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Aktuell Bundestagswahl

SPD-Kandidat auf Stimmenfang an Nehrens Haustüren

In Nehren setzt der SPD-Bundestagskandidat Florian Zarnetta für den Wahlkreis Tübingen-Hechingen auf den Tür-zu-Tür-Wahlkampf. Dabei wird er meist freundlich empfangen - und hört aus erster Hand, was die Menschen im Ort knapp zwei Wochen vor der Wahl beschäftigt.

Der SPD-Bundestagskandidat Florian Zarnetta (mitte) zieht mit den Genossinnen und Genossen in Nehren um die Häuser. Mit im Gepäc
Der SPD-Bundestagskandidat Florian Zarnetta (mitte) zieht mit den Genossinnen und Genossen in Nehren um die Häuser. Mit im Gepäck: Das Wahlkampfprogramm der SPD. Foto: Paul Runge
Der SPD-Bundestagskandidat Florian Zarnetta (mitte) zieht mit den Genossinnen und Genossen in Nehren um die Häuser. Mit im Gepäck: Das Wahlkampfprogramm der SPD.
Foto: Paul Runge

KREIS TÜBINGEN/NEHREN. Schnell muss es an den Nehrener Haustüren gehen, daran lässt Florian Zarnetta keine Zweifel: »Drei Minuten pro Besuch sind geplant. Wir sind heute vor allem dafür da, um auf die Bundestagswahl aufmerksam zu machen.« Grundsatzdiskussionen sind bei so einem knappen Zeitfenster nicht drin. »Aber sagt den Menschen bitte, dass sie sich immer per Mail bei uns melden können.« Die acht Helfer des SPD-Bundestagskandidaten aus dem Wahlkreis Tübingen-Hechingen hören dem 26-Jährigen gespannt zu. Einige haben noch keine Erfahrungen mit dem Format des Tür-zu-Tür-Wahlkampfes gemacht, andere - wie die Nehrener Gemeinderätin Tanja Schmidt - kennen sich bestens damit aus. Deswegen ziehen heute Neulinge und »alte Hasen« in Zweier-Teams los. In den tiefroten Jutebeuteln mit dem aufgedruckten Namen Zarnettas und dem Parteilogo darauf ist das Wahlkampfprogramm der SPD mit dabei. Das Ziel: Die Menschen zum Wählen zu bewegen - natürlich am liebsten die Sozialdemokraten, nach Möglichkeit mit beiden Stimmen. »Entscheidend ist aber, dass die Leute überhaupt zur Wahl gehen«, sagt Zarnetta.

Vier Routen hat sich Lara Fischer, eine der stellvertretenden Kreisvorsitzenden der Jusos Tübingen, für die Wahlkampf-Teams überlegt. Vom Treffpunkt an der ehemaligen neuapostolischen Kirche in der Bubengasse decken die SPDler den nordwestlichen Teil der Gemeinde ab. Zarnetta und Fischer starten in der Vaihingerstraße, der weitere Weg führt dann vor allem durch die Johann-Conrad-Schneider-Straße. Die anderen Helfer decken die Straßen darüber ab. »99,9 Prozent der Besuche laufen neutral bis freundlich«, erklärt Zarnetta seinen Genossen. »Aber falls nicht: Ihr müsst euch nicht alles bieten lassen.« Dann machen sie sich auf.

Holpriger Start

Bis auf den roten Jutebeutel über Fischers Schulter deutet augenscheinlich nichts darauf hin, dass ein angehender Bundespolitiker durch die Nehrener Straßen zieht. In seiner hellen Jeans und den weißen Sneakern wirkt der Mittzwanziger nahbar, sein selbstsicheres Auftreten an der Tür kommt bei den Bürgern gut an. Zuerst stellt sich Zarnetta vor, dann folgt die Frage, ob sein Gegenüber zur Wahl geht. Schließlich setzt er nach: »Können Sie sich auch vorstellen, die SPD zu wählen?« An der ersten Tür, die geöffnet wird, lautet die ernüchternde Antwort allerdings »nein«. Auch am zweiten Haus hat der 26-Jährige kein Glück. »Habe ich früher gewählt, dann war ich mit Altkanzler Gerhard Schröder unzufrieden«, gibt ein ehemaliger SPD-Wähler offen zu und begründet seine Haltung: »Wenn ich die Politik nicht ändern kann, dann muss ich mein Wahlverhalten ändern.« Dem Herrn an der dritten Tür kann die SPD sogar gerade zur »Hölle fahren« - ein holpriger Start im traditionell SPD-starken Nehren.

