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Aktuell Porträt

Neue Leiter des Institut Culturel Tübingen: Biologe, Teamworker und Europäer

Warum es den Chef des Deutsch-Französischen Kulturinstituts nicht stört, dass sein Haus als Urheber des Prix Premiere bei der Vergabe in Leipzig fehlt. Was ihn trotz Trump optimistisch stimmt - und was er aktuell plant.

Thomas Vautravers steht seit einem Jahr an der Spitze des Tübinger Institut Culturel Franco-Allemand. Von der Terrasse der Villa
Thomas Vautravers steht seit einem Jahr an der Spitze des Tübinger Institut Culturel Franco-Allemand. Von der Terrasse der Villa in der Doblerstraße genießt er den Ausblick über die Stadt mit Stiftskirche und Schloss. Foto: Claudia Reicherter
Thomas Vautravers steht seit einem Jahr an der Spitze des Tübinger Institut Culturel Franco-Allemand. Von der Terrasse der Villa in der Doblerstraße genießt er den Ausblick über die Stadt mit Stiftskirche und Schloss.
Foto: Claudia Reicherter

TÜBINGEN. Der »Prix Premiere« ist ein Kind des Deutsch-Französischen Kulturinstituts Tübingen. Dessen Leiter ist am 27. März aber nicht dabei, wenn der Literaturpreis für erstmals ins Deutsche übersetzte französische Gegenwartsliteratur in Leipzig zum Buchmesse-Start vergeben wird. Schlimm? Nein, sagt Thomas Vautravers. Seine Vorgängerin an der Spitze des Institut Culturel Franco-Allemand (ICFA), Ariane Batou To Van, habe zusammen mit dem Berliner Bureau du livre 2021 eine »einzigartige« Auszeichnung für Autoren und Übersetzer geschaffen. Als Bundespreis erhalte die seit 2024 viel mehr Resonanz. »Wir haben das übergeben und auf eine höhere Ebene gestellt«, sagt der 50-Jährige. Zudem saß die ICFA-Kulturbeauftragte Manon Boutté in der Jury für die Shortlist, aus der das Publikum nun »Adikou« von Raphaëlle Red, übersetzt von Patricia Klobusiczky, ausgewählt hat.

Er selbst war - damals noch als Leiter des Institut Français München - 2017 bei der Frankfurter Buchmesse, als Frankreich Gastland war. In Bezug auf die neue französische Literatur herrschte eine »unglaubliche Stimmung«, schwärmt er. »Das war wie eine Literaturwelle!«

Leben und Laufbahn

Vautravers fühlt sich als Nomade. Geboren 1975 in Angers, der Hauptstadt des Départements Maine-et-Loire in Westfrankreich, musste er mit seiner germanophilen, bildungsbürgerlichen Familie schon als Kind alle zwei oder drei Jahre umziehen. Denn sein Vater war beim Militär. Unter anderem lebten sie zwischen 1985 und 1989 in Trier, wo er sowohl »die wirkliche Realität des Kalten Krieges« mitbekam, als auch die erstaunliche Tatsache, wie flugs die - er schnippt mit den Fingern - mit dem Fall der Mauer verschwand. »Für mich sind das tolle Erinnerungen«, sagt der Franzose. Weitere Stationen führten über Colmar im Elsass nach Metz. Sein älterer Bruder habe die häufigen Umzüge gehasst, er nicht. Ihm wurde das Nomadentum zum geschätzten Habitus. Bis heute erlauben ihm häufige Wechsel, »einen neuen Blick aufs Bestehende zu werfen und neue Dynamik reinzubringen«.

Der Direktor des ältesten Institut Français Deutschlands, das erst später zum »Institut Culturel« wurde: Thomas Vautravers begin
Der Direktor des ältesten Institut Français Deutschlands, das erst später zum »Institut Culturel« wurde: Thomas Vautravers beginnt mit seinem Team gerade, das 80-jährige Bestehen im Jahr 2025 vorzubereiten. Foto: Claudia Reicherter
Der Direktor des ältesten Institut Français Deutschlands, das erst später zum »Institut Culturel« wurde: Thomas Vautravers beginnt mit seinem Team gerade, das 80-jährige Bestehen im Jahr 2025 vorzubereiten.
Foto: Claudia Reicherter

Studiert hat er 1993 bis 1997 an den Universitäten von Angers und Rennes: Biologie, Ökologie, Umweltwissenschaften. Dank Erasmus war er dabei in ganz Europa: Deutschland, Belgien, Griechenland - ein Glück. Seine heutige Frau, die aus Braunschweig stammt, hat er während eines Auslandssemesters in Schweden kennengelernt. Die erste Stelle trat er in einem kommunalen Umweltamt an. »Umweltschutz ist für mich immer noch ein Riesenthema«, sagt er. Heute ist der Vater dreier Söhne Beamter auf Lebenszeit der Region Nouvelle-Aquitaine. Von dort aus entsende ihn das französische Auswärtige Amt immer mal wieder zeitlich begrenzt an Institute wie das ICFA.

