Im gemeinsamen Sommerurlaub - erst Radeln in den Alpen, dann Ausspannen am Atlantik in der Nähe von Bordeaux - haben die beiden beschlossen, eine Familie zu gründen. »Das hat sofort geklappt«, sagt der werdende Vater. Im Mai soll das Kind kommen, und die Eltern mussten sich überlegen, wie sie das mit der Betreuung arrangieren wollen.
Ziemlich einmalig
In nicht öffentlicher Sitzung hat der Rathaus-Chef den Gemeinderäten vor wenigen Tagen angekündigt, dass er im Herbst Pause macht, auch die Mitarbeiter der Stadtverwaltung wissen Bescheid. Im Juni und Juli, so die Verabredung, geht die Mutter in Elternzeit, im August macht die kleine Familie Urlaub, im September und Oktober verzichtet Palmer auf sein OB-Gehalt, bekommt dafür den gesetzlichen Höchstbetrag von 1 800 Euro monatlich und passt in Vollzeit auf den Nachwuchs auf. Danach wollen die Eltern die Kinder-Krippe im Europarat in Anspruch nehmen und wie zuvor weiter voll berufstätig sein. Allerdings, sagt der OB, werde er als Vater nicht mehr wie bisher »allzeit verfügbar« sein und wirklich jeden Termin selber wahrnehmen.Palmer stellt klar: »Es gibt einen Rechtsanspruch auf Elternzeit.« Wer den Antrag formal genehmigen muss - Regierungspräsidium oder Gemeinderat - konnte bisher noch niemand sagen: Dafür ist der Fall zu einmalig. Vertreter für die Dauer seiner Abwesenheit im Tübinger Rathaus ist Finanz-Bürgermeister Michael Lucke.
Das junge Paar weiß, dass Spitzenkräfte in der Regel glauben, unentbehrlich zu sein. Doch beide sind anderer Ansicht und lassen durchblicken: Man kann nicht politisch für die Elternzeit eintreten und dann kneifen, wenn es akut wird. Palmer ist überzeugt: »Ein guter OB kann auch zwei Monate weg sein. Nur ein Schlechter muss jeden Tag hinterherkehren.«
Im Grunde schaffe die zweimonatige Auszeit auch keine andere Situation als eine längere Erkrankung eines Amts-Inhabers, betont der 37-Jährige. Außerdem, findet Brantner, gebe es ja inzwischen einige positive Beispiele von Firmenchefs, die ebenfalls eine Familienpause eingelegt haben.
»Wie willst du das schaffen?«
Die Reaktionen auf die Neuigkeit sind sehr unterschiedlich, hat Brantner beobachtet. »Die Deutschen fragen meist, 'wie willst du das schaffen?' In anderen Ländern ist das viel akzeptierter.« Vor allem die französischen Kolleginnen finden offenbar, dass das Vorhaben der beiden Grünen-Politiker gar nichts Besonderes ist. Palmer sagt: »Wir werden eine Familie sein, die gar nicht funktioniert.« Wie er das sagt, macht klar, wie sehr er sich darauf freut, das Gegenteil zu beweisen.Natürlich wissen die beiden, dass neugierige Zeitgenossen noch ganz andere Dinge erfahren wollen. Ob eine Hochzeit geplant ist? Nicht ausgeschlossen, aber vor der Geburt sei auf jeden Fall keine Heirat mehr geplant. Ob die beiden künftigen Eltern stets auf einer Wellenlänge funken? Was Palmers knallblauen Anzug betrifft, den er oft zur Werbung für die »Tübingen macht blau«-Kampagne trägt, jedenfalls nicht. »Wenn sie ihn beim Umzug entdeckt hätte, hätte sie ihn bestimmt verschwinden lassen«, vermutet der OB, der ihn deswegen vorausschauend im Rathaus deponiert hat. (GEA)
Franziska Brandner,30,Grüne Europa Abgeordnete »Bis jetzt bin ich in Freiburg gemeldet, aber die meiste Zeit bin ich in Brüssel.« Als Europa-Abgeordnete pendelt die 30-Jährige zwischen ihren Büros in Ludwigshafen und Freiburg und den europäischen Institutionen in Brüssel und Straßburg. Nun kommt Tübingen als fester Bezugspunkt dazu.
Franziska Brantners Lebensweg hat viele Stationen. Aufgewachsen ist sie in Neuenburg. Jahrelang stand sie als Gymnasiastin morgens um 5 Uhr auf und nahm den Bus nach Freiburg. Studiert hat sie Politikwissenschaften in Paris und an der Columbia University (New York). Im Februar will sie in Mannheim ihren Doktor-Prüfung ablegen. Weitere Auslands-Aufenthalte führten sie nach Oxford, Washington und Tel Aviv. Gearbeitet hat sie für die UN und die Bertelsmann-Stiftung. Brantner ist Mitglied im auswärtigen Ausschuss und im Haushalts-Ausschuss des EU-Parlaments. (-jk)