KUSTERDINGEN-IMMENHAUSEN. Musik liegt den Geschwistern Eva und Jakob Schall im Blut. »Musik zu machen war für uns immer etwas Selbstverständliches«, sagen sie. Ihre Mutter Anette ist Organistin in der Evangelischen Verbundkirche Härten Nord, die große Schwester Anna Profi-Musikerin. Der Wunsch, mit Musik den Lebensunterhalt zu verdienen, wuchs in den gebürtigen Immenhäusern, als sie Anna in den Sommerferien an der Hochschule für Musik in Basel besuchten. »Uns hat der Austausch fasziniert. Dort waren viele Künstler aus unterschiedlichsten Ländern«, sagt Jakob Schall. Das Instrument des 35-Jähringen ist das Cello, seine 31-jährige Schwester spielt Violine. Jakob ist freiberuflicher Musiker, Eva Stimmführerin im Philharmonischen Orchester Freiburg. Beide treten sowohl in Ensembles und Orchestern als auch solistisch auf.
Nachdem sie unter anderem an der Freiburger Musikhochschule studiert haben, sind auch sie heute Profi-Musiker - im klassischen Genre beheimatet, aber offen für andere Kunstformen. So arbeiteten sie schon mal mit einem Beatboxer zusammen. »Wir sind immer auf der Suche, Neues zu entdecken. Allein die Bandbreite und die gegenseitigen Verbindungen über die Jahrhunderte von Barock bis zur Gegenwart zu erforschen, begeistert mich«, sagt Jakob Schall.
»Das Immenklang-Festival ist ein Gemeinschaftskunstwerk«
Ein Projekt, auf das er und seine Schwester besonders stolz sind, ist das »Immenklang«. Seit 2020 veranstalten sie das Festival im August in ihrer Heimatgemeinde. »Wir können alles selber in die Hand nehmen und selbst Schwerpunkte setzen. Hier merken wir immer, warum wir Musik machen. Wir bekommen mit, wie sie gewirkt hat«, sagt Eva Schall. Das Publikum sei sehr vielseitig - und generationenübergreifend.
Zusätzlich zum Genuss von Wanderkonzerten oder Kammermusik in der Immenhäuser und Mähringer Kirche oder unterm Sternenhimmel können die Besucher selbst kreativ werden, Erwachsene wie Kinder. Denn andere lokale Künstler laden zu Workshops: Klangkunst, Tanz, Zeichnen und Malerei. Auch dieses Jahr bieten die der Komponist Jasper Seibert, der in Tübingen aufgewachsene Tänzer Jakob Jautz und die Mähringer Künstlerin Christiane Haag täglich an. »Für manche ist das die erste Berührung mit klassischer Musik«, sagt Jakob Schall. Während die Musiker im Gemeindehaus proben, darf jeder nach Lust und Laune Stift oder Pinsel schwingen. Die dabei entstehenden Kunstwerke werden ausgestellt. Damit ist das Immenklang »ein Gemeinschaftskunstwerk«, sind sich die Geschwister einig.
Wurzeln liegen im ersten Corona-Sommer
Im Corona-Sommer waren sie ganz pragmatisch auf der Suche nach Auftrittsmöglichkeiten. »Immenhausen ist ja ein schöner Ort. Hier gibt es Potenzial«, dachten sich die beiden und wagten es einfach. »Jedes Jahr ist es größer geworden«, sagt Jakob Schall. Viele Einwohner halfen mit. Jemand brachte Häppchen für die Musiker vorbei. Der Immenhäuser Ortsvorsteher Siegfried Maier organisierte Stühle und deren Transport. Die Kirchengemeinde sei aktiv dabei. Bis zu 15 Musiker waren bisher während des Festivals in Gastfamilien untergebracht. »Man kommt in Kontakt mit vielen Menschen. Hier geht es um das Gemeinschaftliche. Nicht darum, auf der Bühne zu stehen«, sagt Eva Schall.
