TÜBINGEN/REUTLINGEN. Die Anklageliste im Prozess gegen einen 43-Jährigen Mann aus dem Kreis Tübingen ist umfangreich: Innerhalb eines Zeitraums von gut sechs Monaten werden dem Beschuldigten mehrere Diebstähle, Hausfriedensbrüche, Sachbeschädigungen, Raub, ein tätlicher Angriff auf einen Vollstreckungsbeamten, eine exhibitionistische Handlung und sexueller Missbrauch eines Kindes ohne Körperkontakt zur Last gelegt. Am gestrigen Mittwoch war der erste Verhandlungstag.
Zu Prozessbeginn bat der Angeklagte darum, dass man ihn von Hand- und Fußfesseln befreien möge – Richter Armin Ernst stimmte dem Entfernen der Handschließen zu, die Füße blieben in Ketten – »Wir haben da schon schlechte Erfahrungen gemacht, vor allem im Sommer, wenn die Fenster offen sind«, belehrte er den Bittsteller.
Standbetreiberin beworfen
Die angeführten Diebstahldelikte betrafen durch die Bank Kleinigkeiten: Mal war es eine Packung Tabletten in der Apotheke, mal ein Eis aus der Tiefkühltruhe im Supermarkt, Softdrinks aus dem Kühlschrank einer Pizzeria, eine Nussecke beim Bäcker, am Obststand in Tübingen ein paar Aprikosen, mit deren Kernen die Standbetreiberin beworfen wurde, nur um im Anschluss noch eine Schale Heidelbeeren zu stibitzen.
Aufgrund dieser Vorfälle hatte der 43-Jährige in zahlreichen Supermärkten und Geschäften in Tübingen Hausverbot, welches er aber wiederholt missachtete. Durch weitere Delikte wie Sachbeschädigungen (vorwiegend Autos) war der Mann schnell polizeibekannt.
Polizisten angegriffen
Als der Angeklagte vorübergehend im November 2023 in Reutlingen wohnhaft war, verschaffte er sich Zugang in ein Geschäftsgebäude und nahm sich in einem Büro eine Schere. Ein Angestellter griff daraufhin ein, rief die Polizei und drückte den Eindringling an die Wand. Die Schere fiel zu Boden und der Beschuldigte nahm auf der Flucht dafür zwei Schokoladen-Nikoläuse mit. Nachdem er durch die Polizei aufgegriffen wurde, gab er an, er habe Diabetes und brauche den Zucker. Bei einer ärztlichen Untersuchung wurde diese Behauptung aber widerlegt.
Schwerwiegender ist die Anklage wegen Angriffs auf einen Vollzugsbeamten, der auch als Zeuge vernommen wurde. Der 35-Jährige Polizeioberkommissar schilderte dem Gericht, wie es zu der Situation gekommen war: Ein Paar hatte die Streife gerufen, da der Tatverdächtige sich erst der Frau genähert hatte, ihr ein Foto einer leicht bekleideten Dame auf seinem Handy zeigte und sie dann aufforderte, ihren Freund zu verlassen und mit ihm mit zu kommen. Daraufhin schaltete sich der Freund ein und drohte, die Polizei zu rufen. Der Angeklagte versuchte, im weiteren Verlauf das Handy seines Kontrahenten diesem aus der Hand zu schlagen. Dabei fiel sein eigenes Mobilgerät auf den Boden und wurde beschädigt. Als der Beamte dem 43-Jährigen mitteilte, dass niemand für den Schaden aufkommen würde, schlug der Mann wohl aus Enttäuschung plötzlich und unvermittelt zu. Der Polizist konnte aber ausweichen, wurde nur leicht gestreift und der Angreifer in Folge fixiert und anschließend in die psychiatrische Klinik gebracht.
Am schwersten wiegen die Anklagepunkte des sexuellen Missbrauch eines Kindes ohne Körperkontakt und Exhibitionismus: So hatte der Beschuldigte am Bahnhof in Mössingen im Juli 2023 ein 12-jähriges Mädchen angesprochen »mit nicht zitierfähigen Ausdrücken, während er in angezogenem Zustand sexuelle Handlungen an sich selbst vornahm«, wie es im Polizeibericht damals stand. Dann stieg er in den Zug. Das Mädchen erstattete Anzeige, der mutmaßliche Täter wurde daraufhin Dank einer sehr detaillierten Personenbeschreibung in Tübingen in der Nähe des Epple-Hauses festgenommen und wieder in die psychiatrische Klinik gebracht.
Fast nackt an der Steinlach
Dort landete der Mann erneut, nachdem er fast nackt durch exhibitionistische Handlungen mehreren Passanten und picknickenden Frauen an der Steinlach im Bereich der Fürststraße aufgefallen war. Beim kommenden Verhandlungstag am Donnerstag, 11. Juli wird das psychiatrische Gutachten verlesen und weitere Zeugen gehört. (ulsch)
IM GERICHTSSAAL
Gericht: Armin Ernst (Vorsitzender Richter), Benjamin Meyer-Kuschmierz, Julia Merkle. Schöffen: Prof. Dorothee Kimmich, Sonja Storath. Staatsanwalt: Lukas Bleier. Verteidiger: Sebastian Gauss. (GEA)