TÜBINGEN. »Was ist los mit Boris Palmer? Warum ist er so?« Diese zwei Fragen, die wohl den meisten Tübingern von Bekannten und Verwandten außerhalb des Landkreises bekannt vorkommen, wollen Sandra Kolnik und Alexandra Müller in ihrem SWR-Podcast »Stunk - Palmer bringt die Welt in Ordnung« beantworten. Zwei Jahre begleiteten die Autorinnen den Tübinger Oberbürgermeister und beleuchten in fünf Folgen dessen politische Karriere mit all ihren Höhen und Tiefen. Dabei geht es nicht nur um den Protagonisten selbst, »sondern um Geschichten wie Protestkultur, die man an seiner Person erzählen kann«, sagt Müller beim Prelistening des Podcasts in der Bar »Lichtenstein« am Mittwochabend am Tübinger Marktplatz.

Rund 25 geladene Gäste, darunter der ehemalige Grünen-Fraktionschef und Freund des Tübinger OB, Rezzo Schlauch, bekommen dort erste Audioschnipsel und die Einschätzungen der Autorinnen zu hören. Der eigentliche Hauptakteur des Abends ist aber nur als Pappfigur auffindbar – Palmer lässt sich mit einer Grippe entschuldigen, teilt die Moderatorin der Veranstaltung, Karin Senz, mit.
»Mein Hauptantrieb ist, die Welt aus dem Tübinger Rathaus zu retten«
Seine Stimme bekommen die Anwesenden aber reichlich zu hören. O-Töne wie »Mein Hauptantrieb ist, die Welt aus dem Tübinger Rathaus zu retten, aber das müssen auch ein paar mitkriegen« sorgen für vielfältige Resonanz an den Tischen: zustimmendes Nicken, lautes Lachen oder entsetztes Kopfschütteln – einzelne Gäste durchlaufen alle drei dieser Reaktionen auf einmal. »Wer sich mit Boris Palmer beschäftigt, fährt Achterbahn«, sagen Kolnik und Müller gleich zu Beginn der ersten Folge von »Stunk«. Das soll auch der Titel des Podcasts ausdrücken. Das »Provozierende und Rauskitzelnde«, die Ambivalenz zwischen Erfolgen und Schwierigkeiten. Der Untertitel »Palmer bringt die Welt in Ordnung« spielt auf den dritten Teil der filmischen Adaption von Astrid Lindgrens Romanen über »Michel aus Lönneberga« an – Palmer der »Lausbub«.
Kolnik und Müller lassen Erfolge wie die Verpackungssteuer, Skandale wie den »Judenstern«-Eklat in Frankfurt oder die zahlreichen Facebook-Beiträge Revue passieren und fangen dazu Kommentare des Oberbürgermeisters bei einem Spaziergang durch Tübingen ein. Dabei lässt Palmer auch den »Sheriff« raushängen: Im Alten Botanischen Garten entdeckt er während des Interviews einen Mann, der sich hinter einem Busch erleichtert, und weist ihn mit »Gehen Sie bitte nächstes Mal zur Toilette, ja? Nicht in die Büsche«, zurecht.
»Wer sich mit Boris Palmer beschäftigt, fährt Achterbahn«
»Er kann es einfach nicht lassen«, sagt sein langjähriger Wegbegleiter Rezzo Schlauch in die Runde im Lichtenstein. Den Tübinger OB hätte er mehrfach gebeten, weniger in den Sozialen Medien zu teilen – erfolglos. »Boris Palmer beraten, ist wie gegen eine Wand zu sprechen«, erzählt Schlauch lachend. Dabei kommen dem ehemaligen Politiker auch Erinnerungen an Helmut Palmer, Vater des Oberbürgermeisters, hoch. Ihn hatte Schlauch bei den zahlreichen Gerichtsterminen als Anwalt vertreten und erinnert sich zurück, wie er den »Remstal-Rebell« immer wieder darum bitten musste, im Gerichtssaal »die Gosch zu halten«. Das Ergebnis? Dasselbe wie bei den Bemühungen um die Facebook-Posts seines Sohnes.
Bei der Aufarbeitung der Geschichte seines Vaters in der zweiten Folge, »Pipi im Park«, spricht Sohn Boris reflektiert über das teils schwierige Verhältnis zu seinem Vater und dessen »Suchtverhalten, ständig seine politischen Überzeugungen für viel Geld in die Welt zu bringen« und erinnert sich an die gemeinsame Arbeit am früheren Tübinger Montagsmarkt in jungen Jahren.
»Er ist viel zu komplex, um sagen zu können, wie er wirklich ist«
»Wir hatten unglaublich viel Material. Es ist uns so schwer gefallen, das Ganze auf fünf Stunden zu kürzen«, erzählen die Autorinnen. Immer wieder kommen politische Gefährten wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu Palmers Widerstand beim Projekt »Stuttgart 21« zu Wort. Familienmitglieder wie Bruder Patrick erzählen Geschichten, wie der 18-jährige Boris den ökologischen Fußabdruck für die Fahrt zu einem Herbert Grönemeyer-Konzert ausrechnete. Aber auch Menschen aus Gambia, die in Tübingen leben, teilen im Podcast ihr Bedauern über Palmers Aussagen, in denen er sie mit dem Drogenhandel im Bota in Verbindung bringt: »Wegen ihm sehen viele Leute Gambier als schlechte Leute, und das tut uns sehr weh«, sagt ein Mann im Podcast-Interview.
Im Lichtenstein äußern auf Nachfrage der Moderatorin Karin Senz nur wenige ihre Meinung zum Chef vom Rathaus nebenan. Für seinen Einsatz für die Gastronomie in der Stadt während der Corona-Pandemie bekommt er lobende Worte und Applaus. Laute kritische Stimmen gibt es keine.
Und was ist die Meinung der Podcast-Autorinnen zum Tübinger Oberbürgermeister? »Ich habe bei Themen wie seinem Einsatz für den Klimaschutz viel Respekt vor ihm gewonnen«, sagt Alexandra Müller, »und dann liest man wieder was und fragt sich: Warum hat er das denn jetzt wieder gesagt?« Auch Sandra Kolnik empfindet die Persönlichkeit Palmers als »viel zu komplex, um sagen zu können, wie er wirklich ist«. Ziel des Duos war es vielmehr, den Zuhörern so viel zu liefern, »dass sie sich eine eigene Meinung bilden können«. Wer daran Interesse hat, kann ab heute alle Folgen »Stunk - Palmer bringt die Welt in Ordnung« in der ARD Audiothek anhören. (GEA)