philip Späth macht zudem Musik. Sie qualifizierten sich damit zugleich für das Bundesfinale, welches Ende Mai in Hamburg stattfindet. Samt Empfang beim Bundespräsidenten. Wer sich platziert, dem winkt zudem ein Besuch im Bundeskanzleramt und Studienstipendien. Kein Wunder, dass sich die beiden Hoffnungen hierauf machen. Das liegt auch daran, dass sie den Forschungsbereich gewechselt haben: 2024 holten die beiden mit ihrem Projekt bereits den Sieg beim Regionalwettbewerb von »Jugend forscht«, damals allerdings in der Kategorie Informatik/Mathematik. Nun treten sie im Bereich Geo- und Raumwissenschaften an - mit einem deutlich ausgeweiteten Projekt.

Die Gewerbliche Schule Tübingen

Unter dem Label »Gewerbliche Schule Tübingen« verbergen sich mehrere Bildungsangebote und Schularten, unter anderem das Technische Gymnasium, dass seine Schüler zur allgemeinen Hochschulreife (Abitur) führt, wobei je nach Profil verschiedene Schwerpunkte im Bereich der Naturwissenschaften gewählt werden können. Der Mössinger Kimi Sickinger wechselte vom Quenstedt-Gymnasium in seiner Heimatstadt ans Tübinger TG, eben um diesen Schwerpunkt auf die Informatik setzen zu können. Der Tübinger Philip Späth besuchte die Französische Schule, ehe er von der Gemeinschaftsschule für das Abitur auf das TG wechselte. (GEA)

Ist da eine wissenschaftliche Karriere quasi vorprogrammiert? Zumindest dürften den beiden 19-Jährigen viele Türen offen stehen. Etwa beim Server-Dienstleister Hetzner, der die beiden bereits eingeladen hat, den Großrechner zu besichtigen, den sie mit ihren Daten und Berechnungen gespeist hatten. Sickinger will sich nun allerdings eher der Mechatronik zuwenden, Späth stellt sich ein Studium der Physik vor. Doch aktuell stehen die mündlichen Abiturprüfungen und das Bundesfinale im Fokus. »Es ist megacool, was man bei diesem Wettbewerb für Leute trifft«, sagt Späth. »Da sind viele gleichgesinnte und echt krass schlaue Leute dabei«, stimmt ihm Sickinger zu. In ihrem Fachgebiet aber sind die beiden die Tübinger die Experten: »Man darf sich da echt nicht scheuen.« Ein weiteres Highlight winkt bei der Tagung der Nobelpreisträger in Lindau am Bodensee - auch da sind die Jugend-forscht-Sieger mit dabei und können ihr Projekt den wohl klügsten Menschen Deutschlands vorstellen.

Bleibt die Frage, wie es mit der Milchstraße und der Andromeda-Galaxie weitergeht. Was mit dem Wort »Kollision« spektakulär klingt, dürfte für die Erdenbewohner, sofern es sie dann noch gibt, weit weniger spektakulär sein, glauben die beiden 19-Jährigen. Der Sternenhimmel werde sich ändern - aber über einen Zeitraum von mindestens drei Milliarden Jahren. Also eher unmerklich. »Das einzelne Sterne kollidieren, ist höchst unwahrscheinlich«, sagt Philip Späth. Schlimmstenfalls dürften sich die Umlaufbahn ändern - spätestens dann sollte die Menschheit in der Raumfahrt weit genug sein, um die Erde notfalls verlassen zu können. Ein maßereiches Gebiet der Sternenentstehung dürfte es dann in der Andromeda-Milchstraßen-Galaxie indes nicht geben, sagen die Simulationen der beiden Gymnasiasten aus: »Dazu sind die Galaxien zu alt, es wird schlicht zu wenig interstellares Gas vorhanden sein, wenn die beiden Galaxien verschmelzen.« (GEA)