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Riesen-Fisch breitet sich im K'furter Baggersee aus

Der größte Süßwasserfisch Europas breitet sich im Baggersee in Kirchentellinsfurt aus. Einmal im Jahr machen die Fischer Jagd auf die Welse. Das erfordert Kraft, Geschick und Geduld.

Foto: Kletr/Adobe Stock
Foto: Kletr/Adobe Stock

KIRCHENTELLINSFURT. Abends, wenn dicke Wolken über dem Kirchentellinsfurter Baggersee hängen und immer wieder Regen fällt, ist es dort sehr leise. Mal abgesehen vom beständigen Grundrauschen des Autoverkehrs im Hintergrund. Ein Reiher steht reglos auf ein paar Holzbalken im See. Ab und an springt kurz etwas aus dem Wasser, um mit einem leisen Platschen gleich wieder zu verschwinden. »Nach dem Regen springen die Karpfen«, sagt Roland Koch nach einem kurzen Blick auf den See. Aber um diesen Fisch geht es an diesem Wochenende nicht. Die Angler sind hinter dem Wels her. Der größte Süßwasserfisch Europas breitet sich im Baggersee aus.

Die Truppe des Reutlinger Fischereivereins, die sich am Pfingstwochenende zum Welsfischen getroffen hat: Kamil Grochowski, Dusti
Die Truppe des Reutlinger Fischereivereins, die sich am Pfingstwochenende zum Welsfischen getroffen hat: Kamil Grochowski, Dustin Vhnidestine, Roland Koch, Christian Becker und Arndt Jordan (von links). FOTOS: WALDERICH
Die Truppe des Reutlinger Fischereivereins, die sich am Pfingstwochenende zum Welsfischen getroffen hat: Kamil Grochowski, Dustin Vhnidestine, Roland Koch, Christian Becker und Arndt Jordan (von links). FOTOS: WALDERICH

Er ist ein Profiteur des Klimawandels, erklärt Christian Becker, Vorsitzender des Fischereivereins Reutlingen. Natürliche Fressfeinde hat der Fisch nicht. Dafür ist er selbst der Feind vieler Seebewohner. Mit seinen langen Barteln am Kopf erkundet er sein Umfeld nach Beute. »Welse angeln nicht auf Sicht, sondern auf Geruch und Gehör«, erklärt Becker. Sie ernähren sich nicht nur von Fischen, sondern von Wasservögeln. Jedes Weibchen kann 20.000 bis 25.000 Eier austragen. Wenn nur ein Bruchteil sich davon entwickeln, ist der Nachwuchs groß.

Angeln mit schwerem Gerät

Eine ganze Welsstraße haben die Fischer im vergangenen Jahr im See bemerkt. Zeit also, die Population zu dezimieren. Das ist allerdings gar nicht so einfach. Wer Fische fangen will, die bis zu hundert Kilogramm schwer werden können, braucht entsprechendes Gerät. 3,30 Meter lang ist die Angelrute von Roland Koch. Und sie ist so stabil, dass kein Wels sie abbrechen kann. Am Ufer sind zwei Metallstangen fest im Boden verankert. Sie werden anschließend die Ruten halten. Direkt dahinter hat Koch sein Zelt aufgeschlagen. Auch Dustin Vhnidestine, dessen Zelt ein Stück weiter am Ufer steht, bleibt über die Nacht am See. Der Wels ist nachtaktiv. Die Chancen, ihn zu fangen, sind im Dunkeln am größten.

Nächte des Wartens an einem Gewässer gehört zum Anglerleben dazu. Fünf Fischer haben sich an diesem Abend am Baggersee eingefunden. Eine eingeschworene Gemeinschaft. In einer kleinen Grillstelle brennt ein Lagerfeuer, davor zwei Bierbänke und ein Tisch. Vhnidestine ist über Freunde zum Fischereiverein gekommen. 2018 trat er ein. Mittlerweile ist er im Vorstand. Am Angeln schätzt er die Gemeinschaft und das Draußen sein. Das klassische Bild vom einsamen Angler, der schweigend in den See blickt, trifft auf ihn nicht zu. Er ist gerne in Gemeinschaft während die Angelschnur im Wasser liegt.

Pflastersteine an Reißleinen

Bis dahin muss noch einiges vorbereitet werden. Die Angler befestigen Pflastersteine an die Reißleinen. Bei schwergewichtigen Fischen werden schwere Gewichte benötigt. Die Leinen können dann aber nicht mehr ausgeworfen werden. Zusammen mit Arndt Jordan sticht Koch deshalb mit dem Boot in den See. Sie bringen die Schnüre an den Stellen aus, wo sie Welse vermuten. An den kleinen, kräftigen Angelhaken hängt ein ganzes Bündel Regenwürmer.

Die Angel für einen großen Fisch muss einiges aushalten. Christian Becker testet schon mal.
Die Angel für einen großen Fisch muss einiges aushalten. Christian Becker testet schon mal. Foto: Irmgard Walderich
Die Angel für einen großen Fisch muss einiges aushalten. Christian Becker testet schon mal.
Foto: Irmgard Walderich

Im Fischereiverein ist Koch einer von denen, die auf fast alle Fragen eine Antwort wissen. Kein Wunder, Koch hat schon als Dreijähriger seine erste Angelrute ins Wasser gehalten. Auf Welsfang war er schon oft. »Wenn ich kein Ufer sehe, fühle ich mich nicht wohl«, sagt er. Heute sieht er ein Ufer. Die Angeln sind fertig präpariert. Jetzt heißt es Geduld haben. Roland Koch liebt die Ruhe beim Angeln. Er blickt auf den See. »Manchmal schwimmen Ringelnattern vorbei«, erzählt er. Gerade kommt ein Schwanenpaar mit seinen fünf Küken. Die hat der Wels noch nicht geholt. Morgens erwacht der See mit Vogelgezwitscher.

