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Tübinger Künstlerin Alraune Siebert hat für ihre Figuren ein neues Heim

Nur einen Steinwurf vom Benediktinerkloster in Beuron entfernt, hat die Tübinger Stoff-Künstlerin Alraune Siebert zusammen mit ihrem Ehemann ihr neues Privatmuseum eingerichtet. Im ehemaligen Pilgerheim »Gregoriushaus« erstrecken sich ihre skurril-liebevollen Installationen über drei Stockwerke - inklusive historischer Berühmtheiten und Übeltäter.

Die Künstlerin Alraune Siebert erschafft Installationen aus Stoff und ist mit ihrem Privat-Museum nach Beuron gezogen.
Die Künstlerin Alraune Siebert erschafft Installationen aus Stoff und ist mit ihrem Privat-Museum nach Beuron gezogen. Foto: Paul Runge
Die Künstlerin Alraune Siebert erschafft Installationen aus Stoff und ist mit ihrem Privat-Museum nach Beuron gezogen.
Foto: Paul Runge

TÜBINGEN/BEURON. Endlich haben sie genug Platz, die 80 Schauspieler. »In Haigerloch wurde es ihnen zu eng«, erzählt Alraune Siebert mit Blick auf ihren früheren Standort. Dort hätten sie nur Kämmerchen gehabt, mussten teilweise außerhalb ihrer Heimat residieren oder gar kasernenartig in der Abstellkammer hausen. Jetzt, im alten Gregoriushaus nahe des Benediktinerklosters in Beuron, haben Alraunes selbstgenähte Figuren auf drei Stockwerken und in 22 Zimmern Freiraum genug, um ihre »eingefrorenen Theaterstücke« dem neugierigen Besucher zu präsentieren. Im Oberen Donautal, dort, wo sich die Landkreise Zollernalb und Sigmaringen im bergig-grünen Nirgendwo treffen, hat Alraune ihr bisher größtes Privat-Museum eingerichtet: das Soft Art Panoptikum. »Und hoffentlich das Letzte, denn hier will ich nicht mehr weg«, sagt die ehemalige Tübingerin.

Ihre 80 Figuren hat Alraune über Jahrzehnte hinweg genäht und mit Leben erfüllt. In Geschichten und Szenen, die meist von Ostern bis Oktober ausgestellt sind und dann neu arrangiert werden, erleben Baron von Stoff, Prof. Dr. Krankenstein und ihre älteste Begleiterin, Madame de Bettencourt - stets adrett gekleidet und in die Eleganz vergangener Tage gehüllt - allerhand Skurriles. So muss der Tierarzt Dr. Keuerleber einen armen Mops aus einem zwergwüchsigen Elefanten befreien, während das Wartezimmer seiner Tierarztpraxis im Chaos versinkt - hätte die kurzsichtige Riesen-Python doch nur nicht schon wieder die Krankenschwester Frau Moppel verschluckt, deren Hand noch aus dem Maul der Schlange herauslugt. Die wurde vom Quacksalber, der dem Bordeaux sehr zugetan ist, zwar bereits mit einem Reißverschluss versehen - denn die Python verspeist die unglückselige Tierarzthelferin in erschreckender Regelmäßigkeit - doch will sich niemand so recht darum bemühen, Frau Moppel zu befreien.

In der Tierarztpraxis von Dr. Keuerleber hat eine Risen-Python die Arzthelferin verspeist. Die Dame links im Bild ist die ältest
In der Tierarztpraxis von Dr. Keuerleber hat eine Risen-Python die Arzthelferin verspeist. Die Dame links im Bild ist die älteste Figur des Ensembles, die Alraune Siebert genäht hat. Foto: Paul Runge
In der Tierarztpraxis von Dr. Keuerleber hat eine Risen-Python die Arzthelferin verspeist. Die Dame links im Bild ist die älteste Figur des Ensembles, die Alraune Siebert genäht hat.
Foto: Paul Runge

Komplexe und fantasievolle Handlungen wie diese gehören zu den Gründen, warum Alraune nicht von »Puppen« spricht. Als »meine Menschen« und »Schauspieler« bezeichnet die Künstlerin die Figuren - sie agieren, stellen an, erleiden, sind gerne unvernünftig. Einige sind historischen Persönlichkeiten nachempfunden, wie der Preußenkönig Friedrich II., die britische Ermittungs-Ikone Miss Marple oder auch der Diktator Adolf Hitler, der in seiner jüngsten Standtheater-Produktion mit den anderen Prominenten Haus und Hof am Roulette-Tisch verzockt, um den kostspieligen Lebensstil des 80-köpfigen Ensembles zu finanzieren.

