KIRCHENTELLINSFURT/ROTTENBURG. Lotte hält still. Genügsam lässt sie sich ein Bein nach dem anderen heben, das Maul tief im Futtersack versenkt. Vier Mal bearbeitet Alexandra Scheil die Hufe der Stute. Sie kratzt und schabt, raspelt und meißelt. Am Ende hat das Pferd wieder schön geformte Hufe, ganz ohne Eisen. »Ich geh ja auch nicht auf Stöckelschuhen«, hat die Besitzerin Martine Rauser spontan auf die Frage geantwortet, weshalb ihre Lotte ohne Hufeisen durch die Welt läuft. »Barhuf« heißt das beim Pferd, so wie »barfuß« beim Mensch.
Hufpflegerin Scheil arbeitet aus Überzeugung. Pferde seien mit Hufeisen auf Dauer nicht gut bedient, sagt die Biologin. Deshalb greift sie nicht zum Metall. »Ich beschlage nicht. Bei mir gibt es keine Eisen.« Das starre Material dämpfe im Gegensatz zum natürlichen Huf keine Stöße. Mit Folgen für die Gesundheit des gesamten Pferdes. 2014 hat sie sich berufsbegleitend am Lehrinstitut Zanger zur Hufpflegerin ausbilden lassen. Ein Jahr hat das gedauert. »Man kann es dummerweise auch in einer Wochenendausbildung machen«, sagt die Kirchentellinsfurterin. Denn die Bezeichnung »Hufpfleger« ist nicht geschützt.
»Ich geh’ ja auch nicht auf Stöckelschuhen«
Pferde haben schon immer zu ihrem Leben gehört. Beruflich hat sie allerdings zuerst einen anderen Weg eingeschlagen. Nach ihrem Biologiestudium promovierte sie in Tübingen und arbeitete anschließend an der Uni. »Immer auf halben Stellen«, erzählt sie, so wie es im Wissenschaftsbetrieb oft üblich sei. Aufgrund der schlechten Bedingungen für junge Wissenschaftler hat sie aufs Pferd umgesattelt. Schließlich habe sie sich schon an der Hochschule immer wieder mit der Anatomie und Physiologie von Huftieren beschäftigt.
Den Schritt weg von der Uni in die Pferdeställe und Koppeln hat Scheil nie bereut. »Die Wirksamkeit meines Tuns erlebe ich hier viel mehr«, erzählt die Biologin. Im besten Fall habe man wirklich etwas für ein Lebewesen verbessert. Der Pferdehuf ist ein Wunderwerk der Natur. Das wird einem schnell klar, wenn man sich mit der Hufpflegerin unterhält. Es sei ein Zeigeorgan fürs Pferd. Hat es schlecht gefressen, könne man das sogar manchmal dort riechen. »Jedes Pferd ist nur so gut, wie sein schlechtester Huf.«
Für Rauser und Lisbeth Brück ist es ein Glück, dass die Biologin umgeschwenkt ist. Sie haben ihre zwei Pferde in Oberndorf auf einer Weide stehen. Es sei mittlerweile schwierig geworden, Hufschmiede zu bekommen, erzählt Rauser. Erst recht, wenn nur zwei Pferde im Stall stehen. Und dann muss es schließlich auch noch passen. Es gibt unterschiedliche Philosophien und Behandlungsmethoden. »Es ist eine Vertrauenssache. Ähnlich wie beim Arzt«, sagt Rauser.
Scheil nimmt das ganze Pferd in den Blick. Deshalb muss Lotte vor und nach der Behandlung vor Augen der Hufpflegerin auf und ab laufen. Auch eine Abmagerungskur hat sie der Stute verpasst. Als Rauser das Pferd übernommen hatte, war es viel zu dick. Jetzt muss es sein Futter aus offenen Bällen herausfischen. So ist Lotte wesentlich länger mit dem Fressen beschäftigt – ein Tipp von der Hufpflegerin. Er hat gewirkt. Lotte hat deutlich abgenommen.
Während Scheil erzählt, arbeitet sie ruhig und konzentriert weiter. Lotte und Curley, die beiden Pferde im Oberndorfer Stall, machen es ihr leicht. Das sei nicht immer so, erzählt die junge Frau. Manche Tiere reagieren deutlich nervöser, wenn die Hufpflegerin mit ihren Werkzeugen kommt. Trotzdem bleibt es ein kleiner Kraftakt. Das Horn muss abgeraspelt, abgemeißelt oder mit der Zange abgezwickt werden, richtiges Handwerk eben. »Es geht wahnsinnig in die Beine«, sagt die Biologin. Besonders anstrengend wird es an heißen Sommertagen. Dann ist auch das Horn der Hufe härter.
Lotte und Curley sind mittlerweile versorgt. Ihre Hufe sind frisch gepflegt. Alle fünf bis sechs Wochen kommt Scheil in den Stall. Das ist auch nötig. Unterbleibt die Pflege, dann wächst das Horn ungebremst weiter. Irgendwann kann das Pferd nicht mehr laufen. Spätestens dann ist ein tierschutzrelevanter Fall daraus geworden. Bei Wildpferden ist solche Pflege nicht nötig. 15 Kilometer täglich legen sie in freier Wildbahn zurück. Ihr ganzer Körperbau ist darauf ausgerichtet, von der Verdauung bis zum Huf.
Die Technik, das Pferd mit Eisen zu beschlagen, stammt übrigens aus dem Mittelalter. Als man anfing Pferde in den Städten zu halten, standen die Tiere nicht mehr auf weichem Untergrund. Zudem wurde die Haltung auf engem Raum gebräuchlich. Die Tiere waren in Boxen untergebracht und hatten weniger Bewegung.
Zum Schutz der Hufe hat man wohl genommen, was damals greifbar war – Eisen, überlegt Scheil. Sie setzt da auf wesentlich weicheres Material: Hufschuhe aus Kunststoff sollen vor mechanischen Belastungen wie beispielsweise Steine schützen. Die beiden Oberndorfer Pferde tragen sie schon. An diesem Morgen werden sie gut angepasst.
Die Arbeit ist geschafft. Jetzt geht es weiter. Maximal sechs Pferde versorgt die Hufpflegerin täglich. Ihr Kundenkreis reicht von Bad Sebastiansweiler bis Oberndorf und Stuttgart. Für Scheil ist es der schönste Beruf der Welt. Sollte sie einmal schlecht gelaunt zur Arbeit fahren, dann habe sich das fünf Minuten später am Pferd von selbst erledigt. (GEA)