TÜBINGEN. Seit Freitag ist es offiziell: Ralf Jaster ist der Linken-Kandidat des Wahlkreises Tübingen-Hechingen für die kommende Bundestagswahl. Der 50-jährige Gewerkschaftssekretär kandidierte als alleiniger Bewerber - was nicht seine eigene Idee war. »Ich hatte erst gar nicht an die Kandidatur gedacht«, gibt Jaster im Gespräch mit dem GEA zu. Die Partei sei auf ihn zugekommen. Seinen Willen, politisch etwas zu verändern, schmälert das nicht. »Wir leben in einer historischen Umbruchszeit«, sagt der 50-Jährige. »Es sind ein paar gefährliche Entwicklungen, die da laufen: wie die Blindheit vor dem Klimawandel beispielsweise.« Er habe immer mehr das Gefühl, dass grundsätzlich etwas schieflaufe. »Deswegen muss ich aktiv werden - noch aktiver als bisher.«
Dass es bislang mit den kommunalen Ämtern, auf die sich Jaster beworben hat, nicht geklappt hat - daraus macht der Gewerkschaftssekretär keinen Hehl. »Bei den Gemeinderatswahlen war ich immer recht weit unten auf der Liste.« In der Landespolitik habe er noch keine Erfahrungen sammeln können, wohl aber als Linken-Landesvorstand, dem er von 2018 bis 2023 angehörte. Parteimitglied ist er seit 2012. In den Linken sieht der 50-Jährige die »einzige Partei, die einen ernstzunehmenden Anspruch aufstellt.« Man vertrete weiterhin eine humane Flüchtlingspolitik und lasse sich nicht von rechten Parolen und Aktionen antreiben.
Zustände wie im Kaiserreich
Zu den Hauptprobleme, die Jaster als potenzieller Bundestagsabgeordneter anpacken will, gehören vor allem die hohen Mieten und die ungleiche Verteilung des Vermögens in Deutschland. »Die Mieten explodieren geradezu«, sagt Jaster. »Viele Menschen müssen bis zur Hälfte ihres Nettoeinkommens fürs Wohnen ausgeben.« Diese Situation sei auch auf ein »Politikversagen auf ganzer Strecke« zurückzuführen und nicht länger hinnehmbar. Jaster selbst lebt in einem selbstverwalteten Mietprojekt im Französischen Viertel in Tübingen.
Zudem habe man in Deutschland eine unglaubliche Vermögenskonzentration beim oberen Zehntel der Bevölkerung. »Die ist auf dem Niveau von 1913 - als Deutschland noch ein Kaiserreich war«, so der Gewerkschaftssekretär. Steuerpolitik werde zugunsten von Unternehmen und reichen Menschen betrieben. »Die Erbschaftssteuer ist löchrig wie ein Schweizer Käse.« Das habe verstärkend zur Folge, dass der öffentlichen Hand wichtige Gelder fehlen. Diese Konzentration bedrohe so viele tausende Arbeitsplätze. Eine Vermögenssteuer könne Abhilfe schaffen - vom konservativen Argument einer beschworenen Abwanderung deutscher Unternehmen ins steuerlich günstigere Ausland hält Jaster nichts. »Da könnten auch Regelungen auf europäischer Ebene helfen.« In Frankreich sei man diesen Belangen beispielsweise viel weiter.
Starker Mitgliederzuwachs
Als weiteren Posten, der dringend angepackt werden müsse, identifiziert der 50-Jährige die Industriepolitik. »Da wurde zu wenig aktive Politik gemacht«, sagt Jaster. Die großen Unternehmen hätten ihre Chance für den Wandel verpasst, ruderten jetzt sogar wieder zum Verbrenner zurück. Diese vertane Chance hin zur Transformation werden auf dem Rücken der Arbeiterschaft ausgetragen. »Seit der Abschaffung der E-Auto-Förderung ist der Absatz wieder eingebrochen.« Das sei aber ein mögliches Instrument gewesen, um aktiv dem Klimawandel entgegenzusteuern - eine »riesengroße Herausforderung in nahezu allen Bereichen - Energie, Bauen, Verkehr«. Viele gut laufende Sektoren, die es dafür gab, wurden irrigerweise abgeschafft. »Häufig auf Druck der FDP.«
Die Linke erfreut sich derweil im Wahlkreis eines starken Mitgliederzuwachses. Zwei Drittel der Neuzugänge sind zudem unter 30 Jahre alt. »Ich will gar nicht viel über das Bündnis Sahra Wagenknecht reden, aber es hatte etwas Gutes, dass es diesen Klärungsprozess gab«, erklärt Jaster. Viele junge Leute habe seiner Einschätzung nach die alten Querelen innerhalb der alten Linken abgeschreckt. »Jetzt herrscht reiner Tisch.«
Ob und wie seine Tätigkeit bei der IG Metall Reutlingen-Tübingen als Gewerkschaftssekretär bei einem Mandat weitergeht, das entscheidet der 50-Jährige, wenn es so weit ist. »Ich kann nur sagen: Der Job fordert voll. Ich kann mir kaum vorstellen, beides unter einen Hut zu bekommen.« Sollte es mit dem Einzug in den Bundestag also klappen, müsste seine bisherige Tätigkeit wahrscheinlich ruhen - wie das häufig der Fall bei Abgeordneten sei. »Natürlich alles in Absprache mit meiner Frau«, erklärt der zweifache Familienvater. (GEA)