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Kultur in der Corona-Krise: Welche Lehren Bundestagskandidaten aus Tübingen ziehen

Der GEA-Kandidaten-Check zur Bundestagswahl: Die sechs Kandidaten der aussichtsreichsten Parteien in den Wahlkreisen Reutlingen und Tübingen beantworten im Wechsel Fragen zu relevanten Themen. Im Wahlkreis Tübingen geht es um Gesundheit, die Sicherung der Renten, die Wohnungsnot bei immer höheren Mietkosten, den Notstand in der Pflege und den Klimaschutz. Das heutige Thema: die Kulturbranche und die Coronakrise.

Nicolai Gonther und Justin Hibbeler in Jenke Nordalms Inszenierung von Kafkas »Prozess« im LTT.  FOTO: METZ/LTT
Nicolai Gonther und Justin Hibbeler in Jenke Nordalms Inszenierung von Kafkas »Prozess« im LTT. FOTO: METZ/LTT
Nicolai Gonther und Justin Hibbeler in Jenke Nordalms Inszenierung von Kafkas »Prozess« im LTT. FOTO: METZ/LTT

KREIS TÜBINGEN. Abgesagte Konzerte, geschlossene Theater und leere Museen: Die Corona-Krise hat die Kulturschaffenden besonders hart getroffen. Die finanziellen Herausforderungen sind für viele von ihnen existenzgefährdend. Es hat sich gezeigt: Die Kultur in Deutschland ist krisenanfällig.

Neben den finanziellen Herausforderungen für die Kreative-Branche kommt auch der fehlende soziale Raum durch die geschlossenen Einrichtungen hinzu. In den vergangenen Monaten waren Künstler und Kulturschaffende deshalb auf Förderprogramme des Bunds angewiesen. Wegen des ersten Lockdowns mussten im Frühjahr 2020 Kultureinrichtungen aller Art für Besucher schließen.

Noch immer ist die Branche schwer getroffen von den Auswirkungen der Pandemie. Eine Studie des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes vom Februar dieses Jahres geht davon aus, dass die Branche in diesem Jahr einen Verlust von 30 Milliarden Euro an Umsatz machen wird.

Um den betroffenen Einrichtungen unter die Arme zu greifen, hat die Bundesregierung im Sommer 2020 das Rettungs- und Zukunftsprogramm Neustart Kultur ins Leben gerufen mit Mitteln von einer Milliarde Euro. Diese Summe war Anfang des Jahres 2021 bereits verplant. Deswegen stellte die Bundesregierung im Februar 2021 eine weitere Milliarde zur Verfügung. Der Schwerpunkt des Programms liegt auf der Hilfe von Künstlern und Stipendienprogrammen. Zusätzlich hat der Bund einen Sonderfonds für Kulturveranstaltungen aufgelegt. Darin stellt er bis zu 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Dieser Fonds soll das Programm Neustart Kultur ergänzen.

Darüber hinaus werden Kreative auch durch außerordentliche Wirtschaftshilfen, Überbrückungshilfe oder den vereinfachten Zugang zur Grundsicherung unterstützt. (GEA)

»Wenn man gestalten will, muss man da sein, wo die Weichen gestellt werden«: Annette Widmann-Mauz ist seit 1998 Abgeordnete im B
»Wenn man gestalten will, muss man da sein, wo die Weichen gestellt werden«: Annette Widmann-Mauz ist seit 1998 Abgeordnete im Bundestag. Foto: Markus Niethammer
»Wenn man gestalten will, muss man da sein, wo die Weichen gestellt werden«: Annette Widmann-Mauz ist seit 1998 Abgeordnete im Bundestag.
Foto: Markus Niethammer

Annette Widmann-Mauz (CDU)

Wie sehr Kunst und Kultur Lebensqualität und soziales Miteinander bedeuten, haben wir gespürt, als in Folge von Corona Kinos, Theater und Museen geschlossen und das Vereinsleben stark eingeschränkt waren. Kultur ist Ausdruck von Humanität, stiftet Identität, Gemeinschaft und Zusammenhalt. Wir wollen unsere Traditionen und Bräuche erhalten und setzen auf die bereichernde Kraft der Vielfalt. Auf Bundes- und Landesebene haben wir zahlreiche Hilfen für Vereine und Kulturschaffende wie das Programm »Neustart Kultur« auf den Weg gebracht. Damit wurde auch der »Kultursommer 2021 im Landkreis Tübingen« mit über 190 000 Euro gefördert. Wir werden die Förderprogramme für alle Akteure und Sparten – Film, Musik, Literatur, Verlage und Gamesbranche – vollumfänglich fortsetzen und insbesondere die Kultur auf dem Land weiter unterstützen – mit dem Zukunftsprogramm Kino, dem Denkmalschutz-Sonderprogramm und »Kultur im ländlichen Raum«. Die Pandemie hat deutlich gemacht, wie wichtig soziale Absicherung für Künstler ist. Deshalb wollen wir die Künstlersozialversicherung stärken und prüfen, wie die Arbeitslosenversicherung für Beschäftigte in der Kulturbranche weiterentwickelt werden kann.

