TÜBINGEN. Um den Weg vom fossilen Zeitalter hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft und Wirtschaft ging es bei einer Podiumsdiskussion am Freitagabend an der Uni Tübingen. »Technische Lösungen sind besser, als in die persönlichen Lebensverhältnisse einzugreifen«, sagte der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Anlass für die Diskussion war die Vorstellung des Buches »Aus Zuversicht Wirklichkeit machen« in der Neuen Aula, zu dem er einen Beitrag geleistet hatte.
Immer milde Mittel wählen
Kretschmann sagte, es gelte, die Gesellschaft beim Übergang zusammenzuhalten. »Die Politik sollte immer die milderen Mittel wählen und nicht den Geldbeutel und die Freiheiten der Bürger angreifen.« Denn das bestrafe der Wähler mit »Liebesentzug«, wie ihn die Grünen gerade erleben. »Wir sind aus drei Regierungen und zwei Parlamenten rausgeflogen«, stellte Kretschmann fest. Nicht nur der Klimawandel, auch Wahlen seien ein »Faktenvorgang«. Und wenn sie dazu führen, dass die Erklärungen und Lösungsansätze nicht mehr gehört werden, haben alle guten Ansätze keine Wirkung mehr. »Wir sind durch Fehler wie das Heizungsgesetz in einer scharfen Abwärtsbewegung. Wir brauchen keine grüne Diktatur«, sagte Kretschmann, der auch Selbstkritik übte.
Als er vor einiger Zeit öffentlich sagte, der Waschlappen sei eine dankbare Erfindung und man müsse nicht immer duschen, habe ihm das viel Spott eingebracht. »Das wurde teilweise als übergriffig empfunden, obwohl es nicht so gemeint war«, sagte Kretschmann. Aber es passte ins Bild, das viele Leute von seiner Partei haben.
Clara Schweizer, zuerst bei Fridays for Future, nun bei der Klimataskforce in Nürtingen aktiv, sagte, dass die Politik zu lange gewartet habe und zu langsam agiere. »Die Klimaerwärmung und der Treibhauseffekt sind schon lange bekannt, es war viel Zeit für die Transformation«, so Schweizer. Die Umsetzung schreite zu langsam voran. Sie selbst setzt sich dafür ein, vor Ort »ins Tun« zu kommen. So gibt es in Nürtingen beispielsweise gemeinsame Dämmprojekte und mehrere themenspezifische Arbeitsgruppen. »Dass wir nichts gemacht hätten, ist absurd«, wies Kretschmann den Vorwurf zurück. Ohne das EEG gäbe es nach seiner Auffassung keine marktfähigen Windräder. Er warf der Fridays for Future-Bewegung vielmehr vor, keine Instrumente vorzuschlagen. »Sie haben das Thema zeitweise populär gemacht, mehr nicht. Wir erleben im Moment zum Beispiel bei der E-Mobilität einen Rückgang. Diesen Trend gilt es zu brechen«, sagte Kretschmann.
Während Markus Gabriel über die »Polykrisen« referierte, brach Philipp Krohn das Thema auf die einzelne Person herunter. Er zum Beispiel habe kein Auto und nutze nur zehnmal im Jahr ein Carsharing-Angebot. »Das empfinde ich nicht als Einschränkung«, sagte Krohn. Er lebt in der Großstadt. »Wenn es nach der FDP geht, zerstören weniger Autos die Freiheit.« Es sei notwendig, den Übergang zur Klimaneutralität zu schaffen, um die Freiheit zu erhalten.
Zukunftsperspektive entwickeln
Dazu sei es gut, wenn die Leute entsprechende »Präferenzen« entwickeln und zum Beispiel von sich aus weniger fliegen. Den Emissionshandel bezeichnete er als »harte Ordnungspolitik«, denn dieser sieht vor, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt gar kein CO2 mehr ausgestoßen werden darf. »Die Bürger brauchen eine klare Vorstellung, was das für sie bedeutet und wie ihr Leben im Jahr 2035 und 2050 aussehen kann«, sagte Krohn. »Immer nur über Instrumente zu reden, nimmt die Bürger nicht mit.«
Auf die Frage von Moderatorin Kara Ballarin wie denn eine Gesellschaft aussähe, wenn er sie sich »backen« könnte, entgegnete Ministerpräsident Kretschmann trocken: »Solche totalitären Anwandlungen habe ich nicht.« Staat, Markt und Bürgergesellschaft müssten zusammen arbeiten. »Der Klimawandel ist eine solche große Herausforderung, dass es nur mit allen zusammen geht«, sagte Kretschmann. Die PV-Pflicht auf Nicht-Wohngebäuden zuerst, dann die PV-Pflicht auf Neubauten habe im Land beispielsweise für den Boom solcher Anlagen gesorgt. In den Bestand einzugreifen, sei viel schwieriger. Das gehe besser und erfolgreicher über den Markt und mit Förderung. (stb)