OFTERDINGEN. »Man muss das Buch nur aufschlagen, schon findet man Einträge, die einem heute fast surreal erscheinen. Doch für damals haben sie gepasst.« Der Förster im Ruhestand Werner Gimmel hat sich intensiv mit dem Dienstbuch Adolf Mayers befasst, das dieser während seiner Amtszeit als Feldschütz von 1927 bis Ende 1955 geführt hat.
»Ofterdinger Bürger wegen schadenlaufendem Geflügel auf Weizenacker im Gewann Hauserbach zur Anzeige gebracht«, notierte Mayer am 15. August 1955 im Buch. »Aus heutiger Sicht ist das kaum verständlich, weil die Felder zu diesem Zeitpunkt ja schon abgeerntet waren«, so Gimmel. »Die Tiere können also höchstens die liegengebliebenen Ähren gefressen haben.«

Der Feldschütz hatte eine wichtige Funktion in den Gemeinden. Er schützte die Äcker und Bäume der landwirtschaftlichen Bevölkerung vor Raub und unberechtigter Nutzung. »Die Leute waren von den Erträgen ihrer Felder abhängig, sie konnten ja nur das ernten, was sie dort angebaut hatten, deshalb wurde das Eigentum mit allen Mitteln geschützt«, macht Gimmel deutlich.
»Es gab eine Verwarnung vom Schultes, das war schlimm und schon Strafe genug«
Auf Ofterdinger Gemarkung verfolgte Feldschütz Mayer Zuwiderhandlungen genau und rigoros. Dazu zählte das Fahren über fremde Wiesen mit dem Kuhgespann, Verstoß gegen die Taubensperre während der Saat- und Erntezeit oder das Laufen über einen Kleeacker, der dabei beschädigt wurde, Mayer war allgegenwärtig und die Sanktion folgte auf dem Fuß. »Es gab eine Verwarnung vom Schultes, das war schlimm und schon Strafe genug.«
Jedem Vorgang widmete Mayer eine Seite und hielt in akribischer Schrift fest, wen er erwischt hatte. Erst nannte er oben auf der Seite den Namen des »Sünders«, dann den Verstoß und zum Schluss folgte die Notiz, er habe die Sache zur Anzeige an den Bürgermeister gebracht. »Ich glaube, ein Feldschützenbuch in dieser Form gibt es kaum noch«, so Gimmel. »Für mich ist es eine historische Fundgrube und eine Botschaft aus einer Zeit, in der es noch andere Wertvorstellungen gab. Der Schutz war schlicht lebenswichtig für die Bevölkerung«, betont er. »Die Aufzeichnungen berühren mich und führen mich auch in meine Jugendzeit zurück«, sagt Gimmel, der sich schon immer für Geschichte interessiert hat.
»Die Anzeige eines Frevels war alles andere als Schikane. Der Schutz war lebenswichtig«
Im Ortsarchiv, das er von Gerhard Kittelberger übernommen hat und ehrenamtlich betreut, lagert auch das Feldschützenbuch. Er hat es mehrfach durchgearbeitet. Das brachte ihm auch die Person Adolf Mayer wieder näher. "Ich kannte ihn ja noch persönlich. Für uns war er immer eine Respektsperson, mit stechendem Blick und immer mit Ledergamaschen unterwegs.
Lange wurde er bei seinen Runden über die Ofterdinger Markung von seinem schwarzen Hund "Mohrle" begleitet." Der Name des Hundes wurde dann auf Mayer als Spitzname übertragen. "Unter uns Kindern war der Feldschütz nur bekannt als ›Mohrle‹, kaum jemand wusste seinen richtigen Namen." Er sei praktisch immer unterwegs gewesen, nahezu omnipräsent, so der gebürtige Ofterdinger Gimmel. Und er ahnte, auf was es die Kinder abgesehen hatten.
»Wir haben damals gewusst, wo im Herbst auf den Obstwiesen die ersten Äpfel reif wurden. Wenn wir neugierig danach sahen, war er meistens schon da«, erzählt Werner Gimmel. »Wir nahmen dann die Beine in die Hand und rannten, was das Zeug hielt, denn auch er war schnell auf den Beinen«, erinnert sich der 78-Jährige. Das sei fast wie ein Spiel gewesen. Rief einer, »dr Mohrle kommt«, sei man schon losgerannt, um bloß nicht erwischt zu werden. »Wenn er dann doch einen von uns erwischte, kam es ganz drauf an, was man getan hatte.«
Der offizielle Titel des Feldschützenbuches lautet »Ofterdingen Oberamt Rottenburg, Dienstbuch für die Feldschützenstelle«, handschriftlich wurde darunter ergänzt: »1927–1955«. Eine seiner Markungswanderungen, die Gimmel vom langjährigen ehemaligen Revierförster Gerhard Bliestle übernommen hat, führte zum Ofterdinger Schützenhäusle, das inzwischen wegen seines schlechten Zustands abgerissen wurde (der GEA berichtete).
»Schäfer von auswärts begleitete er, damit die auswärtigen Schafe hier nichts fraßen«
»Das Gebäude bestand aus einem geschlossenen, heizbaren Teil für den Feldschützen«, weiß er. Im offenen Teil fanden Leute Schutz vor Unwetter oder einen kurzzeitigen Ruheplatz.
Mundraub und Diebstahl waren keine Kavaliersdelikte. »Die Einträge in diesem Feldschützenbuch geben eine Vorstellung von den Problemen und Alltagssorgen unserer Vorfahren in einer Zeit, in der Feldfrüchte wie Kartoffeln und Getreide oder Obst nicht so leicht verfügbar waren wie heute«, so Gimmel. Was im Ort wuchs, sollte für die Dorfbewohner und ihre Tiere im Ort bleiben.
Das bekam auch ein Schäfer von der Alb zu spüren, der mit seinen Tieren auf dem Durchzug war: »Unbefugtes Weiden seiner 230 Schafe« notierte Mayer am 18. April 1932 in sein Dienstbuch. »Man muss sich nur das Datum genau anschauen, dann weiß man, dass es auf der Alb noch kein Gras gab. In Ofterdingen wird es aber schon leicht grün gewesen sein«, so Gimmel. »Wenn der Feldschütz einen Schäfer von auswärts sah, begleitete er ihn durch die gesamte Markung, bloß dass die auswärtigen Schafe hier nichts fraßen.« (GEA)


