TÜBINGEN. Ein zentraler Campus mit den wesentlichen Gebäuden drumherum? Bei vielen bedeutenden Unis ist das realisiert. In Tübingen nicht. Die Unispitze beklagt schon lange eine rekordverdächtige »Zerhäuselung«. Die Institute sind in 180 Gebäuden über die ganze Stadt verteilt. Ein großer Komplex befindet sich mit den Naturwissenschaften auf dem Berg (Morgenstelle). Unten im Tal hat sich die Uni über die Jahrhunderte mehr und mehr ausgebreitet.
Seit Langem wird überlegt, wie man im Uni-Viertel zwischen Mensa und Kupferbau eine Art Tal-Campus schaffen könnte. Vor 20 Jahren schienen die Pläne langsam Gestalt anzunehmen. 2008 startete man einen städtebaulichen Ideenwettbewerb. Mit der Zeit hat sich jedoch mehr und mehr Staub auf den Entwürfen abgelagert. Nun kommt neuer Schwung in die Planungen. Die Verantwortlichen haben einen ehrgeizigen Zeitplan und peilen das Uni-Jubiläum 2027 an. Bis dahin soll der erste Bauabschnitt abgeschlossen sein. Dabei ist noch längst nicht alles geklärt. Wichtige Fragen sind derzeit noch offen.

Ernst Seidl verfolgt die jüngste Entwicklung mit großen Interesse. Als der Leiter des Unimuseums 2008 nach Tübingen kam, spotteten einige Zeitgenossen, der Neue habe zwar einen wohlklingenden Titel, aber es fehle das Wichtigste, nämlich das Museum. Sein Dienstzimmer befinde sich nicht zufällig gut versteckt hinter einer Garderobe. Was wirklich präsentabel sei, werde von den jeweiligen Instituten betreut, und deren Leiter hätten null Interesse, dass die Öffentlichkeit da durchspaziert.
Doch seither hat sich einiges geändert. Der Kunsthistoriker hat dafür gesorgt, dass insbesondere die Sammlungen auf dem Schloss die gebührende Aufmerksamkeit bekommen. Die Welt des alten Ägypten, antike Münzen, die 40.000 Jahre alten ersten Kunstwerke der Menschheit, die griechischen und römischen Figuren und ethnologische Funde ziehen viele Besucher an. Seidl sorgt für Vorträge und Ausstellungen und dafür, dass Neugierige übersichtliche und schön gestaltete Publikationen zum Nachlesen vorfinden.
Er sprüht nicht nur vor Ideen, sondern setzt sie in der Regel auch tatsächlich um. Der 64-Jährige verweist zurecht darauf, dass Tübingen mehr als 70 wissenschaftliche Sammlungen besitzt - mehr als jede andere Uni in Deutschland. Und er setzt sich dafür ein, dass sie nach Möglichkeit entsprechend präsentiert werden. Seidl denkt auch an den Nachwuchs. Wer eines von neun kulturhistorischen und kunstwissenschaftlichen Fächern studiert, kann seit einigen Semestern den Schwerpunkt »Museum & Sammlungen« belegen.
Typisch für Seidl: Als bei der Sanierung der Mensa Wilhelmstraße niemand Interesse für die Nutzung der früheren Lagerräume im Keller zeigte, machte er das Angebot, dort ein Sammlungszentrum einzurichten. Nun gibt es dort Platz für Gemälde, das Attempto-Archiv, Bestände der Mineralogie - und auch einen Seminarraum. Denn Seidl findet: »Es gibt nichts Schlimmeres, als reinräumen und abschließen. Es muss genutzt werden.« Demnächst steht die Eröffnung an.
Einen Stock höher, ins Foyer der Mensa, haben die Museumsmacher sechs große Vitrinen gestellt. Sie werden zweimal im Jahr neu bestückt. Gegenwärtig werden dort antike Objekte gezeigt. In einigen Wochen erfolgt der Austausch. Dann sind dort naturwissenschaftliche Objekte zu sehen.
Ins Schwärmen gerät Seidl, wenn die Rede auf die Paläontologie in der Sigwartstraße - direkt neben dem kleinen Campus - kommt. Dort soll ein naturhistorisches Forum verwirklicht werden. Mit den Dinosauriern und Ammoniten, die schon dort sind, aber auch den Objekten der Zoologie, die dorthin umziehen sollen. Und dem Material der Mineralogen, in deren bisherigem Domizil es bei Regen von der Decke tropft. Für eine Machbarkeitsstudie hat man das Atelier Brückner gewonnen, das auch beim neuen Museum in Kairo und dem Naturhistorischen Museum eine maßgebliche Rolle spielte. »Das gibt ein Schaufenster der Wissenschaft«, sagt Seidl und sieht darin das naturhistorische Pendant zum archäologisch-kunsthistorischen Museum auf dem Schloss.
Auch auf dem Campusplatz selbst sieht Seidl Möglichkeiten. »Wir drängen uns nicht auf«, betont der Professor. Doch bisher hat sich seines Wissens kein anderer potenzieller Nutzer für das dortige Hörsaalgebäude gemeldet, das unter Denkmalschutz steht. Er könnte mit seinen Mitarbeitern der drangvollen Enge im Pfleghof entfliehen, Büros am Campus beziehen und dort auch einen Seminarraum einrichten. Für das im späten Jugendstil mit Säulen und Geländern errichtete Gebäude wäre das sehr passend. »Wenn man mithilfe der Sammlungen etwas für die Universität tun kann, sind wir immer gerne dabei.«
Im Jahr 2027 wird die Uni Tübingen 550 Jahre alt. Bis dahin sollen die Maßnahmen am kleinen Tal-Campus umgesetzt sein, heißt es beim Land. Da darf's nicht allzu viele Verzögerungen geben. Sonst bekommt Tübingen eine Baustelle zum Jubiläum. (GEA)
Der Campusplatz
Es geht um eine rund 6.000 Quadratmeter große Fläche. Dort befinden sich die Alte Physik, das Gebäude des ehemaligen Uni-Radios, eine Trafostation und Gebäude des Technischen Betriebsramts. Die baufälligen Gebäude sollen abgerissen werden. Im Mai werden Planskizzen und Bewerbungen begutachtet. Das Gremium setzt sich zusammen aus Vertretern der Uni (inklusive Studentenschaft), der Stadt, des Amtes für Vermögen und Bau und einem externen Landschaftsarchitekten. Denkmalbehörde und die Bürgerinitiative Wilhelmsvorstadt-Univiertel sind beratend dabei. (GEA)