MÖSSINGEN.. Blumenstadt? War einmal. Von nichts Geringerem als »der Streuobsthauptstadt des Landes« ist zwischenzeitlich die Rede, wenn über Mössingen geredet wird. Das sagt nicht nur Michael Bulander als deren Oberbürgermeister, sondern selbiger als Vorsitzender des Vereins Schwäbisches Streuobstparadies, in dem sechs Landkreise und zahlreiche Institutionen und Vereine engagiert sind. Zentrum der mit 26.000 Hektar größten zusammenhängenden Streuobstlandschaft in Europa zu sein, ist Ansporn und Verpflichtung zugleich. Mit rund 40.000 Obstbäumen auf der Markung hat Mössingen nicht nur mit der herrlichen, unverbauten Albhanglage, sondern auch quantitativ ein Alleinstellungsmerkmal. Dreiviertel der Bäume und deren Grundstücke sind in privater Hand. Der Rest gehört der Stadt. Sogenannte Allmand-Teile. Bereits die altertümliche Bezeichnung (ursprünglich: algmenda, also allgemeinde) verdeutlicht, dass sie auf den Volksnamen der alamannischen Neusiedler zurückgeht, die sich nach dem Abzug der Römer im Lande niederließen und ihr Gemeindeland unter sich aufteilten. Noch bevor sich Adel und Klerus das Land und die Bewohner untertan machten. Überdauert haben Wiesen-, Weiden- und Waldflächen, die den Bedürftigen einer Gemeinschaft zufielen. In der Regel auf Lebenszeit. Nach dem Tod des »Bürgers mit Gemeindenutzen-Gerechtigkeit« fiel das Grundstück an den Nächstberechtigten.
Allmandpacht seit 2013 Erfolgsgeschichte
Nach der Wirtschaftswunderzeit waren die Allmand-Grundstücke ein Auslaufmodell. Keiner musste hierzulande mehr hungern, Lebensmittel, insbesondere Obst, waren zu jeder Jahreszeit verfügbar. Familien, die die Teile in den Randlagen der Markung seit Generationen bewirtschaften, gaben sie zurück. »Noch vor zehn Jahren wurden mehr Stückle zurückgegeben als neu verpachtet. Die Bäume wurden nicht mehr geschnitten und vergreisten. Die Wiesen wucherten zu«, sagt Ulrich Eder, der zusammen mit seiner Frau Sabine Mall-Eder vom Netzwerk Streuobst 2013 begonnen hatte, die Flächen attraktiv wiederzubeleben – mit Fördergelder des Landes (Plenum).
Über 3.353 Bäume verpachtet
Bis dato listete die Stadt ihre Allmandteile auf einer historischen Flurkarte, in der mit Bleistift die aktuellen Besitzer eingetragen waren und bei deren Ausscheiden mit dem Radiergummi getilgt wurden. Es war also ein Quantensprung, die Karte auf den neuesten Stand zu bringen, zu digitalisieren und frei zugänglich ins Internet zu stellen. Die 2015 gestartete und stetig verbesserte Pachtplattform "mystueckle.de" bietet seither eine detaillierte Ansicht der Stückle und ihrer Baumarten, nicht aber der Sorten. Mittels Suchfunktion lassen sich schnell die gewünschten Pachtflächen mit ihrer individuellen Früchte-Zusammenstellung finden. Die Pachtanfrage wird unkompliziert und zeitnah bearbeitet.
Portfolio muss stimmen
Bisher sind von den erfassten 3.353 Obstbäumen 438 Flächen mit je 6 bis 10 Bäumen verpachtet worden. Lediglich 24 konnten noch nicht vermittelt werden. Entweder sind die Teile nicht direkt erreichbar, die Bäume zu alt und großwüchsig, oder die Zusammenstellung ist nicht ansprechend. »Das Portfolio muss stimmen. Die Leute bevorzugen Äpfel. Eine Wiese nur mit Kirschen- und Zwetschgen will keiner«, so Marcus Hölz von der Grüngruppe Streuobst und Naturschutz der AiS (Arbeit in Selbsthilfe), in der Beschäftigte mit Behinderung für die Pflegemaßnahmen zuständig sind. Anderseits mähen die Pächter ihre Wiesen zweimal im Jahr selbst, greifen regelmäßig zur Baumschere und pflanzen bei Bedarf ihre Lieblingssorte einfach dazu.
Auf jeden Fall also eine Erfolgsgeschichte, die nun fortgesetzt wird. »Das war seit Amtsbeginn mein Lieblingsprojekt: Engagierte Naturliebhaber verzahnen sich mit der Stadt, um unsere einzigartige Kulturlandschaft mit der heimischen Artenvielfalt zu bewahren«, freut sich der OB. »Ein Win-win-Situation für alle Beteiligten. Da läuft viel Positives zusammen«, pflichtet Baubürgermeister Martin Gönner bei. Wer als Spaziergänger den Panoramaweg beim Schützenhaus entlangwandert, wird feststellen, »was für vitale, gut bewirtschafte Stückle aus den verwilderten, mit Brombeerwucherungen überzogenen Wiesen geworden sind« so Eder-Mall.
Über 270 neue Stückle
Weshalb jetzt rund 274 Stückle in den kommenden Monaten erfasst, »grundsaniert« und nachgepflanzt werden, ehe sie zum Herbst 2025 als neue Pachtflächen zur Verfügung stehen werden.
Während sich anfangs das Projekt auf die Flächen am Farrenberg, südlich von Mössingen, vor allem entlang des Panoramawegs, bei der Olgahöhe und dort am Weg nach Talheim konzentrierte, kommt jetzt Belsen dazu. Dort liegt der Schwerpunkt auf dem hinteren, westlichen Teil der Federstraße und des Pfingstwasens sowie den Hangflächen am Alten Morgen.
Hier ist der Zuschnitt der Flächen großzügiger, dennoch wird die Jahrespacht unter zehn Euro liegen. Analog zur Mössinger Seite werden auch die Belsener Parzellen eine durchgehende Nummerierung erhalten. Eine Infoveranstaltung wird folgen. (GEA)