TÜBINGEN. Noch eine Woche, dann ist der Wahlkampf zu Ende. Julian Grünke ist durch den gesamten Wahlkreis Tübingen-Hechingen getourt. Stadt, Land - er war an vielen Ecken unterwegs. Eine ganze Reihe Unternehmensbesuche hat er absolviert, Podien besucht, war an Wahlkampfständen zu sprechen und bei der FDP-Tour mit Christian Lindner im Tübinger Museum dabei. Jeder, der ihm geschrieben hat, hat ein Gespräch bekommen, sagt der 29-Jährige. Müde sieht er trotzdem nicht aus, nur ein bisschen erkältet vielleicht, aber ansonsten wach und interessiert. Wahlkampf sei für ihn wie ein »sehr langes Bewerbungsgespräch mit der Bevölkerung«. Das Bewerbungsgespräch sei gut verlaufen, erzählt der Politikwissenschaftler. Er habe sehr viel Zuspruch erhalten. Dass seine Partei an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert, glaubt er nicht.
Grünke ist der einzige Kandidat im Wahlkreis mit Bundestagserfahrung. Im September 2024 rückte er für den ausgeschiedenen Michael Theurer nach. In Berlin habe er ein engagiertes und nettes Team vorgefunden, erzählt der FDP-Abgeordnete. Und er hat dabei gelernt, dass persönliche Entscheidungen der einzelnen Abgeordneten eine sehr viel größere Rolle spielen, als er sich zuvor als Politikwissenschaftler vorstellen konnte.
»Wahlkampf ist wie ein sehr langes Bewerbungsgespräch mit der Bevölkerung - Julian Grünke«
Heute ist Grünke zu Gast in der Tübinger Apotheke Pharmaphant zusammen mit seinen Mitbewerbern Christoph Naser (CDU), Asli Kücük (Grüne) und Florian Zarnetta (SPD). »Es brennt bei uns der Baum«, deshalb habe man die Kandidaten eingeladen, sagt Apotheker Sebastian Schmidt. Man müsse mittlerweile laut sein, wenn man gehört werden wolle. Das Naturell des Apothekers sei aber eher Besonnenheit. Man kämpfe mit Honorarsätzen, die seit über 20 Jahren nicht mehr angehoben wurden, der Konkurrenz von Versandapotheken, die keinen Notdienst leisten müssen, mit Medikamentenengpässen und Apothekensterben. Einfache Medikamente wie etwa Fiebersäfte waren lange nicht mehr lieferbar, aber im Ausland erhältlich. Für deutsche Hersteller sei es lukrativer gewesen, ins Ausland zu liefern als ins eigene Land.
Grünke ist da ganz in seinem Element. Die wirtschaftliche Lage sei ganz entscheidend für die Demokratie im Land. Eine stagnierende Gesellschaft führe automatisch zu einer Ellbogengesellschaft, davon ist der Politiker überzeugt. Deshalb kämpft er gegen Regulierungswut und ungerechte Wettbewerbsbedingungen an. Gegen Versandapotheken habe er nichts, sagt der FDP-Abgeordnete. »Allerdings sollten die das vergüten müssen, was sie selbst nicht übernehmen.« Nacht- und Wochenenddienste gehören schließlich bei den Apotheken vor Ort zum Pflichtprogramm.
»Jede Minute, in der Sie nicht wertschöpfend arbeiten können, können wir uns nicht mehr leisten - Julian Grünke«
Sofort fragt Grünke nach, als der Apotheker von hohen Auflagen für den Transport von Medikamenten spricht. Zu viel Bürokratie ist für den Liberalen auch ein Zeichen von Misstrauen. »Wir können den Menschen mehr zutrauen. Sie müssen dann aber auch die Verantwortung übernehmen«, sagt Grünke. »Jede Minute, die Sie nicht wertschöpfend arbeiten können, können wir uns nicht mehr leisten«, sagt er zu den Apothekern.
Eine weitere politische Botschaft hat er sich an diesem kalten Februartag um den Hals geschlungen: den gelb-roten Aktienrenten-Werbeschal. Generationengerechtigkeit ist ein weiteres Schwerpunktthema des jungen Politikers. Und da sieht er das derzeitige Rentensystem am Ende angekommen. Er setzt auf die Aktienrente mit einem breiten Portfolio, das eine solide Verzinsung garantiert. Sollte er in den Bundestag gewählt werden, will er sich unter anderem für die großen Infrastrukturmaßnahmen im Wahlkreis, die Regionalstadtbahn und den Ausbau der B 27 einsetzen. Schließlich seien das die »Lebensadern der Region«.
»Wir müssen aus der Mitte der Gesellschaft eine Antwort auf die Migration finden - Julian Grünke«
Die aktuelle Lage holt den Liberalen zwar nicht in der Apotheke, aber im Wahlkampf ein. Migration war nicht das Thema, über das er hauptsächlich sprechen wollte. Nach den Anschlägen in Aschaffenburg und München und der Abstimmung im Bundestag muss er aber. Und so konnte beim Podium »Jung wählt mit« in der Tübinger Mensa Uhlandstraße die Frage nicht ausbleiben: »Wie haben Sie im Bundestag bei den Anträgen der CDU-abgestimmt?«
Julian Grünke hat zugestimmt. Applaus bekommt er dabei an diesem Abend von den Jugendlichen nicht. Er wolle der AfD nicht die Macht geben, dass das Thema Migration zum Tabu wird, begründet er sein Abstimmungsverhalten. »Wir müssen aus der Mitte der Gesellschaft eine Antwort finden.« Deutschland sei zwar ein weltoffenes Land, wo Einwanderer dazu gehören, im Moment seien allerdings die Asylsysteme überfordert. Überhaupt findet Grünke, dass der Antrag auf Asyl nicht der einfachste Weg sein sollte, um nach Deutschland einwandern zu können, sondern der Wille, hier zu arbeiten. (GEA)