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Tübinger Ahnen-Galerie: Umstrittene Bürgermeister mit Absicht schräg gehängt

Viele Rathäuser haben eine »Ahnen-Galerie« mit Porträts der früheren Bürgermeister. Tübingen hat eine besondere: Die problematischen Fälle wurden schräg gehängt.

In der »Ahnengalerie«: Die Problemfälle sind leicht erkennbar.
In der »Ahnengalerie«: Die Problemfälle sind leicht erkennbar. Foto: Frank Pieth
In der »Ahnengalerie«: Die Problemfälle sind leicht erkennbar.
Foto: Frank Pieth

TÜBINGEN. Bilder machen sich immer gut. Und spätestens seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts ist es Tradition in vielen Rathäusern: Die früheren Bürgermeister - lauter Männer - blicken staatstragend und würdig auf die Besucher herab. Doch nicht immer handelt es sich um Ehrenmänner. Besonders über das dunkle NS-Kapitel wird der Mantel des Schweigens gebreitet. Tübingen hat sich für einen anderen Weg entschieden.

Wegen der dringend nötigen Sanierung des fast 600 Jahre alten Gebäudes waren alle Porträts 2011 abgehängt und im Stadtmuseum eingelagert worden. Nach Abschluss der Arbeiten blieben die Wände erst mal leer. Kulturamtsleiterin Dagmar Waizenegger verwies darauf, dass man sich besser ein schlüssiges Konzept überlegt, wenn man die Bilder wie gewohnt der Öffentlichkeit präsentiert.

Vom König ernannt, obwohl er zu wenig Stimmen hatte

Präsentiert werden die Porträts nicht mehr unscheinbar im dritten Stock, sondern auffällig neben dem Ratssaal. Der größere Teil ist aufgehängt wie auch sonst üblich. Auf den Textleisten sind dazu die Amtszeit und ein paar Besonderheiten vermerkt. Tübingen, so erfährt man da beispielsweise, hatte 1834 nur 8.610 Einwohner - etwa ein Zehntel der heutigen Bevölkerungszahl. Ernst Wilhelm Bierer, der damals Bürgermeister war, trug als Amtsbezeichnung »Schultheiß«.

Nach dem neuen Wahlrecht von 1818/1822 durften alle Männer mit Tübinger Bürgerrecht unter drei »ehrbaren« Kandidaten aus dem Gemeinderat wählen. Der Gewählte musste dann vom König von Württemberg ernannt werden. Der behielt sich allerdings die letzte Entscheidung vor. Bierer hatte eigentlich weniger Stimmen bekommen als benötigt. Der Regent machte ihn dennoch zum Schultheiß - weil Bierer als königstreu galt.

Nationalsozialistischer Oberbürgermeister ohne Parteibuch?

Das war alles schon vergleichsweise fortschrittlich. Zu Zeiten von Christoph Adam Dörr, der von 1768 bis 1788 Bürgermeister war, war die Auswahl noch eingeschränkter. Wählen durften nur die männlichen Mitglieder der 100 »ehrbaren« Familien - und auch nur aus diesem Kreis durften die Kandidaten kommen.

Bei den als fragwürdig eingestuften Biografien entschied man sich für den deutlichen Hinweis. Die schräg gestellten Bilder fallen sofort auf. Ganz markant ist die Darstellung von Adolf Scheef. Er wurde 1927 gewählt und schied 1939 altershalber aus dem Amt. Damals wurde ihm die Ehrenbürgerwürde verliehen. Wegen der Verstrickung in das nationalsozialistische Unrechtssystem hat ihm der Gemeinderat 2013 posthum die Ehrenbürgerschaft wieder aberkannt. Die nach ihm benannte Straße auf dem Österberg heißt jetzt Fritz-Bauer-Straße. Die Meinungen der Experten über die Rolle Scheefs gehen auseinander. Der Historiker Martin Ulmer hat ihn als »nationalsozialistischen Oberbürgermeister ohne Parteibuch« bezeichnet.

Moderne Sticker mit Kommentaren

Eine Überraschung gab's, als die Tübinger das Porträt in der Staatsgalerie in Stuttgart untersuchen ließen. Eine Infrarot-Aufnahme zeigte eindeutig ein NS-Parteiabzeichen mit Hakenkreuz auf Scheefs Brust (wir berichteten). Es war gekonnt übermalt worden. Wann, warum und von wem konnte nicht geklärt werden.

Zwischen den Bildern wurden moderne Aufkleber auf der Wand platziert. »Informativ« findet sie der eine, »grauenvoll« der andere. Beide Urteile sind nachzulesen in dem Buch, das aufgestellt wurde, damit Besucher ihre Eindrücke notieren können. Eine Kölnerin schreibt, das Ganze sei ihr »ein bisschen zu sehr Holzhammer«. Die Initiatoren dürfte dies gefallen. Sie haben extra einen Aufkleber angebracht: »Die Sticker stören? Sollen sie auch!« Sie seien als direkte Kommentare von heute gedacht - »wie auf den Straßen Tübingens«.

Ein deutlicher Hinweis: Moderne Sticker dazwischen sollen zum Nachdenken bringen.
Ein deutlicher Hinweis: Moderne Sticker dazwischen sollen zum Nachdenken bringen. Foto: Frank Pieth
Ein deutlicher Hinweis: Moderne Sticker dazwischen sollen zum Nachdenken bringen.
Foto: Frank Pieth

Neben den Porträts aus den früheren Jahrhunderten gibt's auch solche aus jüngerer Vergangenheit. Eugen Schmid mit Pfeife in der Hand. Seine Nachfolgerin Brigitte Russ-Scherer in bunten Farben. Das Porträt von Boris Palmer ist bereits vorhanden, aber noch nicht zur Begutachtung freigegeben, sondern im Archiv weggeschlossen. Der 51-Jährige wollte unbedingt, dass Ernst Mücke ihn malt. Dieser hat das wunschgemäß getan. Aber öffentlich ausgehängt in der Ahnen-Galerie wird das Porträt erst, wenn Palmer nicht mehr im Amt ist. (GEA)