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Tübinger Gruppe 91 sucht Multimillionär

Der Mietvertrag der Tübinger Gruppe um den Künstler Herbert Rösler wurde gekündigt. Was nun mit der Kunst passiert, ist unsicher.

Ein Teil des sechsköpfigen Kollektivs vor einem der Glimmerbilder (von links): Linda Li, Lucke und Werner
Ein Teil des sechsköpfigen Kollektivs vor einem der Glimmerbilder (von links): Linda Li, Lucke und Werner Foto: Rebecca Nachtigall
Ein Teil des sechsköpfigen Kollektivs vor einem der Glimmerbilder (von links): Linda Li, Lucke und Werner
Foto: Rebecca Nachtigall

TÜBINGEN. Das Gebäude, das an der Ortseinfahrt Tübingen an der B28 steht, gehört zum Tübinger Stadtbild. Man kennt den Bau vom Vorbeifahren, vielleicht war der ein oder andere Kunstinteressierte auch schon in der ehemaligen Panzerhalle. In der 20 mal 60 Meter großen Halle erstreckt sich der Nachlass des Künstlers Herbert Rösler.

In der Halle lässt sich einiges finden - eine Bühne, 100 Modellkleider, Schmuck, Möbel, Uhren, Tassen, Gläser, Schuhe, Schränke, ein Modell für ein Holocaust Denkmal, ein Modell für einen Vergnügungspark, gerahmte Bilder, Zeichnungen - »Alles Unikate«, berichtet Linda Li, eine lange Weggefährtin des Verstorbenen. Die Kommune hat sogar zwei Weihnachtsfeiern für das Klinikum Tübingen geschmückt und organisiert, sagt Lucke, ein weiteres Mitglied der Gruppe 91. Über die Entstehung der Mode erzählt Linda Li, dass sie zu Rösler gesagt haben »Wir passen nicht in die Welt. Das soll man auch sehen.« Daraufhin entwarf er Mode, und sie fertigten sie an. So lief es immer bei der Gruppe, der Künstler entwarf, und die G91er fertigten an.

»Wir passen nicht in die Welt. Das soll man auch sehen. - Linda Li«

Durch einen Autounfall kam die Gruppe, die sich in Köln gründete, überhaupt erst nach Tübingen. 1983 wurde Rösler in Tübingen ins Krankenhaus gebracht. Als Folge eines Autounfalls hatte er nur noch zehn Prozent seines Augenlichts. Doch dies konnte den Künstler nicht stoppen. Die Gemeinschaft zog 1990 mit ihrer Kunst zuerst im alten Pferdestall an der Steinlach ein. Der Stall der Thiepval-Kaserne war am Anfang karg, zum Ende war er komplett ausgebaut und trug die Handschrift des Künstlers. Für den Ort haben sie auch ein Konzept für ein Café entwickelt, was nicht realisiert wurde, erzählt Linda Li. »Der Inhaber hatte nur Geld im Kopf.«

Vom Pferdestall ging es dann 1995 in den heutigen G91 Bau. Zu Beginn war es komplett leer. Sie ließen damals eine Straßenbaufirma für mehrere tausend Euro den Boden gießen. Außerdem hatten sie auch Pläne, die Halle zu isolieren. Doch diesen Plan haben sie wieder aufgegeben, nachdem bekannt wurde, dass die Behörden planen, für den künftigen B27 Tunnel die Fahrbahnen zu verlegen.

»Was für ein hässlicher Kasten - Linda Li«

Viel Arbeit hat die Gruppe in ihre Halle gesteckt - die Fassade, den Zaun, den Kies - um all das haben sie sich gekümmert, berichtet Lucke. Als sie die Halle am Anfang gesehen hatten, dachten sie »Was für ein hässlicher Kasten«, berichtet Linda Li kopfschüttelnd.

