TÜBINGEN. Für den Wahlkreis Tübingen-Hechingen ist die Situation neu. Lange Jahre war man mit vier Vertretern im Bundestag präsent. Kurzzeitig sogar mit fünf! Und jetzt völlig abgehängt? Darf das sein?
Abels erinnert daran, dass die Region bis vor Kurzem im Bundestag personell sehr präsent war. Chris Kühn (Grüne), Martin Rosemann (SPD) und Heike Hänsel (Linke) haben wie Annette Widmann-Mauz (CDU) den Wahlkreis als Abgeordnete im Bundestag vertreten – in dieser Vierer-Kombination ab 2013. Im Mai 2021 erweiterte Christopher Gohl von der FDP das Tübinger Quartett vorübergehend zu einem Quintett. (Von Nummer 13 der Landesliste kam er als Nachrücker für Christian Jung ins Parlament. Jung war in den Landtag gewechselt).
Auf den Landeslisten unter ferner liefen
Auch partei-intern schien überall der Grundsatz zu gelten: »Die Tübinger sind wichtig, Sie gehören auf der Landesliste auf einen Platz unter den ersten zehn.« Doch statt in den Top Ten tauchten diesmal ihre Namen unter ferner liefen auf. Der CDU-Kandidat hatte von vornherein auf diese Absicherung verzichtet. Bei der SPD und den Grünen fanden sich die Tübinger als Nummer 26 und Nummer 27 wieder, bei der FDP als Nummer 13.
Dass es ein paar knappe Ergebnisse geben würde, war absehbar, betont Abels. Darauf hätten die Parteien im Vorfeld durchaus reagieren können, indem sie die Wackelkandidaten besser absicherten. Das ist nicht geschehen. Die Herausforderung für die Parteien bestehe nun darin, Strukturen zu schaffen, die der neuen Situation gerecht werden. »Die Region ist nicht verwaist.« In der Kommunikation laufe heute viel über Mails, weniger Menschen kommen wie früher direkt in die Sprechstunde der Abgeordneten. Die Parteien müssten Sorge tragen, dass die Bürger sich an sie wenden können und eine Antwort auf ihre Fragen bekommen. Auch »Patenschaften« von Abgeordneten aus anderen Wahlkreisen seien denkbar.
Jemand direkt anzusprechen, fällt leichter
Die Tübinger Politik-Wissenschaftlerin versteht die Enttäuschung, sieht aber keinen Grund, die Sache zu dramatisieren. »Für die Wählerschaft ist es natürlich super, wenn sie jemanden aus der Gegend hat. Das macht es leichter, jemanden anzusprechen.« Noch dazu, wenn man ihn oder sie selber gewählt hat.
Dass die »Ampel« das Wahlrecht geändert hat, hält sie für legitim. Überhangs- und Ausgleichs-Mandate hatten den Bundestag größer und größer werden lassen. Per Gesetz wurde nun die Zahl der Mandate begrenzt. Einige Politiker halten das für verfassungsrechtlich bedenklich. »So weit würde ich nicht gehen«, sagt Abels, die sich in dieser komplizierten Materie auskennt und seit 2021 Mitglied des Verfassungsgerichtshofs Baden-Württemberg ist.
Breite Mehrheit bei Änderung wünschenswert
Ob das Wahlrecht erneut geändert wird, ist eine Frage, die bei den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und der SPD durchaus eine Rolle spielen wird. Abels erinnert daran, dass auch die GroKo, die der Ampel-Koalition voranging, schon Änderungen vorgenommen hatte - und zwar ohne die kleineren Parteien einzubeziehen. Wechselseitige Schuldzuweisungen, man sei nicht beteiligt worden, hält sie deswegen für übertrieben. »Da dürfen sich manche an die eigene Nase fassen.« Sie selbst findet grundsätzlich, dass permanente Änderungen die Akzeptanz nicht erhöhen. Eine breite Mehrheit sei aber in jedem Falle wünschenswert.
Dass Tübingen den Draht nach Berlin verliert, kann sich die Politik-Professorin nicht vorstellen. »Oberbürgermeister Boris Palmer wird auch künftig dafür sorgen, dass Tübingen bundesweit wahrgenommen wird.« (GEA)