TÜBINGEN. Jeder Mensch altert anders. Bei dem einen ist es das Herz, das zuerst Altersschwäche zeigt, bei dem anderen das Gehirn und bei dem dritten die Leber. Wenn man rechtzeitig weiß, wo der eigene Schwachpunkt liegt, kann man rechtzeitig vorsorgen. Genau daran forschen Mediziner am M3-Forschungszentrum der Uniklinik Tübingen. »Personalisierte Medizin« nennt sich dieser Forschungsansatz. Ziel ist es, 35- bis 40-Jährigen irgendwann gezielt sagen zu können, wie sie am besten Vorsorge treffen können, um gesund zu altern, sagte Nisar Malek. Altern sei ein »individueller Prozess«, so der ärztliche Direktor.
Die Zeit drängt. »Wir werden bis 2040 eine enorme Zunahme an alten Patienten erleben.« Schon aus diesem Grund sei es wichtig, möglichst vielen Menschen ein gesundes Alter zu ermöglichen und ihnen einen stationären Aufenthalt in der Klinik zu ersparen. Alte Menschen reagierten darauf oft mit einer Demenzentwicklung.
Altersmedizin ist aber nur ein Schwerpunkt in dem Forschungszentrum. Untersucht wird ebenfalls, wie Tumore oder entzündliche Erkrankungen entstehen und wie sie individuell behandelt werden können. Dafür arbeiten die vier baden-württembergische Zentren für Personalisierte Medizin in Freiburg, Heidelberg, Ulm und Tübingen eng zusammen. Dabei geht es auch um äußere Einflüsse, Lebensstile, Lebensorte und Genetik der einzelnen Patienten. Eine ungeheure Datenmenge muss dazu ausgewertet werden. »Wir bräuchten eigentlich große Datenautobahnen«, sagte Medizininformatiker Oliver Kohlbacher. Das Gegenteil sei derzeit der Fall. »Wir haben schon Schwierigkeiten, PDFs von Balingen nach Tübingen zu transportieren.«
»Vor dem Krebs ist man für Datenschutz. Wenn man ihn hat, ist einem der Datenschutz egal - Ministerpräsident Winfried Kretschmann«
Ministerpräsident Winfried Kretschmann hörte sich die Klagen der Mediziner genau an und forderte sie auf, der Landesregierung Verbesserungsvorschläge weiterzugeben. »Was muss weg, was muss verändert werden.« Gewisse Bestimmungen seien allerdings nötig: »Ohne Regeln gilt das Recht des Stärkeren.« Die Vorschriften sollten allerdings im Sinne der Patienten sein, sagte Kretschmann. »Vor dem Krebs ist man für Datenschutz. Wenn man ihn hat, ist der Datenschutz einem egal.«
Eine bürokratische Hürde wurde mittlerweile etwas abgebaut, berichtete Malek. Bis vor Kurzem mussten die Tübinger drei Mal so lange auf die Genehmigung von Tierversuche warten, wie andere Unikliniken. Nachwuchswissenschaftler drohten deshalb abzuwandern. Das habe sich mittlerweile etwas verbessert, sagte der ärztliche Direktor. Die kaufmännische Direktorin und ehemalige Tübinger Sozialbürgermeisterin Daniela Harsch hatte ebenfalls spontan eine Idee, um Bürokratie abzubauen. Die Reisekostenverordnung schreibe vor, dass jede Übernachtung, die über hundert Euro kostet, begründet werden muss. Eine überflüssige Regelung findet Harsch in Anbetracht der Hotelpreise in den bundesdeutschen Städten. In Sachen Bürokratieabbau rennen die Mediziner jedenfalls offene Türen beim Ministerpräsidenten ein. »Wir müssen weiterkommen. Am Ende geht es um die Patienten.« (GEA)