Kulturinstitut als vielfältiges Biotop - mit Garten

Naturwissenschaften und Kultur, wie passt das zusammen? »Persönlich habe ich Kultur immer geliebt«, sagt Thomas Vautravers. Statt sich ihr akademisch zu widmen, war dies »eher mein privater Garten«. Er schätzt Vielfalt und Komplexität. Beim Tübinger Institut mit seinen literarischen, musikalischen, pädagogischen und gesellschaftlichen Angeboten gehe es auch um Kooperation. »Das Ganze bildet ein Ökosystem.« So führt der Bogen zurück. Dass er durch die im Februar 2024 angetretene Funktion im Kulturbereich »tolle Künstler, Forscher, Menschen, auch Comiczeichner und Literaten« kennenlernt, empfindet er als Privileg. »Ohne pompös zu klingen, ich habe das Gefühl, hier im kleinen Rahmen zu einem großen Projekt beizutragen; der deutsch-französischen Zusammenarbeit. Das ist der Sinn der Sache.«

»Es ist schön, wenn man 50 wird, kann man zurückblicken und Dinge in eine Perspektive rücken«, sinniert er. So meint er etwa, »was gerade mit Trump in der Welt passiert, birgt viele Gefahren, aber zugleich Chancen«. Interessant, was gerade mit Großbritannien passiert: »Nach dem Brexit merken wir, dass wir doch zur selben Familie gehören.« Ein Glück für die Zukunft. »Weil die Zeiten, die auf uns zukommen, werden nicht einfach.« Ok, der Populismus wächst, aber es gibt viel mehr Bürger innerhalb Europas, die für Demokratie stehen, was es vielleicht vor dem Zweiten Weltkrieg so nicht gab. »Das macht mich optimistisch.«

Thomas Vautravers im Gespräch in seinem Büro in der Tübinger Doblerstraße.
Thomas Vautravers im Gespräch in seinem Büro in der Tübinger Doblerstraße. Foto: Claudia Reicherter
Thomas Vautravers im Gespräch in seinem Büro in der Tübinger Doblerstraße.
Foto: Claudia Reicherter

Mit nur sechs Festangestellten und etlichen freien Mitarbeitern ist das ICFA eine relativ kleine Einrichtung. »Gerade das macht mir Spaß«, sagt Vautravers. »Da ist jeder im Team wichtig.« Zu seinen Zuständigkeiten gehören das Kulturprogramm, Finanzen und Personal - um den Garten kümmert sich der Hausmeister.

Werden die Grünflächen um die Villa bis 2027 - so lange plant Vautravers in Tübingen zu bleiben - zum Biotop? Er lacht wie so oft während dieses Gesprächs in seinem großen, spartanisch eingerichteten Büro spitzbübisch: »Ich bemühe mich immer, mich anzupassen.« In dem Sinne, »dass ich die Kultur der Einrichtung verstehe«. Nach Revolution steht ihm nicht der Sinn, denn »es ist fast immer so, dass es vorher auch gut war«. Bevor er etwas ändere, erkundige er sich - und entscheide mit den Mitarbeitern. Insofern mag er das deutsche Mitbestimmungsrecht. Frankreich funktioniere im Vergleich noch hierarchischer. »Alles zu diskutieren ist nicht immer einfach, aber die Lösungen, die dadurch gefunden werden, sind die besten.«

Thomas Vautravers macht sich keine Illusionen: »Die Zeiten, die auf uns zukommen, werden nicht einfach.« Aber Europa empfindet e
Thomas Vautravers macht sich keine Illusionen: »Die Zeiten, die auf uns zukommen, werden nicht einfach.« Aber Europa empfindet er zurzeit als »unglaublich stark«. Foto: Claudia Reicherter
Thomas Vautravers macht sich keine Illusionen: »Die Zeiten, die auf uns zukommen, werden nicht einfach.« Aber Europa empfindet er zurzeit als »unglaublich stark«.
Foto: Claudia Reicherter

Sein aktuelles Pendlerdasein bedauert der höfliche, kultivierte Franzose insofern, als »man hier sehr gut leben kann«. Er lässt den Blick von der Terrasse der landeseigenen Villa in der Doblerstraße 25 übers Stadtzentrum mit Schloss und Stiftskirche streifen. Im Garten zwitschern die Vögel. »Die Architektur ist wunderschön«, sagt er, »die Natur überall zu sehen.« Die Croissants bei Eric von »Tartes Cézanne« sind lecker, die Menschen »hilfsbereit, freundlich und unkompliziert«. Ergo: »Ich hab' mich in Tübingen sofort wohlgefühlt.« Doch seine Frau lebt noch in München und den jüngsten ihrer drei Söhne wollen die Eltern nicht aus seinem Umfeld reißen.

Was als nächstes auf seiner Agenda steht: Die Bibliothek mit ihrer großen Comic-Abteilung - Vautravers schätzt »Tintin«, Joann Sfar und Jens Harder ebenso wie Proust - wird über Ostern renoviert. Und fürs 80-Jährige des Tübinger Institut Culturel im nächsten Jahr - es war das erste seiner Art in Deutschland - laufen die Vorbereitungen an: »Wir sind dabei, erste Projektskizzen zu machen.« (GEA)