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Aktuell Einsatz

Tödliches Virus: Tübinger Feuerwehr gibt Entwarnung

Einen kuriosen Einsatz gab es für Feuerwehr, Rettungsdienst und Polizei in der Tübinger Moltkestraße: Ein Zettel wies auf Igelkot hin, der mit dem Borna-Virus infiziert sein könnte.

Die Feuerwehr Tübingen rückte mit einem Gefahrstoffzug in die Moltkestraße aus.
Die Feuerwehr Tübingen rückte mit einem Gefahrstoffzug in die Moltkestraße aus. Foto: Alexander Thomys
Die Feuerwehr Tübingen rückte mit einem Gefahrstoffzug in die Moltkestraße aus.
Foto: Alexander Thomys

TÜBINGEN. Als der Einsatz beendet war, konnte Christian Hüller von der Feuerwehr Tübingen über das Schmunzeln, was zuvor die Tübinger Südstadt in Aufregung versetzt hatte. »Shit happens wäre wohl eine gute Überschrift für ihren Artikel«, sagte der Einsatzleiter zu den Journalisten, die aufgrund eines Gefahrstoff-Einsatzes der Feuerwehr zur Moltkestraße gekommen waren.

Was war passiert: Zwei Studierende haben in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft einen Igel beobachtet, dem es offenbar nicht besonders gut ging. »Der Igel war wohl offensichtlich krank, hinkte und kotete auf ungewöhnliche Art und Weise«, beschreibt Hüller die Situation. Die beiden Studenten meinten es daraufhin in zweierlei Hinsicht gut: Zum einen wollten sie dem Igel helfen, stellten ihm in einem Karton Thunfisch und Wasser bereit. Und sie wollten ihre Mitmenschen warnen: Könnte der Igel doch mit dem Borna-Virus (BoDV-1) infiziert gewesen sein. Sie schrieben deshalb einen Zettel, den sie neben den Karton legten und mit Steinen beschwerten. Darauf der Hinweis auf das Borna-Virus und der gut gemeinte Ratschlag: »Do not touch« (nicht berühren).

Die Feuerwehr war mit elf Einsatzfahrzeugen und 39 Einsatzkräften in der Südstadt vor Ort.
Die Feuerwehr war mit elf Einsatzfahrzeugen und 39 Einsatzkräften in der Südstadt vor Ort. Foto: Alexander Thomys
Die Feuerwehr war mit elf Einsatzfahrzeugen und 39 Einsatzkräften in der Südstadt vor Ort.
Foto: Alexander Thomys

Mit diesem Virus, das in der Natur vor allem in Spitzmäusen auftritt, ist indes nicht zu spaßen. Infizieren sich Menschen, ist der Weg oft vorgezeichnet: Hirnhautentzündung, Koma, Tod. »Die bisherigen Erkrankungsfälle verliefen mit nur sehr wenigen Ausnahmen innerhalb von wenigen Wochen tödlich«, schreibt das Robert-Koch-Institut zusammen mit dem Bernhard-Nocht-Institut und dem Friedrich-Loeffler-Institut in einem Merkblatt zu der meldepflichtigen Erkrankung, für die es aktuell keine Therapie gibt. Allerdings: Die Infektionswahrscheinlichkeit wird von den Experten des RKI als »insgesamt sehr gering« eingestuft. Das Virus gibt es wohl schon seit langer Zeit. Jährlich gibt es in Deutschland zwischen fünf und zehn Erkrankte, 2018 konnte das BoDV-1 erstmals beim Menschen als Ursache einer Hirnhautentzündung diagnostiziert werden. »Zum Vergleich: Es wird geschätzt, dass in Deutschland jährlich ungefähr 200 Menschen vom Blitz getroffen werden und etwas mehr als 2.000 Menschen jährlich in Deutschland bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommen«, schreibt das RKI.

Als in Tübingen ein Passant den Zettel sah - der Igel war da längst seines Weges gezogen - alarmierte er die Feuerwehr. Und die musste die Situation natürlich ernst nehmen, sodass der Gefahrstoffzug, der sich aus Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehr der Abteilungen Bühl, Derendingen, Lustnau und der Stadtmitte zusammensetzte, mit 39 Einsatzkräften und elf Fahrzeugen, darunter auch der CBRN-Erkunderwagen des Katastrophenschutzes, der speziell für Einsatzlagen bei chemischen, biologischen oder nuklearen Gefahren ausgestattet ist. »Biologische Gefahrstoffe können wir nicht messen«, erklärt Einsatzleiter Hüller das Problem, vor dem die Feuerwehrleute standen. Entsprechend groß war die Vorsicht. Hätte sich die Gefahrenlage bestätigt, wären die Gefahrgutexperten wohl in Infektionsschutzanzügen vorgegangen, hätten den Kot eingesammelt und den Vorgarten soweit möglich dekontaminiert. Zum Eigenschutz der Feuerwehrleute waren daher auch ein Rettungswagen und der Notarzt vor Ort.

Nach eingehender Beratung mit Fachleuten konnten die Feuerwehrleute die Absperrungen wieder aufheben.
Nach eingehender Beratung mit Fachleuten konnten die Feuerwehrleute die Absperrungen wieder aufheben. Foto: Alexander Thomys
Nach eingehender Beratung mit Fachleuten konnten die Feuerwehrleute die Absperrungen wieder aufheben.
Foto: Alexander Thomys

Zu einem so aufwändigen Einsatz kam es freilich nicht. Nach eingehender Beratung mit Fachleuten aus dem Tierwesen wurde Entwarnung gegeben. »Uns wurde gesagt: Wäre der Igel wirklich akut an Borna erkrankt, hätte er nicht mehr aus dem Garten verschwinden können«, erklärt Hüller. Die Feuerwehrleute konnten also das große Besteck schnell wieder einpacken und die weiträumigen Absperrungen - bei Gefahrguteinsätzen gibt es grundsätzlich einen Gefahrenbereich von 50 Metern rund um die Einsatzstelle sowie einen Absperrbereich von weiteren 50 Metern - wieder aufheben.

Den beiden Studenten, die ihren Namen auf dem Karton hinterlassen hatten, droht indes kein juristisches Nachspiel, erklärt Gerhard Jaudas von der Pressestelle des Polizeipräsidiums Reutlingen. Schließlich hätten es die Studenten »gut gemeint, nur missverständlich ausgeführt«. Sie hätten dem Igel etwas Gutes tun wollen. Dass dies zu einem solchen Großeinsatz führte, konnten sie wohl nicht erahnen. Offen bleibt, wie es dem Igel geht. »Er ist flüchtig«, schmunzelte Feuerwehrmann Hüller, der nun noch das Kreisveterinäramt über den Einsatz informieren will. (GEA)