TÜBINGEN. Frauen haben sich in Tübingen schon früh für Menschenrechte und Freiheit eingesetzt. Eine Stadtführung am Samstagnachmittag mit den beiden Kulturwissenschaftlerinnen Bea Dörr und Elle Detscher vom Bildungszentrum und Archiv zur Frauengeschichte Baden-Württemberg (Baf) rief ihr Engagement wieder ins Gedächtnis. Das Baf setzt sich seit der Gründung 1987 dafür ein, dass das Engagement von Frauen sichtbar und erinnert wird.
Unter dem Titel »Tübinger Revolten aus Frauenperspektive(n)« ging es auf die Suche nach Spuren engagierter Tübingerinnen aus den Jahren 1848/1849 sowie 1968. Die Kulturwissenschaftlerinnen machten mit historischen Dokumenten, Bildern und Presseartikeln die einzelnen Lebensgeschichten anschaulich. Finanziell unterstützt wurde die Veranstaltung vom Zonta Club Tübingen.
Los ging es zunächst am Brunnen auf dem Marktplatz, der durch den zeitgleich stattfindenden Regionalmarkt bereits gut gefüllt war. Bea Dörr zeigte sich angesichts der Vielzahl der Interessierten erfreut und »einigermaßen überwältigt«. In der deutschen Geschichte sei meist von Männern die Rede, obwohl die zahlreichen Dokumente aus der Frauenbewegung ein differenziertes Bild zeichneten.
Die Geschichte der roten Marie
So erzählte Bea Dörr unter anderem von Marie Kurz, die 1863 nach Tübingen kam. Auch bekannt geworden als die »rote Marie« war Kurz eine der wenigen Frauen in Württemberg, die sich bereits in der Revolution von 1848/1849 öffentlich für mehr Freiheit und Menschenrechte einsetzten. Wegen ihres politischen Engagements musste sie sich 1853 sogar kurzzeitig vor dem Stuttgarter Schwurgericht verantworten, erhielt aber einen Freispruch.
Zu ihren fünf Kindern zählt die ebenfalls bekannte Schriftstellerin und Übersetzerin Isolde Kurz, die ihr mit »Meine Mutter« ein eigenes literarisches Werk widmete.
Nach der Zeit um 1848/1849 nahmen Bea Dörr und Ella Detscher im Wechsel die Entwicklungen um 1969 und später in den Blick. Ella Detscher berichtete unter anderem über die weiblichen Proteste für mehr Selbstbestimmung und gegen den Paragraf 218, der den Abbruch einer Schwangerschaft als strafbare Handlung mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe ahndet.
Auch die Journalistin Ulrike Meinhof kam nach Tübingen. Im Juli 1969 rief sie mit ihrem Vortrag »Die Befreiung der Frau« Begeisterung hervor. In dessen Nachgang schlossen sich aktive Frauen zusammen.
Als Bea Dörr einen kurzen Auszug aus der Autobiografie von Dr. Elisabeth Moltmann-Wendel vorlas, wurde es auf dem Platz vor der alten Aula ganz still. Die bekannte Vertreterin der feministischen Theologie ist 2016 in Tübingen gestorben.
Danach ging es weiter zum Frauenbuchladen Thalestris in der Bursagasse. Die Fachbuchhandlung wurde 1979 in der autonomen Frauen- und Lesbenbewegung gegründet und bietet bis heute feministische, emanzipatorische und lesbische Literatur.
Die Stadtführung war Teil des Begleitprogramms zur Sonderausstellung »Tübinger Revolten 1848/1968«, die sich mit den gesellschaftlichen Entwicklungen dieser beiden Etappen befasst und noch bis zum 3. Juni im Tübinger Stadtmuseum zu sehen ist. Die Stadtführung auf den Spuren der engagierten Frauen wird am Samstag, 2. Juni, noch einmal wiederholt. (GEA)