TÜBINGEN. Während die Kritiker der Videoüberwachung emotional vom drohenden Ende der persönlichen Freiheit und Privatsphäre sprechen, scheint das Thema auf dem Tübinger Marktplatz nur wenige zu interessieren. In den Cafés am Marktplatz wird weiter über Gott und die Welt geplaudert, die meisten Passanten lassen sich von der Demonstration vor dem Rathaus nicht aus der Ruhe bringen und laufen weiter. Eine handvoll Demonstranten versucht derweil, gegen die Videoüberwachung zu mobilisieren. Kritisiert wird unter anderem die fehlende Rechtsgrundlage, ein subjektives Gefühl der Unsicherheit würde die Kriminalitätsstatistik nicht ersetzen können. Der »Chaostreff« des netzpolitisch aktiven »Chaos Computer Club«, die Linke und die Piraten hatten zu der Kundgebung aufgerufen, deren Verlauf zumindest zu Beginn einige Gemeinderäte durch die Fenster des Sitzungssaals verfolgen, ehe dann die eigentliche Sitzung des Verwaltungsausschusses begann.
Dort erklärte OB Boris Palmer den dazugehörigen Tagesordnungspunkt »Videoüberwachung ZOB« für abgesetzt. Denn: die Diskussionsgrundlage fehle. Zwar habe die Stadtverwaltung gleich mehrere Fragenkataloge des Landesdatenschutzbeauftragten Prof. Dr. Tobias Keber erhalten - und diese auch zeitnah beantwortet, erklärte Palmer. »Der Datenschutzbeauftragte war bisher aber noch nicht in der Lage, eine Einschätzung zu geben«, monierte der Oberbürgermeister und ergänzte, Keber hätte sich »einzig in der Presse negativ geäußert«, statt der Stadt Antworten zu geben. Palmer sprach von »behördlichem Schwergang« und kündigte an, das Thema in Kürze erneut auf die Tagesordnung zu setzen.
Tübinger fühlen sich insgesamt sicherer
Dass das Thema Videoüberwachung auf dem Marktplatz nur wenige Menschen aus der Reserve lockte, mag indes auch daran liegen, dass sich die Tübingerinnen und Tübinger grundsätzlich in ihrer Stadt sicher zu fühlen scheinen. Dies ergab eine Befragung durch die Stadtverwaltung, deren Ergebnisse in der Ausschusssitzung öffentlich vorgestellt wurden. Hatten sich 2018 noch 7,2 Prozent der Befragten in Tübingen bei Dunkelheit »sehr unsicher« gefühlt, so sankt dieser Anteil in der jüngsten Umfrage auf 3,0 Prozent. Insgesamt sank der Anteil derjenigen, die sich unsicher fühlen, von 32,2 auf 26,2 Prozent. Und: 64,2 Prozent der Befragten würden Maßnahmen zur Videoüberwachung grundsätzlich befürworten, bei den sich unsicher fühlenden sind es gar 81,5 Prozent. Für Palmer ist dies eine »überwältigende Mehrheit«, zumal die Stadtgesellschaft hier die Schwächsten im Blick behalten müsse.
Allerdings: Die Videoüberwachung am ZOB soll 25.000 Euro kosten - angesichts der aktuellen Haushaltslage der Stadt dürfte auch die Summe hier eine gewisse Rolle spielen. Zumal bei der Sicherheit ohnehin gespart wird: Wurde der kommunale Ordnungsdienst als Reaktion auf die Umfrageergebnisse 2018 von vier auf acht Stellen verdoppelt, so stehen nach der jüngsten Konsolidierungsrunde zwei Stellen auf der Streichliste - bei einem Personalwechsel würden diese Stellen nicht mehr neu besetzt, die Präsenz der städtischen Ordnungshüter also künftig geringer ausfallen. »Zwei Stellen weniger sind nicht wünschenswert, aber vertretbar«, sagte Palmer in Hinblick auf diese Sparmaßnahme. An der Videoüberwachung will der Tübinger Oberbürgermeister dennoch festhalten: »Wir reden darüber, wenn der Datenschutzbeauftragte seine Arbeit gemacht hat.« (GEA)