Die Szene zeigt, wie Alraune Siebert ihre Ausstellung zu einer Art Meta-Geschichte verwebt: Der Luxus, dem die Figuren frönen und der stark an das frühe 20. Jahrhundert angelehnt ist, wird von den prassenden, wohlhabenden Berühmtheiten finanziert. Die von der Künstlerin erdachte Metzgerei »Schweinesbein« beliefert mit üppigen Kaltplatten die im Champagner-Taumel berauschten Massen in nahezu jeder Installation - und hat ihren Verkaufsraum unten im Haus. Dabei ist jedes Häppchen, jede Wurst, jede Flasche von Hand genäht - ebenso wie das perlenbesetzte Gebiss und die silbernen Taschenuhren, die beim Glücksspiel verloren werden. Zu jeder Szene hat Alraune einen kurzen Text verfasst, der den Besuchern die Hintergründe beschreibt. »Ideen habe ich nicht, die kommen zu mir«, sagt sie. Es könne mitunter sehr anstrengend werden, sie alle umzusetzen.

Diese Prominenten - von Salvador Dalí über Adolf Hitler bishin zur Ermittlerin Miss Maple - verspielen ihre Reichtümer, um den e
Diese Prominenten - von Salvador Dalí über Adolf Hitler bishin zur Ermittlerin Miss Maple - verspielen ihre Reichtümer, um den extravaganten Lebensstil des Hauses zu finanzieren. Zum Glück verlieren sie immer. Foto: Paul Runge
Diese Prominenten - von Salvador Dalí über Adolf Hitler bishin zur Ermittlerin Miss Maple - verspielen ihre Reichtümer, um den extravaganten Lebensstil des Hauses zu finanzieren. Zum Glück verlieren sie immer.
Foto: Paul Runge

Der Aufwand, der hinter einem Objekt oder einer Figur steckt, ist für die Künstlerin nicht so wichtig. »Hauptsache, etwas Gutes kommt dabei heraus. Manchmal denke ich aber, dass ich zu perfektionistisch bin. Da mache ich ganz feine Nähte, die nachher eigentlich gar niemand sieht«, erzählt die 72-jährige Stoffkünstlerin. Ihre Technik entwickelt sie seit über 45 Jahren. Alraune mag es gern üppig, mit vielen Rosen, die Stoffe Samt und Brokat gehören zu ihren Lieblingen. Viele Materialien sind noch aus der ehemaligen Textildruckerei Pausa in Mössingen. »Ich erschaffe gerne das, was ich nicht habe«, erklärt Alraune. Da sie nie ein Klavier hatte, hat sie sich eben eins genäht - mit Tasten aus veganen Würsten, schließlich ist das Brät nicht aus Fleisch, sondern aus Watte. Ob das Instrument Töne von sich gebe und funktioniere, sei egal. »Es geht auch einfach um die Optik.« Natürlich hat es einen Platz in der Metzgerei »Schweinesbein« gefunden.

In der Schule hat Alraune das Nähen gehasst

Die 72-jährige Stoffkünstlerin Alraune Siebert erschuf im Alter von 27 Jahren ihre erste Figur. Seitdem hat sich ihren Ensemble immer mehr Figuren und Gegenstände hinzugefügt und schon im Berliner KaDeWe und in London ausgestellt.

Zuvor absolvierte sie eine vierjährige Ausbildung zur Textildesignerin am Technikum in Reutlingen, gab den Job aber kurze Zeit nach Antritt wieder auf. »Das war vielleicht furchtbar«, erzählt Alraune. »Ich musste eins zu eins umsetzen, was mir gesagt wurde. Nach sechs Wochen hatte ich die Schnauze voll.«

Auch an ihre Schulzeit hat die Stoffartistin keine guten Erinnerungen, am Wildermuth-Gymnasium in Tübingen habe sie das Handwerken gehasst. Turnbeutel zu besticken - da müsse sie heute noch schaudern. »Ich muss einfach mein eigenes Ding machen«, sagt sie.

In den vergangenen Jahren hatte sie ihr Privat-Museum zusammen mit ihrem Ehemann in Haigerloch betrieben. Mit dem Umzug nach Beuron sei nun endlich genug Platz, um ihre Figuren angemessen in Szene zu setzen. (pru)

Der Umzug nach Beuron hatte sich indes als eine Belastungsprobe entpuppt. »Als wir das alte Gebäude gekauft haben, war jedes Zimmer vermüllt.« Rund anderthalb Jahre hat es gedauert, bis alles nach den Vorstellungen der Künstlerin ausgeräumt und eingerichtet war. Verkaufsargument war der große Saal, in dem Baron von Stoff gegenwärtig Geburtstag feiert, ein gigantisches Bankett abhält und dessen Gästeschaft von einem noch gigantischeren Kraken, der sich partout nicht verspeisen lassen will, stranguliert wird. In Haigerloch wäre eine derartige Installation wohl nicht möglich gewesen. »Ich mache diese Kunst, weil ich es muss. Stoff gehört für mich essenziell zum Leben dazu«, sagt Alraune. Da wundert es kaum, dass sie zusammen mit ihrem Mann im Museum wohnt und auch ihren Werkraum dort hat. Die Frühstücksküche des alten Pilgerheims - sehr zentral im Erdgeschoss gelegen und mit kleinen Kordeln von der Öffentlichkeit getrennt - nutzt das Ehepaar außerhalb der Öffnungszeiten ganz normal. Ein weiteres Indiz, wie wichtig der 72-Jährigen ihre Kunst ist, zwischen der die passionierte Köchin ihre Mahlzeiten zubereitet und jeden Tag lebt und erschafft. (GEA)