Doch davon lässt sich der Abgeordnete in Spe nicht entmutigen, die Absagen trägt er mit Fassung. »Ganz viele Leute sind noch unentschlossen, welche Partei und welchen Kandidaten sie wählen wollen«, sagt Zarnetta. Schätzungen zufolge liege diese Zahl bei rund 40 Prozent. »Bis zum Wahltag ist also noch Musik drin.« Ein umso schöneres Erlebnis folgt für den 26-Jährigen dann nur eine Tür weiter: Der 80-jährige Bewohner will glatt in die SPD eintreten - lehnt ein Beitrittsbogen aber ab. »Das mache ich online.« Den Flyer nimmt er mit Freuden.

Emotionale und wichtige Wahl

Ein paar Häuser weiter wird ein Türgespräch inhaltlich: »Die Umwelt hat für mich die höchste Priorität«, sagt ein Bürger, der die Grünen wählt - zu seinem Bedauern, Zarnetta sei ihm »ja schon länger sympathisch gewesen«. Experten würden nicht mehr gefragt und nur noch angefeindet werden. Dem älteren Herrn geht das Thema nahe, die Stimme versagt kurzzeitig. »Die Gesellschaft hat verlernt, miteinander zu reden.« Das Treffen ist für Zarnetta ein Beweis dafür, wie emotional und wichtig die kommende Bundestagswahl ist. »Bei anderen Türen stehen andere Themen im Vordergrund - wie die soziale Gerechtigkeit oder die Zukunft der Enkel«, sagt der SDPler. Bei den Gesprächen zeigt er Verständnis, geht auf sein Gegenüber ein und würgt niemanden ab - auch, wenn's mal länger als drei Minuten dauert.

Florian Zarnetta hatte beim Tür-zu-Tür-Wahlkampf viel Kontakt zu den Nehrenern.
Florian Zarnetta hatte beim Tür-zu-Tür-Wahlkampf viel Kontakt zu den Nehrenern. Foto: Paul Runge
Florian Zarnetta hatte beim Tür-zu-Tür-Wahlkampf viel Kontakt zu den Nehrenern.
Foto: Paul Runge

Als Vertreter einer jungen Generation hat Zarnetta eine klare Meinung bezüglich Investitionen in die Zukunft: »Die Schuldenbremse muss reformiert werden.« Schuldenfreiheit nütze wenig, wenn die gesamte Infrastruktur im Land marode sei. So wie die Kreuzung, an der er gerade stehe: kaputter Asphalt, Schlaglöcher, Unebenheiten. Wie der Bund die Verpflichtungen an die Kommunen verteile, könne man der Gemeinde dafür aber keine Vorwürfe machen. »Fast 90 Prozent der Kommunen kriegen in diesem Jahr keinen ausgeglichenen Haushalt hin«, weiß der Tübinger Gemeinderat, der zuletzt nächtelang am Verhandlungstisch im Rathaus der Unistadt saß. Dieser Spagat könnte in Zukunft schwierig für ihn werden - Bundestagsabgeordneter auf der einen, Gemeinderat auf der anderen Seite. »Ich kann nicht versprechen, dass ich die Doppelbelastung durchhalte«, gibt Zarnetta offen zu. Er werde es aber auf jeden Fall versuchen.

Doch zuerst steht weiterer Wahlkampf an. »Noch bin ich kein Abgeordneter«, sagt der 26-Jährige und schmunzelt. Mit dem schwindenden Tageslicht kriecht langsam die Kälte in die Straßen. Eine Nehrenerin ist ganz besorgt: »Haben Sie denn keine Handschuhe dabei?« Doch, habe er, sagt Zarnetta. Aber das Überreichen des Partei-Flyers fände er mit Handschuhen unhöflich. Da nehme er lieber das leichte Frösteln in Kauf. (GEA)