TÜBINGEN. Der Tourismus ist in Tübingen ein wenig in die Jahre gekommen. Das gilt mitnichten für das Alter der Gäste, die die idyllische Studentenstadt am Neckar jährlich besuchen, sondern viel mehr an der Art und Weise, wie der Wirtschaftsfaktor Tourismus bislang organisiert wird. Gegenwärtig teilen sich der Bürger- und Verkehrsverein Tübingen (BVV) und die Wirtschaftsförderung Tübingen (WIT) die Aufgaben: Während die WIT vorwiegend für die strategische Ausrichtung zuständig ist, organisiert der BVV die Touristeninformation an der Neckarbrücke und die Gästebetreuung. Doch irgendwie scheinen die beiden Organisationen nicht so gut zusammenzuarbeiten, um den aktuellen Erfordernissen der Zeit - Stichworte Digitalisierung und veränderte Besucherbedürfnisse - gerecht zu werden. Wegen dieser Struktur kommt es - so schreibt es die Stadtverwaltung - häufig zu Missverständnissen, doppelter Arbeit und unzureichender Umsetzung. Kurzum: Das System ist ineffizient.
Modernes Konzept in Planung
Dazu kommen strukturelle Probleme beim BVV. Zimmervermittlung und Ticket-Verkäufe sind rückläufig, die Mitgliederzahlen schwinden und in der Führungsriege stehen massive personelle Veränderungen an. Bislang erwirtschaftet der Verein mit knapp 400 Mitgliedern Dreiviertel seiner Einnahmen selbstständig, der Rest wird durch eine alte Geschäftsordnung von 1979 und jährlich wiederkehrenden Anträgen an die Stadt kompensiert. Im vergangenen Jahr waren das knapp 383.000 Euro für die BVV und rund 277.000 Euro für die WIT - viel Geld in Zeiten klammer Kassen.
Jetzt planen Bürgerverein und die Wirtschaftsförderung zusammen mit einer Beratungsagentur ein modernes Konzept, in dem alle Bereiche, die für die Organisation und Verbesserung des Tourismus in Tübingen relevant sind, in einer GmbH gebündelt werden sollen. Hauptanteilseigner wäre laut aktuellem Plan die Stadt mit 80 Prozent, die verbleibenden 20 Prozent übernimmt dann der BVV. Starten soll das städtische Unternehmen im Januar 2026. Damit die Sache aber in Schwung kommt, müssen in diesem Haushaltsjahr über 150.000 Euro mehr Mittel eingeplant werden - und noch mehr in den kommenden Jahren. Wenn das Unternehmen läuft, »belaufen sich die Mehraufwendungen auf etwa 400.000 Euro pro Jahr in der fertigen Ausbaustufe«, erklärt die Stadtverwaltung auf Nachfrage. Aber wo soll das Geld dafür herkommen?
Die Idee der Verwaltung: eine Kurtaxe oder Bettensteuer. »Eine Kurtaxe wäre möglicherweise umsetzbar«, erklärt die Pressestelle der Unistadt. Dafür müsse Tübingen aber erst als Kur- oder Naherholungsort ausgezeichnet werden - was zur juristischen Prüfung und Bearbeitung mit Extra-Kosten verbunden wäre, allerdings »in einem überschaubaren Rahmen«. Sollte die Stadt eine Kurtaxe erwägen, wären die daraus erwirtschafteten Beträge allerdings zweckgebunden und müssten zwangsläufig zur Verbesserung des Tourismus und des kulturellen Angebots eingesetzt werden. Die Kosten für die Taxe müsste der Gast übernehmen - natürlich abhängig vom genutzten Angebot.
Anders bei der Bettensteuer. Hier zahlt der Beherbergungsbetrieb. Ein möglicher Vorteil: Als Steuer wäre die Abgabe nicht zweckgebunden und könnte so in den allgemeinen Haushalt fließen und Löcher an anderer Stelle flicken. »Die Einnahmen aus einer Bettensteuer könnten hingegen zumindest theoretisch als allgemeine Deckungsmittel auch für andere Bereiche genutzt werden«, sagt die Stadtverwaltung.
400.000 Euro Mehraufwendungen
Geplant ist das allerdings nicht. »Nicht die Haushaltslage ist Auslöser der Überlegungen zu einer Abgabe, sondern die geplanten Investitionen in die Tourismusarbeit«, betont die Stadt Tübingen. Die Mehraufwendungen von rund 400.000 Euro bedürfen aufgrund der Haushaltslage einer klaren Gegenfinanzierung. »Es ist nicht angedacht, weitere Haushaltsbereiche damit zu finanzieren.«
Tübinger Tourismus in Zahlen
Insgesamt hat Tübingen 2023 im sehr breit gefächerten Bereich des Tourismus einen Bruttoumsatz von rund 231 Millionen Euro erwirtschaftet - gemessen an fast sechs Millionen Aufenthaltstagen. Davon entfallen allein 5,6 Millionen auf Tagesreisen, der Rest sind Übernachtungen in Hotels, Herbergen oder auch Privatunterkünften mit unter zehn Betten. Rund 80 Prozent der Umsätze werden von Tagestouristen generiert. Nach Abzügen der Mehrwertsteuer und Vorleistungen, die teilweise auch wieder in die Kommune zurückfließen, bleiben unterm Strich ein touristischer Einkommensbetrag von 104 Millionen Euro übrig.
Dieser Betrag entspricht nicht den Einnahmen der Stadt, sondern wird auf die Profiteure des Tourismus allgemein angewendet - also vom Kneipenwirt über den Einzelhändler bis zum Hotelier. Der Einkommensbetrag finanziert - ausgehend von einem durchschnittlichen Einkommen von rund 32.400 Euro - insgesamt 3.230 Personen in der Stadt. Dieser Wert darf nicht mit der tatsächlichen Anzahl der Beschäftigten im Tourismus gleichgesetzt werden, sondern soll eine Vorstellung der Dimension erlauben. (pru)
Die Stadt verspricht sich von den Maßnahmen - gerechnet mit fünf Prozent mehr Wertschöpfung je Gast und einer ebenso hohen Steigerung der Nachfrage auf fünf Jahre - ein Bruttoplus von fast 24 Millionen Euro pro Jahr. Wie viel Geld davon nachher in der Stadtkasse landet, bleibt offen, denn das Umsatzplus wird durch Einzelhandel (9,7 Millionen Euro), Gastronomie (9,1 Millionen Euro) und der Dienstleistungsbranche (4,8 Millionen Euro) generiert. Was zeigt, was sich Tübingen von der Verschlankung und Verbesserung der Tourismusbranche erhofft: erhöhte Einnahmen in den Bereichen, die eine lebenswerte Innenstadt ausmachen. »Der Tourismus ist eine klassische Querschnittbranche. Es gibt kaum einen Wirtschaftsbereich, der nicht davon profitiert«, heißt es von Seiten der Stadt. Da ist es kaum verwunderlich, dass ebenfalls im Gespräch ist, wieder neue Gastronomie-Konzessionen in der Tübinger Altstadt zu vergeben. (GEA)