»Vage bleiben können die anderen«: Chris Kühn, Bundestagskandidat der Grünen im Wahlkreis Tübingen.  FOTO: PIETH
»Vage bleiben können die anderen«: Chris Kühn, Bundestagskandidat der Grünen im Wahlkreis Tübingen. Foto: Frank Pieth
»Vage bleiben können die anderen«: Chris Kühn, Bundestagskandidat der Grünen im Wahlkreis Tübingen.
Foto: Frank Pieth

Christ Kühn (Grüne)

Die Corona-Krise hat gnadenlos offengelegt, unter welchen prekären Bedingungen insbesondere viele Soloselbstständige im Kulturbereich leben und arbeiten. Wir wollen Soloselbstständige in der Kultur- und Medienbranche besser sozial absichern und vergüten. Dafür fordern wir ein »Existenzgeld« für die Zeit der Pandemie, Mindesthonorare für Selbstständige und einen leichteren Zugang zu den Versicherungssystemen. Außerdem wollen wir verhindern, dass jemand wegen der Folgen der Pandemie aus der Künstlersozialkasse fällt. Die Corona-Krise zeigt wie ein Kontrastmittel, unter welchen prekären Bedingungen viele Kultur- und Medienschaffende arbeiten. Eine Lehre aus der Pandemie muss deshalb sein, dass die Kultur- und Medienbranche auf eine krisenfestere Grundlage gestellt wird. Wir Grüne schauen auch über die Dauer der Pandemie hinaus und bringen nochmals unsere schon länger formulierten Ideen ein, wie Soloselbstständige in der Kulturbranche in Zukunft besser sozial abgesichert und vergütet werden können. Dazu zählen für uns vor allem Mindesthonorare für Freischaffende, unsere grüne Bürgerversicherung, die Garantierente sowie ein leichterer Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen.

Martin Rosemann ist seit 2013 für die SPD im Bundestag. Soziale Gerechtigkeit ist ihm ein großes Anliegen. FOTO: WALDERICH
Martin Rosemann ist seit 2013 für die SPD im Bundestag. Soziale Gerechtigkeit ist ihm ein großes Anliegen. Foto: Irmgard Walderich
Martin Rosemann ist seit 2013 für die SPD im Bundestag. Soziale Gerechtigkeit ist ihm ein großes Anliegen.
Foto: Irmgard Walderich

Martin Rosemann (SPD)

Kultur ist der Kitt der Gesellschaft. Corona hat die Kulturbranche allerdings schwer getroffen. Die bestehenden Infrastrukturen und Produktionsmöglichkeiten müssen daher erweitert und die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Künstlerinnen und Künstlern – auch der freischaffenden – stärker berücksichtigt werden. Nur so können wir ihr Schaffen und damit einen der Grundpfeiler unsere Demokratie sichern. Kultur muss deshalb als Staatsziel ins Grundgesetz.

Wir brauchen mehr Wertschätzung den Künstlerinnen und Künstler gegenüber. Das heißt vor allem auch eine bessere soziale Absicherung der Freischaffenden, mit Mindestgagen und Ausstellungshonoraren. Und wir brauchen mehr Mittel, damit Kultur entstehen uns allen zugänglich sein kann. Das gilt für Theater, genauso wie für Museen und Musikschulen. Wichtig dabei ist, dass die Kommunen dauerhaft finanziell in die Lage versetzt werden müssen, diese Förderungen selbst zu tätigen. Und dass der Bund mit Bundeskulturfonds und anderen Programmen Unterstützung leistet – genauso wie er die richtigen Rahmenbedingungen schaffen muss, damit die Geschäfts- und Erlösmodelle mehr auf die Kulturschaffenden ausgerichtet sind.