Ein Jahr braucht das fünfköpfige Team für die Organisation. Diese Arbeit leisten Schalls, Haag, Jautz und Seibert ehrenamtlich. Dafür haben sie im vergangenen Sommer den Immenklang-Verein gegründet. Da es generell im ländlichen Bereich schwieriger ist, an Fördergeld zu kommen, weil es etwa Bürgerstiftungen oder Kulturämter, die speziell kulturelle Angebote unterstützen, nur in größeren Städten gibt, müssen jedes Jahr von Neuem ausreichend Spenden aufgetrieben werden. Denn: »Kultur soll kein Luxus sein.« Sie begeben sich deshalb frühzeitig auf die Suche nach Sponsoren. Die Reutlinger Christel-Guthörle-Stiftung gehört ebenso dazu wie die Lechler-Stiftung und die Kreissparkasse.
Zudem ist dieses Projekt auf die Unterstützung der Kommune angewiesen - und dankbar dafür, wie Jakob Schall betont. Die Kusterdinger Teilorte Immenhausen und Mähringen schießen je 750 Euro zu. Der Vorstoß, erstmals auch von der Gesamtgemeinde Kusterdingen finanzielle Unterstützung zu erhalten, wurde vergangene Woche jedoch mehrheitlich negativ beschieden. Damit sei nun auch die Förderung durchs Regierungspräsidium unsicher, erklärt er. Die kommunale Unterstützung sei zum Teil »ausschlaggebend für weitere Anträge«. 6.000 der insgesamt rund 28.000 Euro, die das kommende Festival mit zwölf bereits verpflichteten, international gefragten Künstlern, Verpflegung, Mieten, Leihgebühren für Noten und Aufführungsrechte, Versicherung, Werbung und Video-Dokumentation kostet, sind noch nicht gedeckt.

Er bleibt aber »zuversichtlich, dass wir mit weiteren Einnahmen hinkommen«. Demnächst werde wieder ein Crowdfunding gestartet. Und das Team geht davon aus, dass auch zwischen 4. und 9. August wieder Spenden bei den Konzerten eingehen. Denn, das gehört zum Konzept des Immenklang: Workshops und Konzerte sollen »für jeden offen sein«, erklärt der Cellist. »Wir wollen niemanden ausschließen. Aus allen Gruppen sollen die Menschen zusammenkommen und gemeinsam etwas schaffen.« Deshalb arbeiten die Organisatoren äußerst sparsam. Und der Verein trägt das Risiko, dass es etwa bei tagelangem Regen auch mal »doch nicht so läuft«. Das »funktioniert unserer Erfahrung nach ganz gut«.
Die Begeisterung für Musik teilen
Seit ihrer Kindheit schon machen die Schall-Geschwister regelmäßig gemeinsam Musik. Da kommt es gelegen, dass beide in Freiburg leben. »Es motiviert uns, wenn wir gemeinsam spielen. Man muss sich, wenn man mal einen Durchhänger hat, bewusst werden, warum man das macht«, sagt Jakob Schall. Die stundenlange Arbeit am Instrument sei körperlich anstrengend, auch wegen der Haltungen. »Man braucht einen Ausgleich«, sagt Eva Schall. »Teilweise proben wir drei bis vier Tage lang bis zu zwölf Stunden am Tag. Die Musik begleitet einen dann von morgens bis abends. Da taucht man richtig in die Klangwelten ein«, erklärt Jakob Schall. Da er selbstständig tätig ist, kommen zum Musizieren Aufgaben im Orga- und Planbereich auf ihn zu. Natürlich müssen auch die Finanzen gesichert ein. Darüber, wie man etwa einen Förderantrag stellt, musste sich der Cellist erstmal schlau machen. Denn das war nicht Teil des Studiums.
Selbst sind Eva und Jakob Schall schon auf vielen illustren internationalen Bühnen gestanden. Der 35-Jährige schwärmt von der »inspirierenden Architektur« der Elbphilharmonie. Auch habe er Respekt davor, wie viele berühmte Musiker und Dirigenten etwa im Konzerthaus Berlin vor ihm auf der Bühne gespielt haben. »Ich habe aber auch schon in kleinen Dörfern und kleinen Kirchen gespielt, die ebenso sehr besonders waren. Ich würde das eine nicht über das andere stellen«, sagt Jakob Schall. (GEA)