TÜBINGEN. »Man muss sich auch mal auf etwas einlassen. Es ist fantastisch. Ich würde das EMS-Training weiterempfehlen. Ich habe mich schon erkundigt, wie ich es nach der Studie weitermachen kann«, sagt Frau S. Seit etwa zehn Jahren leidet die Tübingerin unter Prä-Diabetes. Durch ihr starkes Übergewicht habe sie nicht so viele Möglichkeiten, sportlich aktiv zu sein. Diverse Diäten habe die 62-Jährige bereits ausprobiert. Bei dem Gymnastikkursen seien viele deutlich Ältere dabei, im Fitnessstudio schrecke es sie ab, dass dort eben jüngere, fittere Menschen trainieren. Durch eine Zeitungsanzeige ist sie auf die Idee gekommen, an einer Studie des Tübinger Uniklinikums teilzunehmen. In ihr wird erforscht, wie EMS-Training, ein Ganzkörpertraining mit Stromunterstützung, bei Prä-Diabetes helfen kann. »Ich fühle schon eine Verbesserung. Meine Muskeln fühlen sich angeregt und kräftiger an«, sagt Mahdieh Shojaa.
Wer bei der Studie mitmachen kann
Der Start der Studie ist individuell. Sie dauert 16 Wochen. Auch aktuell werden noch Probanden gesucht. Ihr Alter sollte zwischen 40 und 65 Jahren liegen. Ausschlusskriterien bei den Teilnehmern sind: Sie dürfen keine Herzschrittmacher, Bypässe oder Herz-Kreislauf-Probleme haben, oder an Thrombosen erkrankt sein. Außerdem sollten sie keine Diabetes-Medikamente einnehmen. Die Teilnehmer werden drei Gruppen zugeordnet. Die erste Gruppe erhält das EMS-Training, eine Gesundheitsschulung und einen Fitnesstracker. Diesen schätzt Frau S. sehr. »Das ist eine super Kontrolle. Er motiviert mich, nochmal raus zu gehen«, sagt sie.
Die zweite Gruppe darf nicht ins EMS-Training, erhält jedoch den Tracker und die Schulung. Wer in der dritten Kontrollgruppe landet, nimmt nur an der Schulung teil. Die Teilnehmer, die nicht ins Training dürfen, erhalten einen VHS-Gutschein für einen Sportkurs in Höhe von 80 Euro.
»EMS-Training ist auch bei Themen wie Rückenschmerzen effektiv«, sagt die Forschungskoordinatorin Sarah Rau vom Institut für Gesundheitswissenschaften am Uniklinikum Tübingen. Studienleiterin Mahdieh Shojaa gibt zu bedenken, dass viele der Prä-Diabetes-Patienten »keinen aktiven Lebensstil«, beim Thema Sport eine »Hemmschwelle« haben und an Übergewicht leiden würden. »Um ähnliche Ergebnisse wie mit dem EMS-Training zu erreichen, müsste man zwei bis drei Mal eine Stunde lang regulär trainieren«, sagt sie. Bei vielen EMS-Studien sei die Abbruchquote sehr niedrig, da man schnell eine Wirkung fühle. Warum hilft ein Fitness-Training und eine damit verbundene Gewichtsabnahme bei Erkrankungen wie Diabetes? »Wenn der Energieverbrauch steigt, geht der Zuckerspiegel runter. Der Muskelaufbau hilft auch. Denn Muskel verbrauchen auch Energie.«
Diabetes Typ 2: Eine Volkskrankheit
Erforscht werde bei der Studie unter anderem auch wie sich die Lebensqualität, der Stresspegel und der Schlaf verändern, erläutert Shojaa. Neben dem Blutzucker würden auch andere Blutwerte wie Cholesterin und der Körperfettanteil erfasst. Diabetes sei eine Volkskrankheit. »Die deutsche Diabetes-Gesellschaft vermeldet für 2021 8,5 Millionen an Diabetes Typ 2 erkrankte Menschen. 2015 sind es noch sieben Millionen gewesen. Das Bundesgesundheitsministerium gibt jährlich drei Millionen Euro für Präventionsmaßnahmen aus«, so Shojaa.
Wie läuft das Training ab? »Auf den ersten Blick sieht nicht besonders anstrengend aus«, erläutert die Studienkoordinatorin Katharina Knaub. Die Übungen sind nicht außergewöhnlich. Gearbeitet wird mit Kniebeugen oder Ausfallschritten. Doch der Anzug, der beim Training getragen wird, hat es in sich. An einer Weste, die aus speziellem leitfähigem Material besteht, sind Elektroden angebracht. Gurte werden an Oberarmen, Schenkeln und am Gesäß befestigt. Alles wird festgezurrt und anschließend verkabelt. »Das muss ja ein geschlossener Stromkreis sein«, sagt Knaub. Ganze Muskelgruppen können stimuliert werden. Das Training dauert 20 Minuten. Alle vier Sekunden geht der Stromimpuls durch den Körper. Die Intensität kann an die einzelnen Körperpartien angepasst werden. »Wenn es nur kribbelt, müssen wir den Strom erhöhen, damit die Spannung gefühlt werden kann«, sagt Knaub. »Danach fühlt man, dass man was gemacht hat.« Wer an der Studie teilnehmen möchte, kann sich noch anmelden. (GEA)
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