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Tübinger Anwalt kämpft gegen Waffenlieferungen

Wie sich der Tübinger Menschenrechtsanwalt Holger Rothbauer für den Frieden einsetzt.

Das Oberndorfer Rüstungsunternehmen Heckler & Koch hat unter anderem das G36 Sturmgewehr entwickelt.
Das Oberndorfer Rüstungsunternehmen Heckler & Koch hat unter anderem das G36 Sturmgewehr entwickelt. Foto: Arno Burgi/dpa
Das Oberndorfer Rüstungsunternehmen Heckler & Koch hat unter anderem das G36 Sturmgewehr entwickelt.
Foto: Arno Burgi/dpa

TÜBINGEN. »Waffen werden gemacht, um Menschen zu töten. Das ist ihr Bestimmungszweck.« Holger Rothbauers Haltung ist eindeutig. Der Tübinger Menschenrechtsanwalt engagiert sich seit vielen Jahren gegen illegale Waffentransporte und für zivile Konfliktlösungen. Dafür ist er mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet worden. »Das hat mich umgehauen. Ich habe mich wie ein Staatsgast gefühlt«, sagt er. »Ich sitze ansonsten aber lieber in der zweiten Reihe.«

Die Kanzlei »Dehr-Anwälte« auf dem Österberg, in der er arbeitet – dort ist unter anderem auch die ehemalige Bundes-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) tätig – unterscheidet sich nicht von anderen Büros. Im Besprechungszimmer fällt einem ein prächtig gewachsener Ficus ins Auge. »Der ist meiner Frau wichtig, den können wir nicht einfach verrücken«, sagt er.

Drei Punkte an einem Button auf seinem Jackett zeigen, Rothbauer leidet an einer Sehbehinderung. Sein Augenlicht wird immer schwächer. Doch sein Engagement und seine Willensstärke nicht: »Ich habe so viel gesehen und mitbekommen. Ich möchte in der Sache was bewegen. Ich nerve so lange, bis etwas passiert«, sagt er. Was in der Welt zum Guten verändern wollen, war auch schon in seiner Jugend sein Ding. Von Haus aus ist er sozialdemokratisch geprägt, in seiner katholischen Gemeinde engagierte er sich bereits früh. »Ich hatte auch mal überlegt, Pfarrer zu werden. Doch das mit dem Zölibat konnte ich mir nicht vorstellen«, sagt der in Heidelberg geborene und in Stuttgart aufgewachsene Jurist.

Missstände müssen angesprochen werden

Als er 18 Jahre alt war, hatte Rothbauer ein einschneidendes Erlebnis. »Ich habe mit meinem Pfarrer eine Leprastation in Uganda besucht und Spendengelder vorbeigebracht. In einer Nacht haben wir Schüsse gehört. Das hat sich angehört wie ein Gewitter. Am nächsten Morgen lag vor einem Laden ein Toter. Daneben eine Waffe. Auf dieser war das Wappen von Baden-Württemberg«, erzählt der heute 58-Jährige, sichtlich bewegt. »Ich habe mir gedacht, das kann doch nicht wahr sein.«

Rothbauer möchte Missstände aufdecken und direkt ansprechen. Einer seiner Vorbilder ist Günter Wallraff. »Als ich Schülersprecher war, wurde gerade der Nato-Doppel-Beschluss verabschiedet. Der Rektor hat den Lehrern eingeschärft, dass sie nicht an Aktionen gegen Atomwaffen teilnehmen dürfen. Sonst könnte es zu einem Disziplinarverfahren kommen. Das fanden die zwar nicht gut, gehorcht haben sie aber alle«, empört er sich. Also begann Rothbauer sich mit dem Schulrecht auseinanderzusetzen. Sein Berufswunsch Menschenrechtsanwalt zu werden, kristallisierte sich immer mehr heraus. 1984 zog er von Stuttgart für sein Studium nach Tübingen.

Klage gegen Rüstungsunternehmen Heckler & Koch

»Ich habe mich damals als einer der ersten mit den rechtlichen Grundlagen des Waffenhandels auseinandergesetzt. Was nicht ausdrücklich verboten wurde, war erlaubt«, sagt er. »Ich wollte das Thema raus aus den Hinterzimmern in die Öffentlichkeit bringen. Das Thema Waffen wird heute ganz anders diskutiert. Es steht mittlerweile auf gleicher Ebene wie Drogenhandel oder Prostitution.« Als Anwalt arbeitet Rothbauer teilweise honorarfrei, zum Teil wird er von Initiativen finanziert. Er selber ist in verschiedenen Organisationen aktiv, unter anderem in der GKKE (Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung). Die christlichen Kirchen arbeiten hier mit Wissenschaftlern und Anwälten zu Fragen der Entwicklungspolitik zusammen.