Julian Grünke kandidiert für die FDP im Wahlkreis Tübingen.  FOTO: STÖHR
Julian Grünke kandidiert für die FDP im Wahlkreis Tübingen. Foto: Ines Stöhr
Julian Grünke kandidiert für die FDP im Wahlkreis Tübingen.
Foto: Ines Stöhr

Julian Grünke (FDP)

Sowohl die Bundes- als auch die Landesregierung haben in der Coronakrise versäumt, der Bedeutung der Kultur und der Arbeit der Kulturschaffenden gerecht zu werden. Ohne jede Planungssicherheit und Perspektive wurden sie lange alleingelassen. Das komplette Versagen bei den Hilfen für die vielen selbstständigen Kulturschaffenden ist unverzeihlich. Insbesondere weil viel zu häufig völlig unverhältnismäßige Schließungen der Grund für die Notlagen war. In Zukunft und auch schon in diesem Herbst muss es möglich sein, Kulturveranstaltungen aller Art unter angemessenen Auflagen auszurichten. Das Tübinger Modell sollte dabei Vorbild sein. Denn die Kultur und auch die kulturelle Bildung nochmals, für längere Zeit komplett auszusetzen wäre fatal. Sie ist zentrale Säule unserer offenen und Freien Gesellschaft und damit Systemrelevant. Zudem haben die Akteure in der Branche sehr deutlich gezeigt, dass sie die Kreativität und den Willen haben, Konzepte zu entwickeln die angemessene Sicherheit auch in einer Pandemielage möglich macht.

Sozial- und Verkehrspolitik gehören zu den Schwerpunkthemen des AfD-Bundestagskandidaten Ingo Reetzke.  FOTO: KREIBICH
Sozial- und Verkehrspolitik gehören zu den Schwerpunkthemen des AfD-Bundestagskandidaten Ingo Reetzke. Foto: Joachim Kreibich
Sozial- und Verkehrspolitik gehören zu den Schwerpunkthemen des AfD-Bundestagskandidaten Ingo Reetzke.
Foto: Joachim Kreibich

Ingo Reetzke (AfD)

Die Kultur wurde bereits bisher überwiegend staatlich gefördert. Man wird sich entscheiden müssen, wie dies in Zukunft aussehen soll. Wenn man Deutschland mit Schweden einerseits, Israel und Gibraltar andererseits vergleicht, dann drängt sich einem der Eindruck auf, dass die deutsche Politik auf dem Holzweg ist. Offensichtlich bringen Impfungen mittelfristig höhere Erkrankungszahlen mit neuen Varianten mit sich, wohingegen das Laissez-faire der Schweden ein entspanntes Leben in allen Bereichen ohne signifikant höhere Todeszahlen als anderswo ermöglicht. Vielleicht waren die Corona-bedingten Einschränkungen hierzulande also möglicherweise doch nicht so sinnvoll, wie durch Medien und Regierung behauptet. Es wird sich zeigen, ob die Menschen bereit sind, die anhaltenden Corona-bedingten Maßnahmen im kulturellen Bereich mitzutragen. Des Weiteren wird abzuwarten sein, wie unter dieser Ausnahmesituation die Finanzierung der Kultur ohne staatliche Eingriffe erfolgreich sein kann.

Heike Hänsel wünscht sich eine Klimapolitik mit sozialer Gerechtigkeit.  FOTO: SAPOTNIK
Heike Hänsel wünscht sich eine Klimapolitik mit sozialer Gerechtigkeit. Foto: Nadine Sapotnik
Heike Hänsel wünscht sich eine Klimapolitik mit sozialer Gerechtigkeit.
Foto: Nadine Sapotnik

Heike Hänsel (Linke)

Kunst und Kultur helfen uns, unterschiedliche Perspektiven auf unsere Gesellschaft sowie auf Missstände zu werfen und sie zu hinterfragen.

Dennoch findet Kultur oftmals unter so prekären Bedingungen statt, dass jede Krise, wie aktuell Corona, für viele Kulturschaffende sofort existenzbedrohend wird. Für die Dauer der Corona-Pandemie soll deshalb der Zugang zu einer monatlichen Pauschale in Höhe von mindestens 1 200 Euro – auch rückwirkend ab März 2020 – ermöglicht werden. Wir treten dafür ein, dass Kulturförderung als Pflichtaufgabe angesehen und ein Staatsziel Kultur im Grundgesetz verankert wird, das Kooperationsverbot von Bund und Ländern muss beendet werden. Wir fordern die Einbeziehung aller in die gesetzlichen Sozialsicherungssysteme, auch von Soloselbstständigen, und die Künstlersozialkasse muss für weitere Berufsgruppen geöffnet und der Bundeszuschuss erhöht werden. Wir fordern verbindliche Mindesthonorare in der freien Kunst- und Kulturarbeit, branchenspezifische Honoraruntergrenzen und eine rechtlich abgesicherte Ausstellungsvergütung für bildende KünstlerInnen. Wir wollen ein Kulturministerium, um die Belange der Kultur gegenüber anderen Ressorts wirksamer vertreten zu können.