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Landschaft erleben: Spaziergang durch die Erdgeschichte

TÜBINGEN. Es ist nur eine kurze Strecke, aber sie führt weit zurück in die Erdgeschichte. Wer sich mit Hiltrud Wilhelmi auf den Geologischen Lehrpfad begibt, macht einen Sprung über 200 bis 224 Millionen Jahre. Süddeutschland - heute auf dem 48. Breitengrad - lag damals auf dem heißen 35. Breitengrad (wie heute Marokko). Nebenbei erfahren die aufmerksamen Wanderer aber auch ganz andere Dinge: Zum Beispiel wie ihre Vorfahren die gute Stube sauber hielten oder wo Königin Olga gerne spazierenging.

och macht die Natur Pause: Aber in wenigen Tagen sind die kleinen Seen beim Olgahain ein Paradies für Frösche und Lurche.
och macht die Natur Pause: Aber in wenigen Tagen sind die kleinen Seen beim Olgahain ein Paradies für Frösche und Lurche. Foto: Joachim Kreibich
och macht die Natur Pause: Aber in wenigen Tagen sind die kleinen Seen beim Olgahain ein Paradies für Frösche und Lurche.
Foto: Joachim Kreibich
Zerstörungswerk. Ein kleiner harmlos wirkender Bach hat die Erdschichten freigelegt. In 1,5 Millionen Jahren hat der Kirnbach 50 Millionen Tonnen Gestein und Erde weggeschleppt. Und das Tal 100 Meter tief eingeschnitten.

Die rote Wand. Hier lässt sich die natürliche Gesteinsfolge bestens beobachten. Der Bach hat einen Bogen gemacht und den Hang angeschnitten. Die Schichten sind je nach Material unterschiedlich dick. Feine Tone wachsen in 10 000 Jahren um zwanzig Zentimeter, Sandstein um einen Meter.

Schichtstörungen. »Das geübte Auge sieht das sofort«, sagt die 43-Jährige. Die Laien stehen erst mal vor einem Rätsel. Wieso gibt's bei Brüchen der Erdschichten bestimmte Formen? Und warum kommt es überhaupt zu Verwerfungen? Doch Wilhelmi hilft mit Abbildungen weiter. Danach kommt einem ein antithetischer Staffelbruch so simpel vor wie ein synthetischer.

Zwei-Phasen-Reiniger. »Wenn die Leute bergauf leicht ins Schnaufen kommen, hat man den Stubensandstein erreicht«, weiß Wilhelmi und zeigt auf eine fünf Meter hohe Wand. Dieser Stein hat seinen Namen von den schwäbischen Putzgewohnheiten. Um die hölzernen Dielen in der guten Stube sauber zu kriegen, wurde mit den Bröseln gescheuert: »Ein echter Zwei-Phasen-Reiniger«, findet Wilhelmi, denn die Tonminerale binden Schmutz, die Quarzkörner sorgen für den Scheuer-Effekt.

Botanik. Wer sich zwischendurch fragt, was da neben den Wegen alles wächst, ist bei der studierten Biologin genau an der richtigen Adresse. Sie zeigt demjenigen, der nur Schlüsselblumen und Veilchen kennt und schon bei Schachtelhalmen passen muss, die Welt der Botanik. Und erklärt nebenbei, warum die Buchen fast alle anderen Bäume in Schach halten würden, wenn der Förster nicht ein Auge darauf hätte.

Genießerstrecke. Ist der etwas steilere Weg vorbei am Stubensandstein und dem Krustenkalk geschafft, folgt eine »Genießerstrecke«. Links und rechts Wald, in der Mitte ein breiter Weg, völlig ohne Anstrengung zu bewältigen.

Prima Klima. Am Olgahain ist's wesentlich wärmer als zum Beispiel unten in Bebenhausen. »Man spürt's sofort«, sagt Manuela Günther, ebenfalls Landschaftsführerin wie Hiltrud Wilhelmi. Dass sie die Gelegenheit genutzt und sich der Tour ihrer Kollegin angeschlossen hat, ist typisch für die zertifizierten Guides. Alle sind mit Neugier und Engagement dabei.

Wildromantisch. Tümpel, Bänke, bemooste Treppen: Nicht nur Wilhelmi findet den Olgahain wildromantisch. Zwischen 1867 und 1871 ließ Württembergs König Karl I. den Hain anlegen. Gattin Olga, ehemals russische Großfürstin, hat sich hier gerne aufgehalten. »Bei Nebel könnte ich mir da auch eine Feen- und Fabelwesen-Führung« vorstellen, sagt Wilhelmi - nur halb im Scherz.

Alte Steinbrüche. Der Stubensandstein fand nicht nur bei Mühlsteinen Verwendung, sondern auch als Baumaterial - und wurde auch nach Köln geliefert. Der Dichter Heinrich Heine spottete in seinem »Wintermärchen«: »Er wird nicht vollendet, der Kölner Dom/Obgleich die Narren in Schwaben/Zu seinem Fortbau ein ganzes Schiff/Voll Steine gesendet haben.« Der harte Rätsandstein wiederum war unter anderem für Pflaster begehrt. Den Spuren des Abbaus begegnen die Besucher oberhalb des Olgahains.

Gesammeltes Wissen. Die dicke rote Mappe, die Wilhelmi dabeihat, enthält jede Menge nützliche Tafeln, Karten und Schaubilder. Schwer zu schleppen? »Ach was, die wiegt fast gar nichts«, sagt die 43-Jährige.

Gold im Bach. Wertvolles Edelmetall? Der Goldersbach, in den der Kirnbach mündet, hat tatsächlich seinen Namen daher. »Man hat früher versucht zu schürfen, aber die Konzentration war so niedrig, dass es sich nicht gelohnt hat.«

Landschaftsführungen (2)

Der Geologische Lehrpfad am Kirnbach zeigt einen Ausschnitt aus dem Keuper. Die Strecke beginnt am Wanderparkplatz gleich neben der alten B 27. Der Spaziergang dauert je nach Tempo und Neugierde zwei Stunden oder mehr. Die rund 4,5 Kilometer werden - bis auf den Abstecher in den Olgahain - auf breiten Wanderwegen zurückgelegt, die auch für Kinderwagen geeignet sind. Interessierte Laien, aber auch Schulklassen erfahren Wesentliches über Platten-Tektonik, Sediment-Geschichte und Hauptgesteinsarten.

Die Tour ist eine der »Landschaftsführungen am Neckar«, die von zertifizierten Guides ausgearbeitet wurde. Der GEA stellt einige dieser Angebote vor. Hiltrud Wilhelmi bietet weitere Führungen an, unter anderem eine durchs Blütenmeer im Bühler Tal. (-jk)

0 70 71/9 68 44 14 NLF-Neckar@gmx.de