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Nehrener Gesprächsformat brachte Gegner und Befürworter von Windkraft zusammen

Beim neuen Nehrener Format »Miteinander reden« soll es das Ziel sein, zu einem Diskurs über gesellschaftlich relevante Fragen zu finden, der geprägt ist von Wertschätzung auch bei kontroversen Meinungen. Am ersten Abend ging es um Windkraft - alles andere als ein Wohlfühlthema.

Deutlich mehr Andrang als angenommen: Dr. Antje Grobe moderierte den Diskurs zum Thema Windkraft im Nehrener Kultursäle.
Deutlich mehr Andrang als angenommen: Dr. Antje Grobe moderierte den Diskurs zum Thema Windkraft im Nehrener Kultursäle. Foto: Philipp Förder
Deutlich mehr Andrang als angenommen: Dr. Antje Grobe moderierte den Diskurs zum Thema Windkraft im Nehrener Kultursäle.
Foto: Philipp Förder

NEHREN. Die Abstimmung mit den Füßen machte die Positionen deutlich: Vor der Bühne im Kultursäle versammelte sich die große Schar der Windkraft-Befürworter, auf der gegenüberliegenden Seite am Eingang stand ein kleines Häuflein der Gegner. Sehr zur Überraschung von Moderatorin Dr. Antje Grobe: »Sie haben viele kritische Fragen gestellt, sind aber doch ganz positiv. Ich hätte gedacht, dass Sie anders stehen.«

Das körperbetonte Meinungsbild war das Finale der ersten Veranstaltung der Nehrener Initiative »Miteinander reden«. Deren Ziel ist, zu einem Diskurs über gesellschaftlich relevante Fragen zu finden, der geprägt ist von Wertschätzung auch bei kontroversen Meinungen - eine Haltung, die aus Sicht der Organisatoren vielfach verloren gegangen ist. Für dieses Engagement gehörten die Nehrener zu den hundert Glücklichen, die von der Bundeszentrale für politische Bildung unter 300 Bewerbern mit einem Zuschuss von 8.000 Euro bedacht wurden, um mit insgesamt drei Veranstaltungen ihr Format für einen anderen Meinungsaustausch umsetzen zu können.

Mutige Themenwahl

Dass sich die Initiative für diesen Start gleich das konfliktträchtige Thema Windkraft ausgesucht hat, habe sie zunächst überrascht, räumte Antje Grobe von der Organisation Dialog Basis ein: »Das ist ein ambitionierter Anfang. Es ist aber wichtig, dass man nicht mit einem Wohlfühlthema einsteigt.« Und der Andrang zeigte, dass die Entscheidung richtig war. Mehr als 80 Besucher drängten sich in der ehemaligen neuapostolischen Kirche zur Verblüffung der Organisatoren. »Ich hätte nicht gedacht, dass wir diesen Raum füllen«, freute sich Katrin Lauhoff.

Windräder in Nehren - Chance oder Belastung? Wie der Stand der Planung ist, legte zum Einstieg Bürgermeister Egon Betz dar, nicht ohne einen Appell an die Besucher: »Zum miteinander Reden gehört das Zuhören. Nur so führt ein Weg aus dogmatischen Positionen heraus.« Betz schlug einen Bogen vom Pariser Klimaabkommen bis zum einstimmigen Beschluss des Nehrener Gemeinderats, zusammen mit Gomaringen und Mössingen auf dem Firstberg eine Fläche von 160 Hektar, davon 110 Hektar Nehrener Gemeindewald, für Windräder auszuweisen. Und er verwies auf den Demokratisierungsprozess der vergangenen Jahrzehnte: »Als das Atomkraftwerk Brokdorf in den 80er-Jahren ans Netz ging, wurden die Bürger nicht gefragt. Die dezentrale Energieerzeugung heute macht Beteiligung und Wertschöpfung vor Ort möglich.«

Wissen, wo man steht

Zum Ablauf des Abends stellte Antje Grobe gleich klar: »Es gibt heute kein Pro und Contra zum Thema Windkraft. Ich möchte wissen, wo Sie stehen.« Und das war ganz wörtlich gemeint. Die Stühle wurden beiseite geräumt, um auf dem Boden sechs runde Tafeln mit Themenkomplexen zur Windkraft verteilen zu können: Umwelt, Gesundheit, Politik, Kosten/Nutzen, Recht und Technik. Jeder Teilnehmer sollte sich an dem Punkt platzieren, der ihm am wichtigsten ist, was zu einer leichten Ballung bei Umwelt und Gesundheit führte. »Der Bürgermeister«, kommentierte Antje Grobe dies, »hat viel über Recht gesprochen. Wir sehen aber, dass das Hauptinteresse woanders liegt.«

Was folgte, war eine Fülle von Fragen, die allein schon zeigte, wie komplex das Thema ist und welche vielfältigen Bedenken und Erwartungen die Menschen damit verbinden. Welche Auswirkungen haben die Windräder auf Tiere und Pflanzen? Spielen die Geräusche der Rotoren vor dem Hintergrund des Verkehrsrauschens von der B 27 überhaupt eine Rolle? Wie ist das mit dem Mikroplastik? Welche Folgen haben die Baustellen? Wie problematisch ist der Rückbau? Keine einfache Aufgabe für die Moderatorin, der es aber souverän gelang, die einzelnen Aspekte einzuordnen und bei Bedarf in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Zu Kosten und Nutzen gab ein Teilnehmer zu bedenken: »Das spielt eigentlich überall rein. Ich bräuchte deshalb sechs Beine, um mich richtig hinzustellen.«

Teilnehmer erkennen Verbesserungspotenzial

Nach ihrem Fazit befragt, gab eine Frau zu bedenken: »Warum haben wir hier nur Fragen gestellt? Es wäre schön, wenn es auch Antworten gäbe.« Doch das, stellte Antje Grobe klar, könne dieser Abend nicht leisten. Die Antworten müssten im weiteren Verfahren de Projektierer liefern, die Windräder aufstellen wollen.

Was also hat es gebracht? Auf jeden Fall ein Bild davon, was Befürworter und Gegner beschäftigt. »Es war interessant, so ins Gespräch zu kommen«, fand Gerhard Klett. »Es war ein Anfang, aber ganz rund ist es noch nicht.« Für die Gomaringerin Sandra Hellmuth war das Spannende die Vielfalt an Meinungen. »Die Frage ist aber: Ist man am Ende zufrieden, wenn man gehört wurde? Oder wenn man gehört und ernst genommen wurde? Oder erst, wenn man gehört und ernst genommen und auch in seinem Sinne entschieden wurde?«

Der Dialog, fand Thomas Schlegel von der Initiative, habe gute Ideen gebracht: »Ich glaube, wir haben das erreicht, was wir wollten. Vielleicht kann man so eine Plattform für einen regelmäßigen Bürgerdialog schaffen.« Die zweite Veranstaltung soll auf jeden Fall im Juli sein. Das Thema ist noch offen. (GEA)