Rechts ist der kleine stabile Haken für den Wels. Ein ganzes Bündel Würmer sind der Köder.
Rechts ist der kleine stabile Haken für den Wels. Foto: Irmgard Walderich
Rechts ist der kleine stabile Haken für den Wels.
Foto: Irmgard Walderich

»Ich bin einfach ein Naturmensch«, sagt Koch. Viele Nächte im Jahr verbringe er am See. Sollte er heute Nacht einschlafen und ein Wels beißt an, dann wird er geweckt von Bissanzeigern – kleine elektronische Geräte, die einen Weckton von sich geben, wenn ein Fisch angebissen hat. Koch greift aber auch noch zu seiner altbewährten Methode Narrenglocken. »Die hört man bei Nacht.« Die Dämmerung bricht herein. Bisher piepst noch nichts.

Fischen ist Männersache

Das Fischen ist immer noch vor allem eine Männerangelegenheit. Auch beim Fischereiverein Reutlingen. Die Frauen sind deutlich in der Minderheit. Warum? »Überlegen Sie mal, wie Sie selbst reagiert haben, als Sie die Würmer an der Angel gesehen haben«, erinnert Becker die GEA-Redakteurin an ihren Ekel vor den sich kringelnden Würmern am Haken.

Ein ganzes Bündel Würmer sind der Köder. Foto: Irmgard Walderich
Ein ganzes Bündel Würmer sind der Köder.
Foto: Irmgard Walderich

Der Baggersee liegt ruhig in der Dämmerung. Nur wenig Bewegung ist zu erkennen. Dabei ist er sehr belebt. Unter der Oberfläche schwimmen Rotwangen, Rotfedern, Hechte, Karpfen, Flussbarsche und Zander. Der Verein versucht seit einigen Jahren eine vielfältige Fischpopulation heranzuziehen. »Am besten wäre ein See, der sich selbst reproduziert«, sagt Becker. Aber das ist hier nicht möglich. Der Baggersee ist kein natürliches Gewässer. Er gleiche einer Badewanne, erklärt der Vorsitzende. Dem Boden fehlt es an Struktur. Bis zu fünf bis sechs Meter ist er an der tiefsten Stelle. Im Sommer wird er zu warm. Dann fehlt es an Sauerstoff. Den Wels stört das nicht. Ihm geht es zu gut im See. Auch einige Aquarienlebewesen haben die Fischer in Kirchentellinsfurt schon gefunden: Ein Piranha ist einem jungen Angler ins Netz gegangen. Schnapp- und Rotwangenschildkröten wurden gesehen, Kois und Sonnenbarsche – Tiere, die ihre Besitzer nicht mehr wollten und am Baggersee aussetzten.

Mit viel Kraft und Geschick

An den Angeln ist es immer noch ruhig. Ob sich am Ende ein anderer Fisch die Regenwürmer holt, lässt sich nicht voraussehen. »Wir fischen da im Trüben«, sagt Vhnidestine. Und jetzt weiß man auch, wie dieser Spruch zustande kommt. Kaum vorstellbar für den Laien ist es, wie man einen kapitalen Fisch mit fast hundert Kilogramm Körpergewicht mit einer Rute aus dem Wasser bringt. Mit viel Kraft und Geschick jedenfalls. Ist der Fisch draußen, wird er mit einem Schlag auf den Kopf betäubt. Getötet wird ein Wels mit einem Messerstich ins Herz. Schnell muss das gehen, schließlich darf das Tier nicht unnötig leiden. Angler lernen das, wenn sie den Anglerschein machen.

Mit dem Boot geht es zur passenden Angelstelle. Foto: Irmgard Walderich
Mit dem Boot geht es zur passenden Angelstelle.
Foto: Irmgard Walderich

Über 500 Mitglieder hat der Verein, davon 400 aktive, erzählt Becker. Auch junge Angler sind dabei. Allen gemeinsam ist, dass sie viel Wert darauf legen, die Gewässer sauber zu halten. Allein aus der nahe gelegenen Echaz haben sie schon tonnenweise Müll geholt. Einen neuen Trend gibt es auch, erzählt Becker. »Das aktive Angeln ist gerade ein Trend.« Dabei läuft man das gesamte Gewässer ab. An diesem Wochenende beim Welsfangen ist allerdings immer noch das klassische Ansitzen angesagt. »Man hat die Rute und wartet, ob was passiert.«

Das Ergebnis von langem Warten am Kirchentellinsfurter Baggersee: Ein Wels ging an die Angel. Vier Exemplare wurden am Pfingstwochenende gefangen. Foto: Christian Becker
Das Ergebnis von langem Warten am Kirchentellinsfurter Baggersee: Ein Wels ging an die Angel. Vier Exemplare wurden am Pfingstwochenende gefangen.
Foto: Christian Becker

Das Ergebnis des Wochenendes: Vier Welse bissen an. Die großen Exemplare blieben allerdings aus: Der größte Fisch hatte 1,36 Meter und wog 17 Kilogramm, der kleinste war etwas über einen Meter mit 10 Kilogramm. (GEA)