TÜBINGEN. »Dolf Seilacher war ein exakter Beobachter und versprühte ansteckende Begeisterung«, sagt Tom Aigner, der selber fast zwei Jahrzehnte Geologie-Professor in Tübingen war und zu den Schülern des Preisträgers zählt. Volker Mosbrugger, der 1990 den Paläontologie-Lehrstuhl von Seilacher übernommen hatte und selber zu den prominenten Köpfen in seinem Fach zählt, kann das bestätigen und erinnert sich: Nach der Emeritierung in Tübingen habe Seilacher gefühlt jedes Jahr eine besondere Ehrung erhalten - und dazu einen Preis, der schwieriger zu bekommen ist als der Nobelpreis, weil er nur alle vier Jahre an Geologen vergeben wird.
Im Hörsaal in der Sigwartstraße herrschte in diesen Tagen Einigkeit: Der Paläontologe, der 2014 gestorben ist, war bahnbrechend in seinen Forschungen und hat sein Wissen auch auf allgemein verständliche Weise geteilt - zum Beispiel mit einer Ausstellung, in der Fossilien wie moderne Kunstwerke präsentiert wurden (»Fossil Art«).
Der bedeutendste Preis der Wissenschaft
»Einzellige Dinosaurier« und unbekannte Formen des Lebens
Dolf Seilacher hat viele Phänomene erforscht. Die für die Wissenschaft lange rätselhaften Ediacara-Fossilien zum Beispiel beschrieb der Tübinger Professor als unbekannte Form des Lebens: etwa 600 Millionen Jahre alt und vermutlich mit der Machtübernahme der vielzelligen Tiere wieder ausgestorben. »Einzellige Dinosaurier«, wie Seilacher scherzhaft feststellte.
1992 erhielt Seilacher für seine Forschungen die höchste Auszeichnung, die sein Fach kennt: den als Pendant zum Nobelpreis gestifteten und vom schwedischen König in Stockholm überreichten Crafoord-Preis. (-jk)
Computer hat er nicht sonderlich geliebt, weiß Mosbrugger. Seilacher war »ein begnadeter Zeichner und ein Geschichten-Erzähler«. Er brauchte keine teure Infrastruktur, sondern ging lieber mit Ehefrau Edith, die ebenfalls vom Fach ist, und Leuten wie dem Präparator Hans Luginsland ins Gelände. Seine Beobachtungen waren präzise und seine Schlussfolgerungen brillant. In Yale hat man sich beeilt, den Mann zu verpflichten und jedes Jahr für mehrere Monate in die USA zu holen, als er in Tübingen keine Vorlesungen mehr halten musste. Dieser Wissenschaflter passte zum Renommee einer Elite-Uni.
Auch der Gegner darf profitieren
Bemerkenswert ist auch, dass Seilacher bei Fachdiskussionen nicht von vornherein Recht haben wollte. Ihm ging's eher darum, seine Hypothesen auszutesten und die anderen, die gegenteiliger Ansicht waren, ihre Einwände vorbringen zu lassen. Einen Teil seines Preisgeldes hatte er reserviert, um mit seinem größten Widersacher gemeinsam auf Exkursion zu gehen und dann das Gefundene gemeinsam zu begutachten und Schlüsse zu ziehen.
Hans Hagdorn ist Direktor des Muschelkalkmuseums in Ingelfingen. Er hat erlebt, dass Seilacher auch die Fossilien-Sammler ernst nahm, und hat jetzt ein Buch veröffentlicht. »Der Paläontologe Adolf Seilacher. Eine Spurensuche« nutzt auch frühe Tagebuch-Aufzeichnungen des späteren Professors. Hagdorn findet: Seilacher hätte verdient, dass ein Berg nach ihm benannt wird. Oder besser noch: »ein Gebirge oder ein Tiefseegraben«.
Madelaine Böhme ist nicht nur Professorin in Tübingen und Direktorin der Paläontologischen Sammlung. Sie ist selber eine Buchautorin, die Wissenschaft verständlich rüberbringen kann. Und sie hat sensationelle Funde geborgen wie »Udo«, den ersten aufrecht Gehenden in der menschlichen Ahnenreihe. Sie erinnert sich, dass ihr Seilacher eingeschärft hat: »Ihre wichtigste Aufgabe ist die Paläontologische Sammlung.« Diese wird international sehr geschätzt. Seilacher hat etwa tausend Stücke in Böhmes Obhut gegeben. (GEA)