TÜBINGEN. In Schockstarre verfielen die Mitglieder des Verwaltungsausschusses des Tübinger Gemeinderates nicht, als Oberbürgermeister Boris Palmer verkündete, was hinter der kurzfristig auf die Tagesordnung gekommenen »Beanstatung der Haushaltssatzung durch das Regierungspräsidium« steckte: nämlich die Ablehnung des Haushaltsentwurfs als gesetzeswidrig. Zu groß ist das Defizit, das durch die neuen Prognosen zu den Steuereinnahmen weiter vergrößert wurde. Um weitere zwölf Millionen Euro müssen die Planungen verbessert werden, schrieb das Regierungspräsidium als Aufsichtsbehörde der Stadt. Von einem »historischen Einschnitt« sprach dann auch OB Palmer - schließlich habe man im Rahmen der Konsolidierung zuletzt bereits Einsparungen in Höhe von 12,5 Millionen Euro verabschiedet. Nun muss nochmal fast dieselbe Summe aufgetrieben oder eingespart werden.
In Tübingen nach Schuldigen zu suchen, sei aber fehl am Platz, betonte Palmer. Der OB verwies auf die grundlegenden Finanzierungsprobleme der Kommunen, die bundesweit mit immer höheren Defiziten zu kämpfen hätten. »Eine so massive wirtschaftliche Schieflage gab es seit Jahrzehnten nicht mehr«, sagte Palmer und mahnte: »Wenn die Politik dieses Problem nicht in den Griff kriegt, bekommen wir existenzielle Probleme für die Demokratie an der Basis.« Der OB warnte zugleich vor Populismus: »Wir haben ein Defizit von 37 Millionen Euro. Ohne die Radbrücke wären wir bei 36,7 Millionen. Und die Heizungen kosten uns 10.000 Euro jährlich - da muss man schon auch die Dimensionen in Betracht ziehen.«
»Wir haben mit der Konsolidierung das Mögliche getan. Aber es hat nicht gereicht«
Wie geht es nun weiter? Fakt ist, die Stadt muss den Haushalt nachbessern, um ihre Handlungsfähigkeit zu bewahren. Ab sofort würden alle Ausgaben in der Verwaltung täglich auf den Prüfstand gestellt, kündigte der OB an. Dazu gilt bereits eine Sperre für Stellenbesetzungen - mit Ausnahmen für die Kinderbetreuung. »Für die Verwaltung bedeutet dies eine Zusatzbelastung, die wir aber leisten müssen«, sagte Palmer. Zugleich soll bis zur Jahresmitte mit dem Gemeinderat nochmals geplant werden, welche Investitionen und Ausgaben gekürzt werden können. Bis zur Jahresmitte, denn: Sollten rückwirkend zum Jahresbeginn Steuererhöhungen umgesetzt werden, muss dies vor dem 30. Juni geschehen. Für den 26. Juni ist daher bereits eine Sondersitzung des Gemeinderates terminiert.
Steuererhöhungen - dieses Stichwort sties im Gemeinderat sogleich auf Gegenwind. »Wir müssen uns auf der Ausgabenseite ehrlich machen, erst dann muss es an die Einnahmenseite gehen«, forderte etwa Uli Weimer (SPD). Der Oberbürgermeister entgegnete, dies habe man bereits mit der ersten Konsolidierungsrunde getan. »Wir haben bereits Kürzungen beschlossen. Aber keine, oder nur marginale, Steuer- und Gebührenerhöhungen.« Palmer wehrte sich auch gegen den Vorwurf von Ulf Siebert (Tübinger Liste), man habe den Einbruch der Gewerbesteuereinnahmen nicht in den Haushaltsplan eingerechnet, obwohl dieser absehbar gewesen sei.
»Das ärgert mich extrem«, kommentierte Siebert. Palmer verwies erneut auf die bereits beschlossenen Kürzungen: »Mehr in der Stadtgesellschaft durchzubringen, wäre undenkbar gewesen.« Auch sei die Dimension des Steuereinbruchs nicht absehbar gewesen. Palmer bilanzierte: »Wir haben mit der Konsolidierung das Mögliche getan. Aber es hat nicht gereicht.«
»Wir müssen uns auf der Ausgabenseite ehrlich machen, erst dann muss es an die Einnahmenseite gehen«
Wenn die Stadt nun nicht durch »harte Brüche schrittweise stillgelegt« werden solle, seien »Steuererhöhungen der bessere Weg«, warb der OB. »Sie werden sich schwer tun, andere Alternativen zu finden.« Insbesondere die Grundsteuer sei immerhin »die einzig verbleibende Vermögenssteuer«, die zudem keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben hätte. Und doch sprach sich Palmer auch für eine Gewerbesteuererhöhung aus. Beide Realsteuern würden wohl mehr Einnahmen bringen müssen, will die Stadt einen genehmigungsfähigen Haushalt erreichen. Zudem hofft die Stadtverwaltung auf die nächste Steuerschätzung im Mai - fiele diese positiver aus, würde auch das Defizit der Stadt schrumpfen. »Nun lassen sie die Nachricht sacken und sprechen sie mit der Bevölkerung«, gab Palmer den Gemeinderäten mit auf den Weg. Und warb erneut für Steuererhöhungen: »Die meisten werden in den sauren Apfel beißen: lieber die Steuern erhöhen, als die sozial-kulturelle Infrastruktur der Stadt zu zerstören.« (GEA)