TÜBINGEN/REUTLINGEN. Viele Menschen, die mit dem Coronavirus infiziert waren, leiden auch noch Monate nach durchgestandener Infektion an anhaltenden Beschwerden. Um herauszufinden, wie häufig diese Langzeitfolgen, auch Post-Covid-Syndrom genannt, auftreten und um mögliche Risikofaktoren des Krankheitsbildes zu identifizieren, hat eine Forschergruppe der Uniklinik Tübingen nun eine große bevölkerungsbasierte Studie durchgeführt. Ein Ergebnis: Allein bei den ambulant behandelten Patienten litt fast jeder Zweite unter Post-Covid-Symptomen. Die Ergebnisse der Befragung sind im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht.
Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Erschöpfung: Selbst nach durchgestandener Sars-CoV-2-Infektion leiden einige Patienten noch Monate danach unter einer Vielzahl an Beschwerden. Um das Krankheitsbild zu erforschen, haben das Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung und das Institut für klinische Epidemiologie gemeinsam eine Studie durchgeführt.
»Es hat uns überrascht, dass so viele Betroffene über so gravierende Symptome berichten«
In deren Rahmen führten die Forscher mit den Gesundheitsämtern der Landkreise Reutlingen, Tübingen und dem Enzkreis eine Befragung unter allen Erwachsenen mit positivem PCR-Test durch. Insgesamt 1 907 Personen haben sich daran beteiligt. Somit war es möglich, vor allem Betroffene zu befragen, die während der Akutphase ihrer Infektion mit Sars-CoV-2 ambulant beziehungsweise zuhause behandelt werden konnten. Diese Personengruppe machte 87 Prozent der Studienteilnehmenden aus. Bereits vorliegende Studien, in denen oftmals nur die Patienten befragt wurden, die aufgrund eines schweren Krankheitsverlaufs behandelt werden mussten, können somit ergänzt werden.
Das Team um Instituts- und Studienleiterin Professor Stefanie Joos fand heraus, dass 46 Prozent der ambulant behandelten Patientinnen und Patienten auch zwölf Wochen nach der Infektion weiterhin unter Beschwerden leiden. Von den Patienten, die während der akuten Erkrankungsphase ihrer Infektion schwer krank und im Krankenhaus behandelt werden mussten, berichteten sogar 73 Prozentüber Langzeitsymptome.
Als häufigste Symptome beider Gruppen identifizierte die Forschergruppe Müdigkeit, körperliche Erschöpfung, Konzentrationsstörungen sowie Geschmacks- und Geruchsverlust. Das Risiko, nach einer Infektion Post-Covid zu entwickeln, war bei Frauen 1,8-fach erhöht.
Ebenso zeigte sich das Gesamtmaß an Begleiterkrankungen als weiteren Risikofaktor: Je mehr Vorerkrankungen, desto häufiger traten Post-Covid-Beschwerden auf. Die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Post-Covid-Betroffenen war im Vergleich zu Patienten ohne Langzeitsymptome deutlich reduziert.
»Dass es nach manchen Virusinfektionen zu anhaltenden Beschwerden kommen kann, ist nicht neu«, so Studienkoordinator Dr. Christian Förster. »Trotzdem hat es uns überrascht, dass so viele Betroffene nach dieser Zeit über so gravierende Symptome berichteten.«
Bekannt ist aber aus anderen Studien, dass Betroffene mit Symptomen sich eher an Befragungsstudien beteiligen als beschwerdefreie Betroffene. Aus diesem Grund, so vermutet die Forscher, dürfte die tatsächliche Zahl an Betroffenen geringer sein. Weiter muss berücksichtigt werden, dass kein Vergleich mit einer Sars-CoV-2-negativen Kontrollgruppe möglich war. Ob die berichteten Beschwerden tatsächlich alle auf Covid-19 zurückzuführen sind, muss daher in weiteren Studien geprüft werden.
Die Erkenntnisse könnten dazu beitragen, Risikopatienten zu identifizieren und diese gezielt in lokalen Versorgungsnetzwerken mit Hausärzten als erstem Ansprechpartner zu betreuen. »Hausärzte sind schon immer die Spezialisten für unspezifische Symptome gewesen. Daher kommt ihnen auch bei der Behandlung von Post-Covid-Betroffenen eine Schlüsselrolle zu. Die meisten Untersuchungen können bereits in den Hausarztpraxen durchgeführt werden, nur selten ist die Überweisung zu anderen Spezialisten erforderlich«, erklärt Joos. (ukt)