2015 hat die Gruppe schon einen Teil der Ausstellung schließen müssen, da der Brandschutz bemängelt wurde. Daraufhin blieb der Gruppe nur noch ein kleiner Teil der Halle, den sie sorgsam als Ausstellungsraum hergerichtet haben. In diesem Raum findet sich ein kleiner Einblick in die vielfältigen Werke des Künstlers. Linda Li, Mitglied der Gruppe, erklärt, dass der langjährige erfolgreiche Architekt und Designer Rösler, die Skizzen und Konzepte gemacht hat und die Gruppe diese dann umgesetzt hat. Als Beispiel zeigt sie einen Sessel, bei dem sowohl Skizze als auch das hergestellte Stück Teil der Ausstellung ist. Linda Li erzählt, dass sie den Sessel nach der Skizze angefertigt hat und ihn Rösler zum Geburtstag geschenkt hat.

Den bekannten Bau soll es bald nicht mehr geben.
Den bekannten Bau soll es bald nicht mehr geben. Foto: Rebecca Nachtigall
Den bekannten Bau soll es bald nicht mehr geben.
Foto: Rebecca Nachtigall

Im Januar hat die Gruppe nun ein Kündigungsschreiben bekommen, bis September sollen sie die Halle besenrein übergeben. Seit dem Eintreffen des Schreibens sind die G91er ratlos. »Wie sind auch alle nicht mehr die Jüngsten«, sagt Linda Li (70), vergangenes Jahr hat sie eine neue Hüfte bekommen, damit hatte sie zu kämpfen.

Vor der Kündigung gab es schon Probleme. Die Vermietung der Parkplätze wurde bemängelt. Danach wurde versucht, das Gebäude an die Stadt abzugeben, das hat nicht geklappt. »Wir haben das Gefühl, wir sind hier nicht gewollt«, sagt Linda Li. »Die Stadt gibt sich nach außen weltoffen, ist aber alles andere als freundlich zur Kunst. Eigentlich müsste die Stadt stolz sein, so etwas zu haben. Wir sind uns nicht sicher, ob alles nur ein Vorwand ist, um uns endlich rauszuhaben«, sagt sie.

»Wir sind geübt in solchen Sachen, aber es tut trotzdem weg - Linda Li«

Der TÜV bemängelte die Stützpfeiler der Halle, sie seien rostig, somit sei das Dach einsturzgefährdet. Die Bundesanstalt für Immobilenaufgaben, die das Gebäude vermietet, erteilte ein Betretungsverbot und untersagt die Nutzung der Halle. Die Gruppe hat das Vertrauen in andere Menschen verloren, sie möchte das Ganze noch von anderer Seite überprüfen lassen.

Der Bau des Schindhau-Basistunnels ist schon lange geplant. Das Vorhaben hängt schon seit Anfang der 2000er als dunkle Wolke über ihrer schillernden Welt. Kurz nach dem Tod von Rösler 2006 hatte die Gruppe schon angekündigt, dass sie nach einem neuen Gebäude suchen. Das es nach so langer Zeit jetzt doch noch dazu kommt, dass sie die Halle verlassen müssen, damit hat das Kollektiv wohl nicht mehr gerechnet. »Wir sind geübt in solchen Sachen, aber es tut trotzdem weh«, erklärt Linda Li.

»Alles wird gut! - Herbert Rösler«

Wenn sie sich etwas wünschen könnten, wäre es ein Multimillionär, der ihnen alles abnimmt. Sie wollen nicht reich werden, sie wollen aber nicht, dass alles kaputt geht. Sie möchten die Kunst in gute Hände geben.

»Alles wird gut!« seien die letzten Worte des Gründers der Jesus People, Herbert Rösler, gewesen. »Und auch bei uns wird alles gut«, sagt Linda Li hoffnungsvoll. (GEA)

100 Jähriges

Der Visionär Herbert Rösler, würde dieses Jahr 100 Jahre alt werden. Um dies zu feiern wollen sich die Mitglieder der Gruppe 91 auf dem Holzmarkt versammeln. Mit Begleitung der Musik von Linda Li wollen sie dem alt 68er gedenken. (lina)