Zahlreiche Klagen hat Rothbauer in den Jahren seiner Tätigkeit als Jurist eingereicht, unter anderem gegen das Oberndorfer Rüstungsunternehmen Heckler & Koch. Der Fall wurde im Spielfilm »Meister des Todes« behandelt. Über Drittstaaten sind damals Waffen in Krisengebiete in Kolumbien und Mexiko geliefert worden. »Mehr als 10.000 G36 Gewehre wurden damals geliefert. Das schädigt auch unseren Ruf im Ausland. Es heißt dann: ›Die Deutschen‹ haben dabei geholfen«, sagt er.

Durch einen Whistleblower sei er auf die Missstände aufmerksam gemacht worden. »Viele Hinweisgeber wollen anonym bleiben. Manche Prüfungen sind sehr aufwendig«, sagt Rothbauer. Ihn frustriert, wie viel Zeit Prozesse in Anspruch nehmen. »Ich bin ungeduldig. Am liebsten möchte ich, das alles schnell passiert.«

2023 wurden Kriegswaffen und -Güter im Wert von 12,2 Milliarden Euro exportiert

Man müsse sich nichts vormachen: In machen Regionen liefere Deutschland Waffen an beide Seiten. »Wir liefern Waffen sowohl nach Israel als auch nach Katar. Die landen dann bei der Hamas«, sagt Rothbauer.

"2023 wurden Kriegswaffen und -Güter im Wert von 12,2 Milliarden Euro exportiert. 4,4 Milliarden davon gingen an die Ukraine. Das erfolgte unter der Charta der Vereinten Nationen." Auch wenn man die 4,4 Milliarden abziehe, sei es immer noch der vierthöchste Wert seit Ende des zweiten Weltkriegs. Eine weitere Lieferung, die ihm aufstößt: "Die Ampel-Koalition hat vor Weihnachten 150 Luftraketen an Saudi-Arabien geliefert." Ich habe mich stark dafür gemacht, dass es das Rüstungsexport-Kontroll-Gesetz in den Koalitionsvertrag schafft. Es braucht klare Vorgaben, in welche Länder wir Kriegswaffen, – oder Güter transportieren. Güter bedeutet beispielsweise auch Motoren für Kriegsschiffe", gibt Rothbauer zu bedenken.

Rothbauer hat in seiner Arbeit auch mit den Auswirkungen des Kriegs zu tun – mit Flucht und Asyl. »Krieg steht bei den Fluchtursachen an vorderster Stelle«, sagt der Tübinger. »Ich habe drei junge Syrerinnen vertreten, die in Deutschland Abitur gemacht haben. Sie hatten Narben im Gesicht. Ich habe sie gefragt, woher diese kommen: Sie sagten, von einem Giftgasanschlag 2011 im Damaskus.« Deutschland hat bis 2011 an das Assad Regime die Grundstoffe für das Giftgas Sarin geliefert.

Rothbauer gibt seinen Klienten eine zweite Chance

Als langjähriges SPD-Mitglied liegt Rothbauer das Thema soziale Gerechtigkeit am Herzen: Für ihn ist es selbstverständlich als Pflichtverteidiger zu arbeiten. "Man darf niemanden aufgeben, auch diejenigen nicht, die mehrmals straftätig geworden sind.

Die Grundvoraussetzung für mich ist, dass der Mensch, den ich vertrete, seine Tat bereut. Denn jeder kann sich zum Guten ändern." Einer seiner Klienten hatte eine Liste an Straftaten in seiner Jugend gesammelt. Er hat geprügelt, viel Alkohol getrunken, Frauen attackiert. Seitdem er 18 Jahre alt ist, sei er nicht mehr straffällig geworden und nun auch einen Chancenaufenthalt-Titel in Deutschland bekommen, berichtet er.

Auch anderen Klienten habe der Jurist mit einem »Schubs« in eine Therapie zu einem neuen Leben verholfen. »Vertrauen ist mir in der Zusammenarbeit sehr wichtig. Man muss mir die Wahrheit sagen.« Es gibt aber auch Menschen, die es mit Rothbauer schlicht »verbockt« haben. »Einer kam mal zu mir in die Kanzlei und hat noch damit geprotzt, wie er seine Tochter missbraucht hat: Bei so was sage ich klar: ›Dort ist die Tür.‹« (GEA)